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Debatte Aufklärung in der SchuleSexualpädagogik hat Grenzen

Das Thema Sex im Schulunterricht darf das Schamgefühl der Kinder nicht verletzen. Sonst können sie leichter Opfer von Missbrauch werden.

Scheinbar lief bei ihrer Sexualerziehung nichts schief. Bild: reuters

K inder und Jugendliche brauchen dringend Orientierung im Dschungel der sexuellen Botschaften und des heute jederzeit zugänglichen sexuellen Bildmaterials. Deshalb ist es auch Aufgabe schulischer Sexualpädagogik, Eindrücke zu sortieren, Falschinformationen richtigzustellen und zu vermitteln, dass bestimmte Themen zur Sexualität Erwachsener gehören beziehungsweise gehören können. Sexualpädagogik darf der Wissensflut nicht noch mehr Details hinzufügen und die Sexualität restlos ausleuchten.

Sexualpädagogik muss besonders sensibel mit den Grenzen von Intimität und Scham von Schülerinnen und Schülern umgehen. Dieser Leitgedanke sollte für alle von ihr verwendeten Methoden gelten. Hier setzt meine Kritik an dem von Elisabeth Tuider durch ihr Buch „Sexualpädagogik der Vielfalt“ zur Diskussion gestellten Ansatz an. Wenn beispielsweise Schülerinnen und Schüler in ihrer Klasse über ihre eigenen sexuellen Erfahrungen sprechen sollen, ist das grenzüberschreitend und nicht akzeptabel.

Schamgefühl ist ein wichtiger Schutz für Mädchen und Jungen, um zu spüren, wann ihre Grenzen verletzt werden, und sich entsprechend zu schützen. Es ist eine bekannte Täterstrategie, Kinder in Gespräche mit sexuellen Themen zu verwickeln und ihre schützenden Widerstände mit falscher Scham abzutun. Bei Mädchen und Jungen, die Grenzüberschreitungen gewohnt und deshalb desensibilisiert sind, haben die Täter ein leichteres Spiel. Deshalb ist es so wichtig, dass diese Grenze in der Sexualpädagogik nicht überschritten wird, sondern ganz im Gegenteil die Bedeutung von Intimität sowie der achtsame Umgang mit den eigenen Grenzen und dem eigenen Körper („Mein Körper gehört mir“) vermittelt werden.

Aktuelle Empfehlungen für die Bildungspläne der Länder, sexuelle Vielfalt fächerübergreifend an Schulen zu behandeln, wurden in den letzten Monaten immer wieder gleichgesetzt mit Empfehlungen aus dem Methodenbuch „Sexualpädagogik der Vielfalt“ von Elisabeth Tuider. Eine unzulässige Vermengung, die eine Welle von unberechtigter Kritik und Stimmungsmache gegen modernde Sexualpädagogik hervorgerufen hat.

Gegen pauschale Kritik

Ich trete pauschalen Anfeindungen gegen eine moderne Sexualpädagogik ausdrücklich entgegen. Grenzachtende moderne Sexualpädagogik ist sehr wichtig für den verantwortungsvollen und respektvollen Umgang mit Beziehung und Sexualität, für die Vermeidung von sexueller Gewalt und ein offenes und tolerantes Miteinander, das sich an heutigen Lebenswelten orientiert.

Moderne Sexualpädagogik muss sich aber offensiv der kritischen Prüfung stellen: Wann entfaltet sie positive präventive Wirkung und wann werden durch ihre Instrumente und Methoden unverantwortlich Grenzen überschritten?

Sexualpädagogische Arbeit muss allen Schülerinnen und Schülern gerecht werden – auch denen, die von sexueller Gewalt betroffen sind. Deshalb muss bei der Entscheidung für Themen und Methoden auch immer bedacht werden, wie sich Mädchen oder Jungen fühlen, die missbraucht wurden.

Vorbeugung ist wichtig

Sexualpädagogik ist für die Prävention von sexueller Gewalt von großer Bedeutung. Sie kann den entwicklungspsychologisch völlig natürlichen Wissensdurst von Mädchen und Jungen zu sexuellen Fragen in einem pädagogischen Kontext stillen. Sie macht Kinder sprachfähig zu sexuellen Themen. Das ist eine sehr wichtige Voraussetzung dafür, dass sich Kinder bei sexuellen Übergriffen überhaupt anvertrauen und Hilfe holen können. Mädchen und Jungen brauchen dieses Wissen aber auch, um Täterstrategien eher zu erkennen, um nicht leicht manipuliert oder perfide ausgenutzt zu werden.

Schülerinnen und Schüler müssen wissen, dass sexuelle Übergriffe keine Spielart von Sexualität sind, sondern pure Gewalt, die sich sexueller Mittel bedient. Sexualpädagogik kann vermitteln, dass Sexualität wertvoll für das menschliche Leben ist, während sexuelle Gewalt schwere Folgen haben und die Fähigkeit, zu vertrauen, schwer belasten kann. Sexualpädagogik muss Antworten darauf finden, dass Mädchen und Jungen oft schon ein sexuelles Wissen besitzen, das für ihre eigene psychosexuelle Entwicklung noch gar nicht relevant ist und sie zum Teil nachhaltig verstören und verunsichern kann.

Ich halte es angesichts der aktuellen Debatte für unabdingbar, dass Schule und Elternhäuser bei diesen Themen enger zusammenwirken und sich ergänzen. Das Recht der Eltern auf Information darf keine Formalie sein. Schulen können Elternverantwortung nicht übernehmen. Elternabende bieten die Chance, das Vertrauen der Eltern in die schulische Sexualerziehung und ihre Anliegen zu gewinnen, Unsicherheiten abzubauen und Eltern zu ermutigen, dieses Bildungsthema nicht an die Schule abzutreten, sondern es aktiv mitzugestalten.

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15 Kommentare

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  • Eine kluge und bedachte Stellungnahme unseres UBSKM.

     

    Aktuell flammt die unsäglich polemisch geführte Debatte um die "Vielfalt" gerade wieder auf. Diesmal in Hessen http://www.faz.net/aktuell/rhein-main/lehrplan-hessen-beitrag-zu-sexualisierung-von-kindern-14448611.html

     

    Wer sich ein Bild darüber machen will, wie (Früh-)Sexualisierung funktioniert und welche Schäden sie anrichtet, dem lege ich die Homepages von Opferinitiativen wie diesen http://www.eckiger-tisch.de/ http://www.schafsbrief.de/ http://www.missbrauchsopfer-josephinum-redemptoristen.de/ http://initiative-ehemaliger-johanneum-homburg.de/ http://uuuuuuuuu.de/ http://www.intern-at.de/ http://www.aufrecht.net/utu/religion.html http://skydaddy.wordpress.com/tag/kindesmissbrauch/ http://glasbrechen.de/ http://www.das-schweigen-brechen.org/

     

    ans Herz.

     

    Angelika Oetken, Berlin-Köpenick, eine von 9 Millionen Erwachsenen in Deutschland, die als Kinder und/oder Jugendliche Opfer schweren sexuellen Missbrauchs wurden

  • Ich gebe Herrn Rörig inhaltlich in allem, was er anführt Recht.

    Ansonsten gilt für mich immer noch, was ich auf Amazon zu dem Buch geschrieben habe.

     

    Es darf einfach nicht sein, dass in einem Fachbuch zum Thema "sexuelle Vielfalt" der sexuellen Ausbeutung, dem Missbrauch nur wenige Seiten gewidmet werden. Und dann lediglich eine "Nein-Sagen"-Übung vorgeschlagen wird.

    Auch sexuelle Ausbeutung, Übergriffe, Gewalt sind Teil der ganz alltäglichen Sexualkultur. Heranwachsenden ist das oft besser bewusst als Erwachsenen.

    Haben die AutorInnen etwa da noch was aufzuarbeiten?

  • Dass die Evangelikalen, die in BW die Debatte angefacht haben, erstmal in ihren eigenen Reihen mit der Aufklärung und Aufarbeitung beginnen sollten, zeigt sehr anschaulich der Fall der von der Korntaler Brüdergemeinde betriebenen Kinderheime.

    Die Brüdergemeinde sind nicht irgendwelche Sektierer, sondern ziemlich gut vernetzt. Außerdem zu ansehnlichem Einfluss und Wohlstand gekommen. Weshalb die neu gebildete Aufarbeitungskommission sich jetzt auch finanzieller Untreue im Zusammenhang mit der systematisch betriebenen Missbrauchskriminalität annehmen will http://heimopfer-korntal.de/erstes-treffen/

    Diese Brüder wären nicht die ersten, die sich auf Kosten der ihnen vom Staat anvertrauten Kinder bereichert haben. Und auch nicht die einzige verschworene Truppe, die Moral predigt, aber damit nur verdecken will, dass sie mit sexueller Übergriffigkeit nicht umgehen kann. Eigentlich ein Fall für eine Gruppentherapie - durchaus ernst gemeint. Die Parallelen zu einem bekannten Tatort, der mit Korntal mehr Gemeinsamkeiten hat als Trennendes: die Odenwaldschule. Auch dort wurden Kinder mit Unterstützung der Jugendämter zwangsweise festgehalten und Platzgelder eingesteckt, ohne dass eine entsprechende Gegenleistung erfolgte. Besonders erschütternd: die Hinweise darauf, dass die Kinder auch noch zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung weiter vermittelt wurden. In Korntal und an der Odenwaldschule. Auch das ist nicht selten.

     

    Angelika Oetken, Berlin-Köpenick, eine von 9 Millionen Erwachsenen in Deutschland, die in ihrer Kindheit und/oder Jugend Opfer schweren sexuellen Missbrauchs wurden

  • Etwas mehr Mumm könnte hier nicht schaden. Sexualpädagogik hat überhaupt erst dazu geführt, dass sexualisierte Gewalt so stark in den Blick gekommen ist und dass Rörig UBSKM ist. Woher die Angriffe kamen und wie etwa die Gruppe der so genannten "Besorgten Eltern" in rechte Kreise verstrickt sind, hat sogar der Spiegel geschrieben (" Proteste gegen Sexualkunde: Wer sind die "besorgten Eltern"?"). Insofern: Kommen wir wieder zu einer ruiiheren Argumentation zurück - Sexualität ist nun einmal da und da brauchen wir eine innovative Sexualpädagogik. Lesenswert sind u.a. die Beiträge in der PRESSE ("Kindergarten: “Das Thema Sexualität ist sowieso da”") und in der Süddt. Zeitung (“Doktorspiele sind völlig in Ordnung”).

    • @Tacker:

      Der Bericht im Spiegel hatte Praktikantenniveau, sowas können Sie doch hier nicht zitieren.

  • Je länger die Debatte um einen neuen Sexualkundeunterricht geführt wird, je klarer wird, dass von den Initiatoren des Bildungsplans nicht mit offenen Karten gespielt wurde und wird.

     

    Dass sich der Missbrauchsbeauftragte des Bundes in die Debatte einmischen muss, zeigt sehr deutlich, dass es tatsächlich keine Abgrenzungen gegen Missbrauch bzw. Missbrauchsprophylaxe gab.

     

    Wenn etwas so diletantisch und schlecht vorbereitet wurde, dazu noch sich obskur mit ideologischen Weltsichten aufgeladen hat, warum sagt man nicht einfach STOP, SO NICHT! Zurück zum Ausgangspunkt ?

    Ist es etwa reine Eitelkeit zuzugeben dass man Bockmist gebaut und Millionen in den Sand gesetzt hat ?

     

    Warum holt man nicht Eltern, Pädagogen,Missbrauchsbeauftragte, Vetreter sexueller Minderheiten, Entwicklungspsychologen, Medienpädagogen, Sexualpädagogen und von mir aus auch die Kirchen etc. an einen Tisch und überprüft

    das ganze und verbessert es oder konzeptiert es neu ?

  • Großen Dank Herr Röhrig. Endlich, ein in keiner Weise ideologisch durchtränkter Artikel zum Thema Sexualerziehung. Auch wenn es seit Jahrzehnten abgedroschen klingt, -aber Kinder sind nicht die Spielwiese für weltanschauliche und ideologische Fantasien.

  • schon die Zumutung Schulem müsste sortieren beim letzte Elternabend sprach die Leiterin der X Stufe an dass Sie und weitere Lehrerinnen mit den Gören von c 12 Jahren nicht zurecht kommen und die Eltern doch bitte auf ihre Kinder einwirken möchten meiner Tochter wurde jetzt eine Ordnungsmassnahme angedroht weil sie das erste mal in 3 Jahren sich mit einer Schülerin in die Haare bekam udn dann mit unfeinen Ausdrücken weis Gott wo sie dei herhatte, um sich warf daraufhin wurde eine Konferenz einberufen und meine Tochter und ihre Freundin verdonnert wurden und solche Lehrkräfte will man im Fach SEX auf dei Kinder loslassen ein homerisches Gelächter

  • Bei Aufklärung nur an Gewalt zu denken und Sexualaufklärung den schwarzen Peter zuzuschieben das es Gewalt gibt ist doch eine völlige Verdrehung der Tatsachen.

    Sexualpädagoguk hat NICHT die Aufgabe Gewalttäter hinter Gitter zu bringen sondern jungen Menschen auf den Spaß der Sexualität vorzubereiten.

    Sexualaufklärung ala "aber nur wenn....." ist genau das falsche Signal.

    Sexualkundesollte nicht das Spielfeld religiöser Fanatiker oder Weltverbesserern sein

    • @S3basti8n:

      Sexualität ist nicht nur "Spaß". Wie fast alles im Leben hat sie viele Facetten. Negatives, Bedrohliches, Schmerzhaftes gehört genauso zu ihr wie Freude, Lust und eben - Spaß.

      Die Schule hat erstmal die Aufgabe Wissen zu vermitteln. Also auch welches über Sexualität.

      Und natürlich ist dafür wichtig zu vermitteln, was sexueller Missbrauch ist, wie er festgestellt, geahndet, vermieden wird. Und wo sich betroffene Schüler und ihre mitbetroffenen Freunde Hilfe und Rat holen können.

    • @S3basti8n:

      Na,dann hoffen wir mal , dass der Lehrer auch ne Menge Spass an der Sexualität hat und das anschaulich rüberbringen kann. So ein Ouark.

       

      Wenn die Grenze da ist wo die Kinder sich schämen, dann können sie den ganzen Unterricht vergessen und sofort einpacken. In der dritten geht der Unterricht los, egal wie weit die einzelnen Kinder sind und ob sie schon Fragen haben.. Aber heutzutage, wo sie ständig mit halbnackten und Pornos auf Handys konfrontiert sind , ist eine Aufklärung über Grenzen und den eigenen Willen und Schönheitswahn sehr wichtig. Tu nur was du willst, lass dir Zeit , kenne deine Grenzen usw...ich hab noch nie von einem guten Sexualkundeunterricht gehört... warum auch, der Unterricht generell lässt oft zu wünschen übrig. Alles Glückssache.

    • @S3basti8n:

      Wie bitte? "auf den Spaß der Sexualität vorzubereiten". Das ist doch nicht die Aufgabe von Lehrern. Was soll Schule den noch alles leisten?

  • „Scheinbar lief bei ihrer Sexualerziehung nichts schief.“

    Scheinbar nur, aha - was stimmt denn mit den beiden nicht?

  • Ein so guter Kommentar gibt es in der Taz nicht oft, liegt wohl daran, dass der Herr kein eigentlicher Taz-Schreiberle ist.

  • also auf ein Neues der Sexualunterricht in den Schulen ist eine Katastrophe obwohl Eltern mitreden sollen sogar müssen, missachetn Schulen dieses Gebot da kann man lange mit den Schulen diskuttieren der Sexualunterricht ist ein Witz schnell mal 1 oder 2 Stunden von Lehrkräften die eigentlich nur ihre eigenen Sexualvostellungen vertreten und diese Kindern aufs Auge drücken !