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Wehrpflichtige in der UkraineLieber ins Ausland als an die Front

Die Mobilisierung der Kiewer Regierung läuft nicht so wie geplant. Viele versuchen, sich dem Kriegsdienst zu entziehen und verlassen ihre Heimat.

Abschied in Kiew: Mehr 100.000 Menschen sollen dieses Jahr eingezogen werden. Bild: dpa

KIEW taz | 104.000 Frauen und Männer sollen in diesem Jahr zur ukrainischen Armee eingezogen werden. Die mit der am 20. Januar angelaufenen Teilmobilisierung Eingezogenen sollen der Armee zu einer Gesamtstärke von 250.000 Soldaten verhelfen und gleichzeitig Soldaten, die im März vergangenen Jahres einberufen worden waren, die lang ersehnte Entlassung aus dem Kriegsdienst ermöglichen.

Die Mobilisierung, so das Verteidigungsministerium, laufe nach Plan, bereits 95 Prozent der Erfassungsbriefe seien zugestellt, der Plan für medizinische Untersuchungen sei „übererfüllt“. Ende Januar sind nach Angaben des ukrainischen Verteidigungsministeriums 73.000 Ukrainern die Erfassungsschreiben zugegangen, 46.000 hatten bei den Armeeärzten die für die Einberufung erforderliche medizinische Untersuchung durchlaufen. Unter den in diesem Jahr Einberufenen sind auch 100 Frauen.

Einberufen werden können bei der Teilmobilisierung Männer zwischen 25 und 60 Jahren, auch wenn sie keine militärische Ausbildung haben. Befreit werden vom Militärdienst kann nur, wer aus medizinischen Gründen für untauglich erklärt wurde. Auch Studenten, Abgeordnete, Geistliche, Väter von mindestens drei minderjährigen Kindern oder Alleinerziehende werden vom Wehrdienst befreit.

Wer nachweislich einen nahen Angehörigen pflegen muss, wird ebenfalls von der Pflicht zum Militärdienst befreit. Frauen zwischen 25 und 50 Jahren können in geringem Umfang zum Militärdienst einberufen werden, wenn sie eine militärische Ausbildung oder einen medizinischen Beruf haben.

Erfasst und untersucht

Drei Dokumente müssen den Betroffenen zugestellt werden, bevor sie in den Krieg ziehen. Die zukünftigen Soldaten werden in einem ersten Schritt zu einem Gespräch vorgeladen. In Folge dieses Gespräches werden sie erfasst und von einem Militärarzt untersucht. Erklärt dieser sie für tauglich, können sie wenig später den Einberufungsbefehl erhalten.

Hatte es in den ersten Tagen der Teilmobilisierung im Januar noch den Anschein, als würde die überwiegende Mehrheit der Wehrfähigen der Einberufung Folge leisten, häufen sich Berichte von Ukrainern, die sich dem Kriegsdienst entziehen wollen.

In eigens gecharterten Sonderbussen würden Männer mehrerer Dörfer in Scharen ihre Heimat verlassen, um dem Kriegsdienst zu entgehen, beklagt sich der Militärkommissar der 240.000 Einwohner zählenden westukrainischen Stadt Tschernowitz im Karpatenvorland, Jurij Wjun. Gerade einmal zehn Prozent seien in Tschernowitz der Aufforderung, sich bei der Wehrbehörde zu melden, nachgekommen, zitiert die ukrainische Nachrichtenagentur UNIAN Wjun.

Er appellierte an die Abgeordneten des Stadtrates, mit gutem Beispiel voranzugehen und sich freiwillig für die medizinischen Tauglichkeitstests zu melden. Im Gebiet Tschernowitz macht unterdessen der Priester Michailo Schara von sich reden. Er forderte seine Gemeindemitglieder auf, ihre Kinder „nicht in den Tod zu schicken“.

Protest im Rathaus

Im Gebiet Iwano-Frankiwsk, ebenfalls in der Westukraine, klagt Jurij Birjukow, Berater des ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko, dass 57 Prozent der Einberufenen nicht im Wehramt erschienen seien. 37 Prozent der Männer im wehrpflichtigen Alter seien dort wegen eines Auslandsaufenthaltes überhaupt nicht erreichbar. Und 14 Bürgermeister von Dörfern hätten sich dort sogar geweigert, die Einberufungsbefehle zustellen zu lassen.

In dem Dorf Tscheremchiw im Bezirk Iwano-Frankiwsk hatten empörte Frauen das Rathaus gestürmt, den Sekretärinnen die Einberufungsbefehle entwendet und sie anschließend öffentlich zerrissen, berichtet die in Kiew erscheinende Komsomolskaja Prawda. In der Verwaltung des Gebietes von Dnepropetrowsk berichteten Angestellte, man vermisse 2.000 Männer, die erfasst werden müssen.

Wer nicht in die Armee eingezogen werden will, versucht sich den Behörden durch Ausreise nach Russland, Polen oder Ungarn zu entziehen. Über eine Million Ukrainer im wehrpflichtigen Alter halten sich derzeit nach Angaben des Russischen Migrationsdienstes in Russland auf.

Nur wenige Ukrainer verweigern offen den Kriegsdienst. Kriegsdienstverweigerern drohen zwischen 2 und 5 Jahren Haft. Einer, der sich zu diesem Schritt entschlossen hat, ist der 48-jährige Journalist Ruslan Kotsaba aus Iwano-Frankiwsk. Kotsaba, der 2004 auf dem Maidan gegen Wiktor Janukowitsch protestiert hatte und dies auch 2014 tat, hatte noch im Mai für Präsidentschaftskandidat Poroschenko gestimmt.

Strafverfahren gegen 7.472 Personen

Mitte Januar erklärte er in einer auf Youtube veröffentlichten Botschaft, warum er lieber ins Gefängnis gehen werde, als sich an dem „brudermörderischen“ Krieg zu beteiligen. Ein Friede, so Kotsaba, sei nur auf dem Verhandlungsweg zu erzielen. Gleichzeitig rief er alle Wehrpflichtigen auf, den Kriegsdienst zu verweigern. Die Staatsanwaltschaft leitete sofort erste Ermittlungen gegen den bekannten Fernsehjournalisten ein.

Ende Januar war ein namentlich nicht genannter weiterer Kriegsdienstverweigerer ukrainischen Presseberichten zufolge in Kirowograd zu einer Haftstrafe von zwei Jahren verurteilt worden. Gleichzeitig berichtet der Vize-Verteidigungsminister des Landes, Iwan Rusnak, man habe 1.336 Strafverfahren gegen insgesamt 7.472 Personen eingeleitet, die sich dem Kriegsdienst zu entziehen versucht hatten.

Regierung und Behörden versuchen, dieser Entwicklung entgegenzuwirken. Abgeordnete fordern eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit von Wehrpflichtigen. So arbeitet der Generalstab der ukrainischen Armee derzeit an einer Gesetzesvorlage, die Wehrpflichtigen zwingt, Reisen in andere Gebiete oder gar das Ausland bei der zuständigen Wehrbehörde genehmigen zu lassen.

Anton Geraschtschenko, Berater des ukrainischen Innenministers, forderte, die Aufforderung zur Kriegsdienstverweigerung müsse strafrechtlich verfolgt werden können. Die ukrainischen Behörden, so die Pressesprecherin des ukrainischen Verteidigungsministeriums, Wiktoria Kuschnir, erstelle derzeit eine Datenbank von Wehrdienstverweigerern. Wer den Kriegsdienst verweigere, müsse mit einer Strafe rechnen.

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19 Kommentare

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  • Wir müssen die Deserteure bewaffnen, damit sie sich den Weg in die Freiheit notfalls freischießen können. Aus Humanität muss die Weltgemeinschaft einschreiten und diese Männer retten.

    Aber aus Humanität passiert nichts auf der Welt, stimmts? Nur aus Interessen.

  • Ich habe mir den Artikel ein zweites mal in Ruhe durchgelesen und kann einfach nur vor Trauer weinen. Danke für diesen plastischen Artikel, der einem vor Augen führt, was es heißt Krieg zu führen. Ganz konkret. Wie können es Regierungen aushalten , dass Menschen sterben und verheißt werden . Unterschätzt die trauernden Mütter nicht. Sie werden ihren Hass auf die Politiker niemals verlieren . Ein sinnlos ermordeter Sohn ,ermordet für politische Interessen .

  • Super! Gut, wenn die Männer endlich schlau werden, das ist nötig zur Besserung.

    Alles Gute, Wehrdienstverweigerer!!!

  • 6G
    6580 (Profil gelöscht)

    da gibt es noch die Möglichkeit sich vom Wehrdienst per Korruption freizukaufen, was zu einer erheblichen Einkommensquelle für die Beteiligten des Apparates geworden ist. Die Preise sollen zwischen 800 US-Dollar im ärmlichen Gebieten und 3000 Dollar in Kiew liegen.

  • Wie blöd muss der manipulierte und entfremdete Mensch sein, ob mit oder ohne Abi, um sich fürs westliche Banken-, Börsen- und Monopolkapital, für die US-Nato-EU-BRD-Administration, Rüstungs- und Rohstoffbourgeoisie und Dividendenaktionär/innen verheizen zu lassen?

  • Klar, Abgeordnete und Führer wie der Rüstungsunternehmer Poroschenko sind natürlich (tauglich oder nicht) befreit vom Kriegsdienst. Genau wie pflegende Angehörige. Offenbar entspricht die Mitarbeit im Parlament, ebenso wie die Pflege alter oder kranker Angehöriger, 2-5 Jahren Knast. Aber he! Irgendwer muss den Krieg ja schließlich überleben. Für wen fände er sonst statt?

    • @mowgli:

      Ja, wer sich der Einberufung widersetzt, der kommt ins Gefängnis. An der Front sieht dies schon anders aus. Laut einem neulich in Kiew verabschiedeten Gesetz haben die Offiziere jetzt die Vollmacht, ihre Soldaten mit der Waffe zur Erfüllung der Befehle zu zwingen, bis hin zur Erschießung von Deserteuren.

  • Na wenn die wüssten, dass nach der Münchner Sicherheitskonferenz beschlossen wird, sie mit den neusten Hightechwaffen made in USA auszurüsten, würden sie sich das mit dem Brudermord vielleicht doch nochmal anders überlegen... aber Spaß beiseite: ganz so doof, wie so mancher Volksverhetzer dies- und jenseits des grossen Teichs sich das vorgestellt hat, sind die Westukrainer dann ja vielleicht doch nicht. Es bleibt zu hoffen, dass sie die Waffen nutzen, um die Putschisten in Kiew zu vertreiben.

     

    Uiui, vielleicht sollte ich nach dem letzten Satz vielleicht doch besser SATIRE dazu schreiben... wobei: veröffentlicht wird hier ja eh nur noch selten, was nicht passt, oder? ;-)

  • Wie ist die juristische Lage?

    Koennen Kriegsdienstverweigerer in Deutschland mit Asyl rechnen, sind bereits Antraege auf Asyl entschieden?

     

    Wie koennen wir helfen, gibt es Organisationen die den Kriegsdienstverweigerern helfen?

    • @hein bloed:

      Da habe ich auch gerade dran gedacht.

       

      Ich würde sofort so jemanden hier unterbringen können bei mir und schauen, wie man das finanzieren kann.

       

      Afaik sollte doch die Visumspflicht für Ukrainer abgeschafft werden. Ich weiß aber nicht, ob die schon offiziell in der BRD sich Arbeit suchen dürfen.

       

      Da würden mich Auskünfte von in der Flüchtlingspolitik bewanderten Menschen auch mal interessieren. Hoffentlich macht irgendeine pazifistische Partei in der BRD dazu mal Aktionen, damit den Menschen geholfen wird.

      • @Age Krüger:

        Ja, die Situation für KDV in Ukraine selber ist ja kriminalisiert. Geldstrafen und Gefängnis. Informationen über KDV in den Ukraine wird strikt unterdrückt im Lichte des "BruderkriegZustandes" und gilt als Wehrkraftzersetzung. Und Soldaten an der Front, die den Kriegsdienst verweigern, können Standrechtlich erschossen werden, wie auch Deserteure.

        Ist somit anzunehmen, das viele junge Ukrainer aus Angst vor den Konsequenzen der KDV, ihr Gewissen unterdrücken und eben Soldaten sind.

        Oder Selbstmord, oder versuchen abzuhauen. Über Polen in die EU, über Russland.

        Es gibt nur Schätzungen über die Anzahl der inhaftierten KDV oder denen die abgehauen sind.

        Auch sind viele Deserteure und KDV´s unter den Flüchtlingen aus Syrien/Iraq die in BRD immerhin in Frieden leben.

        Zufolge des geltenden EU Asylrechts sollten junge Menschen aus der Ukraine in der BRD /EU als Asylanten geduldet (oder willkommen) sein, weil in ihrem Heimatland Krieg herrscht..

  • Allen Desserteuren viel Glück in der Fremde! Bringt eure Familien in Sicherheit. Im 21. Jahrhundert sollte Krieg nicht mehr die Lösung von Problemen sein. Jedenfalls nicht in Europa.

  • Da bin ich mal gespannt, wie ukrainische Flüchtlinge in Sachsen willkommen sind... Es sind ja Christen.

    Wenn Sachsen bereit ist, diese komplett aufzunehmen, dann finden sich sicher andere Länder, die vermehrt Syrer und Afrikaner aufnehmen.

    • @robby:

      Und wenn die "Syrer und Afrikaner" sich ebenfalls dem Kriegsdienst entziehen wollen, aus ganz unchristlichen Motiven? Einfach so weil sie das Menschenrecht verinnerlicht haben?

       

      In Sachsen gibt es uebrigens fast gar keine Christen, maximal 25% der Bevoelkerung dort sind getauft.Die meisten davon zwangsweise.

      • @hein bloed:

        Keiner verlässt die Heimat auf solche Art und Weise ohne zwingenden Grund. Deshalb sollten wir auch alle aufnehmen. Wenn sich Pegida und die rechten Gruppen gegen eine Islamisierung wenden, dürften sie ja ukrainische Flüchtlinge nicht anlehnen, wenn sie es ernst meinen und auch ernst genommen werden wollen.

  • Wer schlau ist geht stiften.Wieso für sehr fragwürdige Interessen sein Leben opfern?

    • @Markus Müller:

      Sollen sich doch die Großkopferten gegenseitig totschlagen, da bleibt der Schaden überschaubar.

      • @Dudel Karl:

        Das war ja schon im Altertum zuweilen so, daß, wenn sich zwei feindliche Heere gegenüberstanden, nur die beiden Könige bzw. Heerführer geprügelt haben. Wer von den beiden gewann, hatte auch die Schlacht gewonnen, und statt eines Gemetzels mußten dann die Soldaten des geschlagenen Bosses lediglich die Tracht wechseln. :-)

  • Jedem Deserteur gebührt ein Ehrendoktortitel.