piwik no script img

Kommentar türkische Armee in SyrienSignal aus dem Mausoleum

Jürgen Gottschlich
Kommentar von Jürgen Gottschlich

Die Türkei weigerte sich bislang, die Anti-IS-Koalition wirksam zu unterstützen. Mit dem Einmarsch in Syrien könnte sich das jetzt ändern.

Nach dem Militäreinsatz in Syrien: Türkische Panzer in der Grenzstadt Kobani. Bild: reuters

M onatelang standen die türkischen Panzer an der Grenze zu Kobani, und ihre Besatzungen schauten tatenlos zu, wie die Terrormiliz des Islamischen Staates die kurdische Grenzstadt in Schutt und Asche legte. Jetzt, Wochen nachdem die Schlacht um Kobani nach dem Tod Hunderte, wenn nicht Tausender dank amerikanischer Luftunterstützung zugunsten der Kurden entschieden wurde, rollen plötzlich die Panzer. Allerdings nicht, um in die Kämpfe in Syrien einzugreifen, sondern um einige türkische Soldaten zu retten, die isoliert innerhalb Syriens ein türkisches Mausoleum bewacht haben.

Die Frage ist: Warum jetzt? Innenpolitisch war der Zeitpunkt günstig, um von einer erbitterten parlamentarischen Auseinandersetzung um ein neues Sicherheitsgesetz abzulenken, dass in derselben Nacht durchs Parlament gebracht wurde. Interessanter ist aber der außenpolitische Aspekt: Bislang gab es ein stillschweigendes Agreement zwischen der türkischen Regierung und dem sogenannten Islamischen Staat, sich, wenn nicht zu unterstützen, so doch zumindest gegenseitig nicht wehzutun.

Deshalb weigert sich die Türkei bislang auch, die Anti-IS-Koalition wirksam zu unterstützen. Das könnte sich jetzt ändern. Aus kurdischen Quellen ist zu hören, dass der türkische Militäreinsatz mit den politisch Verantwortlichen in Kobani abgesprochen war. Der neue Platz für das Mausoleum liegt ebenfalls auf kurdischem Gebiet.

Es könnte also sein, dass die türkische Regierung langsam auf die amerikanisch-kurdische Allianz zugeht. Da die Kurden zurzeit auf eine vom IS gehaltene Grenzstadt vorrücken, wird man bald wissen, ob die Erdogan-Regierung die IS-Milizen wirklich fallen lässt oder nicht. Den Menschen in der Region wäre es zu wünschen, denn das würde auch den kurdisch-türkischen Friedensprozess erleichtern.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Jürgen Gottschlich
Auslandskorrespondent Türkei
Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • Und wieder einmal eine total abwegige Theorie. Man mag kaum glauben, dass dieser Autor tatsächlich in der Türkei lebt. Ein Blick auf die Karte hätte gereicht um zu sehen dass die im Kriegsfall zu verteidigende Grenze mit mehr als 500 km im Falle von Syrien und mit mehr als 200 km im Falle vom Irak zu buche schlägt und somit einfach zu lang ist um verteidigt werden zu können. Eben jene Zone in der man damals gegen kurdische Terroristen nicht ankam. Wohl wissend, dass es sich bei den Assads um eine Diktatorensippschaft handelt, hat sich Erdogan mit ihnen gut verstanden, damit sie eben die PKK nicht mehr unterstützen mögten.

    Also, den Europäern waren ihre Soldaten zu wertvoll, als dass sie sie nach Kobane geschickt hätten. Den Jordaniern wurde ein Pilot enthauptet und die haben sich schon zurückgezogen. Weshalb also um himmelswillen Herr Gottschlich sollte die Türkei ihren kompletten Südosten in Gefahr bringen? Wäre es nicht besser sie organisierten irgendwelche Gezi Proteste?

  • Mit der syrischen Regierung war der Einsatz jedenfalls weder abgesprochen noch von dieser genehmigt.

    Also handelt es sich um eine militärische Aggression gegen Syrien.

    Wird an anderer Stelle nicht ständig gefordert, das militärische Eimischungen in anderen Ländern sanktioniert werden müssen?

    • @Kein Genfutter bitte!:

      In erster Linie wird immer von der Türkei was gefordert. "Marschiert da ein, wir kommen schon nach!"

      Das witzige dabei ist, dass man im Falle von Kobane die Syrische Regierung gar nicht gefragt hatte, ob die Türken reingehen und die Kurden beschützen dürften. Die gleichen Leute sind jetzt empört, dass die Türken reingegangen sind und die eigenen Soldaten, die man seit acht Monaten nicht austauschen konnte befreit hat. Und jenes Gebiet wird gar nicht von der syrischen Regierung kontrolliert. Womit wir beim sog. "ultimate reason" angelangt wären... Genau deswegen war die Exklave in Gefahr und deswegen hat man sie evakuert. Auf dem Weg dorthin ist man mit Sicherheit keiner einzigen syrischen Einheit oder Polizei begegnet. Die Meldung an den syrischen Konsul war rein höflichkeitshalber, also ja, eher eine Farce. Und die syrische Regierung ist "empört" weil sie endlich wieder etwas Beachtung findet. Sie, also die syrische Regierung sind eigentlich Froh darüber, dass die Türken keine Ausrede mehr haben in Syrien einzumarschieren, und auch ihr solltet Froh sein dass nicht der Bündnisfall eintritt. Hmm, weshalb wart ihr jetzt empört?

  • Oh Gott.

  • Es wäre besser, wenn die Türkei die Überreste des angeblichen Suleyman Sah nach Ankara bringt. Der Platz muss schon reserviert sein: im Neu-Palast. Vorher sollen sie zunächst überprüfen, ob die Überreste überhaupt einer osmanischen Person gehören. Die Ideologie des Türkentums wurde in der Türkei nicht von den Türken (Turkmenen, Jörüken etc.) sondern von den Angehörigern der Minderheiten als Überbleibsel des Osmanischen Reiches vorangetrieben als Deckmantel der Verschleierung eigener Identität und zur eigener Machtlegitimation. Das war bei Enver, Mustafa Kemal und Ismet Inönü so wie auch bei Recep Tayyip Erdogan so. Aziz Nesin hat einmal mit 60 % zutreffend formuliert.