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Kommentar Flüchtlingssterben LampedusaWohlfeiles Entsetzen

Michael Braun
Kommentar von Michael Braun

Zufrieden waren viele, als die Seenotrettung Mare Nostrum eingestellt wurde, denn sie wirke ja wie ein „Magnet“ für Flüchtlinge. Jetzt trauern wieder alle.

Sie haben Glück gehabt: Gerettete Flüchtlinge auf einem Boot der italienischen Marine. Bild: reuters

J etzt ist wieder einmal, wenigstens für ein paar Tage, Entsetzen angesagt. Wieder einmal wird Lampedusa zu Europas Leichenschauhaus, wieder einmal haben Menschen ihren Traum von einem besseren Leben mit dem Tod bezahlt.

Doch das Entsetzen wird schnell verfliegen, es wird – so steht zu befürchten – folgenlos bleiben. Noch vor einigen Monaten schien es, als käme Bewegung in die Diskussion über die europäische Flüchtlingspolitik. Auch in Deutschland fanden sich prominente Stimmen für die Fortsetzung der humanitären Rettungsaktion Mare Nostrum, auch in Deutschland wurde über eine europäisch koordinierte Aufnahmepolitik geredet.

Doch dann stellte Italien im letzten November Mare Nostrum sang- und klanglos ein. Und erneut findet sich die europäische Debatte auf dem Stand, auf dem sie vorher schon war: im Pingpong zwischen den beiden Polen „Flüchtlingsnotstand“ und „Flüchtlingskatastrophen“. Flüchtlingsnotstand herrscht pünktlich immer dann, wenn „zu viele“ kommen, wenn Bilder von überfüllten Lagern in Italien über die Bildschirme flimmern. Der erste Reflex ist dann jedes Mal Abwehr. Zufrieden waren denn auch viele europäische Staatskanzleien mit der Einstellung Mare Nostrums, weil die systematische Rettung ja recht eigentlich als „Magnet“ wirke, wie es immer wieder hieß.

Dann aber gibt es mit unschöner Regelmäßigkeit die Flüchtlingskatastrophen. Mare Nostrum war ein großer Fortschritt, weil es nicht auf Abwehr setzte, sondern auf systematische Rettung. Dieser Perspektivwechsel währte aber nur ein Jahr. Jetzt herrscht erneut Entsetzen, doch es ist wohlfeil: Es sind Italien und Europa, die den Flüchtlingen erneut den Rücken zugewandt haben – und so dafür sorgen, dass das Mittelmeer auch in Zukunft zum Massengrab wird.

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Michael Braun
Auslandskorrespondent Italien
Promovierter Politologe, 1985-1995 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Unis Duisburg und Essen, seit 1996 als Journalist in Rom, seit 2000 taz-Korrespondent, daneben tätig für deutsche Rundfunkanstalten, das italienische Wochenmagazin „Internazionale“ und als Wissenschaftlicher Mitarbeiter für das Büro Rom der Friedrich-Ebert-Stiftung.
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4 Kommentare

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  • 1G
    12294 (Profil gelöscht)

    Es ist richtig, die derzeitige Situation ist kaum haltbar. Aber auch Mare Nostrum war nur eine halb gare Lösung. Aus meiner Sicht gibt es zwei mögliche Ansätze: Entweder man richtet gleich einen regelmäßigen Fährverkehr von Nordafrika nach Lampedusa ein oder man lässt die Asylbewerber ihre Anträge gleich in Nordafrika stellen und lässt die, deren Gesuch akzeptiert wird, sicher nach Europa bringen.

  • Man kann das 50 Millionen-Flüchtlings-Problem nicht dadurch lösen, dass man Schleppern Milliardengewinne für die Schleusung zahlungskräftiger Flüchtlinge nach Europa überläßt.

    Man muss den Flüchtlingen in den Lagern vor Ort, nahe ihrer Heimat helfen, in dem man ihnen Sicherheit bietet - notfalls in militärisch geschützten Zonen. Und in dem man sie menschenwürdig unterbringt und versorgt. Wenn man derzeit die Bilder aus diesen Lagern sieht, kann man nur noch kotzen vor derart viel westlicher Untätigkeit,

    • @Richard Kotlarski:

      was verstehen Sie unter westlicher Untätigkiet, etwas genauer bitte zB als Im Ex Jugoslawienkonflikt monatlich 40.000 Menschen an Deutschlands Tore klopften, ham UK gerade mal 176 Flüchtlinge auf, man muss, was ? Frieden schaffen, dann löst sich das Problem von alleine !

  • Erst wenn die ersten Leichen in Mallorce am Ballermann angeschwemmt werden, erst dann wird die Vier-Buchstaben-Repubblik aufwachen...