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Medien und der Kampf um KobaniSpindoctors aus Militär und Melodram

Ines Kappert
Kommentar von Ines Kappert

Die Milizen des „Islamischen Staats“ haben sich aus Kobani zurückgezogen. Doch wo bleibt der Jubel über die Niederlage der Dschihadisten?

Vorerst gewonnen, doch die Rückeroberung ist ein Punktsieg: kurdischer YPG-Kämpfer in Kobani. Bild: reuters

K obani ist befreit. Die Milizen des IS wurden aus der syrisch-kurdischen Stadt vertrieben, der Siegeszug des IS abgebremst. Egal. Die Symbolstadt für die demokratische Allianz gegen den islamistischen Terror ist den Medien fast nur noch eine Meldung wert. Größere politische Bilanzen und die Diskussion über Zukunftsszenarien finden sich kaum.

Wie kann das sein? Immerhin kennt jede/r ZeitungsleserIn inzwischen den Namen Kobani, und der IS ist dank seines hohen Gruselfaktors ohnehin in aller Munde. Und was wurde nicht alles geschrieben, als Kobani drohte zu fallen?

Die Wahrnehmungskurven in Bezug auf Irak, Syrien (wie auch Afghanistan) sind bizarr. Als die westliche Öffentlichkeit von dem selbst ernannten „Islamischen Staat“ erfuhr, brandete großes Interesse an den köpfeabschlagenden Kämpfern auf, die gemeine Nahost-Fatigue war weggeblasen. Zurecht.

Immerhin revidierte Obama nach der Einnahme der irakischen Großstadt Mossul durch den IS seine Doktrin des militärischen Rückzugs und näherte sich im Kampf gegen den IS wieder dem Assad-Regime an. Mittlerweile teilt man sich den Luftraum über Syrien.

Dieser Kurswechsel war und ist genauso entscheidend für das aktuelle Leben der Menschen „on the ground“ in Irak und Syrien wie der Vormarsch des IS. Leider verschlimmern alle Kriegsparteien die Situation für die Normalbevölkerung. Die wird nun vom Assad-Regime, der USA-geführten Allianz und dem IS beschossen. Helfen würden nur lokal ausgehandelte und international überwachte Waffenpausen. Doch darum scheren sich die internationalen Vermittler wenig oder zu wenig. Für sie zählt das Primat des Militärischen, Terror sei nur mit Waffen zu bekämpfen.

Irak, Pakistan und Afghanistan zeigen, dass diese Strategie nicht funktioniert. Umso erstaunlicher ist es, dass ein militärischer Sieg, wenn es ihn denn mal gibt, nicht hochgejubelt wird. Wie sonst will man die Kampfstrategie gegen den IS überhaupt noch verteidigen?

Ein Vampirschauspiel

Sicher, das Umland von Kobani steht weiterhin unter der Kontrolle des IS, die Milizen können Nachschub aus den Hochburgen Mossul und Raqqa organisieren und Kobani erneut angreifen. Der IS ist von einer Kapitulation weit entfernt, Kobani ist nur ein Punktsieg gegen ihn – aber im Westen liebt man doch die Symbolpolitik, warum interessiert sie jetzt nicht mehr?

Der Grund für die aufmerksamkeitstechnische Flatterhaftigkeit scheint in der standhaften Verweigerung der politischen Analyse zu liegen. Viele Redaktionen ziehen ein am Melodram geschultes Reizerregungsschema vor. Der Kampf gegen den IS ist nur so lange interessant, solange er als eine Art Vampirschauspiel konsumiert werden kann: Die Unterwelt entsteigt den Katakomben und will Blut. Dann sind „wir“ alle Kobani! Wenn der Kampf länger dauert und wie jeder Krieg furchtbar ist, zerstreut sich die volatile Anhängerschaft und nimmt sich des nächsten Themas an, das wohliges Grauen verspricht.

Belastbares politische Interesse aber speist sich vor allem aus der Sensibilität für Grauzonen, für Kompromisse, Aushandlungsprozesse, Übergangslösungen, gepaart mit langfristigen Visionen. Kernige Maximalforderungen illustrieren das Gegenteil.

Mit Kobani ist der IS nicht besiegt. Gerade deshalb muss das Ereignis Anlass sein, um die Strategie der US-geführten Allianz zu diskutieren. Was lässt sich mit ihr gewinnen, was nicht? Immerhin sollen in Kobani Kämpfer in vierstelliger Zahl gestorben sein, die Stadt mit ehemals 200.000 EinwohnerInnen ist so gut wie leer. Jetzt werden Angriffe der IS-Milizen auf Kirkuk im Norden Iraks gemeldet. Wie reagieren die USA?

Wenn die Öffentlichkeit das Schlachtfeld Syrien-Irak allein den Spindoctors aus Militär und Melodram überlässt, wird sich der Terror weiter ausbreiten. Denn beide Perspektiven haben – siehe Afghanistan – noch nie zu einer Befriedigung beigetragen.

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Ines Kappert
Gunda-Werner-Institut
leitet seit August 2015 das Gunda-Werner-Institut für Feminismus und Geschlechterdemokratie der Heinrich-Böll-Stiftung.   Mich interessiert, wer in unserer Gesellschaft ausgeschlossen und wer privilegiert wird - und mit welcher kollektiven Begründung.   Themenschwerpunkte: Feminismus, Männlichkeitsentwürfe, Syrien, Geflüchtete ,TV-Serien.   Promotion in Allgemeiner und Vergleichender Literaturwissenschaft zu: "Der Mann in der Krise - oder: Konservative Kapitalismuskritik im kulturellen Mainstream" (transcript 2008).   Seit 2010 Lehrauftrag an der Universität St. Gallen.
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