Streit um historische Gebäude: Sanierung oder Neubau
Rot-Grün möchte den Abriss historischer Wohnungen in Wandsbek verhindern, die Genossenschaft stattdessen lieber günstigen neuen Wohnraum schaffen.
HAMBURG taz | Gerade haben in Hamm die Abrissbagger damit begonnen, den „Elisa“-Komplex einzureißen, da beginnt in Wandsbek der nächste Streit um historische Gebäude, die eine Wohnungsgenossenschaft abbrechen lassen möchte: Die Wohnungsgenossenschaft Hamburg-Wandsbek (WHW) möchte die letzten Terrassenhäuser des Bezirks abreißen und stattdessen 66 neue Wohnungen errichten, ein Drittel davon Sozialwohnungen. Rot-Grün in der Bezirksversammlung hingegen plädiert für den Erhalt der „historischen Bausubstanz“.
Für den WHW-Vorstand ist eine Modernisierung aus wirtschaftlicher Sicht nicht machbar: „Als Genossenschaft ist es unsere Aufgabe, günstigen Wohnraum zu schaffen und das geht nur durch einen Neubau.“ Bei einem Neubau würde die Kaltmiete 5,90 Euro pro Quadratmeter betragen, bei einem sanierten Altbau etwa 15 bis 16 Euro, hat die VHW kalkuliert.
Im Jahr 2011 will die Genossenschaft festgestellt haben, dass drei Viertel der Träger im Keller des Objekts durchgerostet seien. SPD und Grüne im Bezirk halten diese Aussage für sehr vage und fordern eine gründliche Begutachtung des Gebäudes. Aus diesem Grund haben sich beide Parteien auch mit der Forderung nach einer städtebaulichen Erhaltungssatzung an das Bezirksamt gewandt. Würde diese erlassen, müsste die WHW genau nachweisen, warum die Häuser abgerissen werden sollen. Oliver Schweim, Fachsprecher für Stadtplanung der Wandsbeker Grünen, sagt: „Wir möchten, dass die alte Bausubstanz genau angeschaut wird, weil diese Häuser in Wandsbek zu den wenigen Überbleibseln des Krieges gehören, die wir gerne für unsere Nachwelt erhalten würden.“
Vor rund hundert Jahren haben in erster Linie Arbeiter in Terrassenhäusern gelebt.
Charakteristisch für die mehrgeschössigen Bauten sind vor allem deren quere und zeilenförmige Ausrichtung zur Straße sowie ihre Innenhöfe. Rund um diesen Hofplatz wurden die Häuser neben- oder hintereinander errichtet und waren nur über einen Torweg oder über einen Eingang neben dem Vorderhaus zugänglich.
Terrassenhäuser wurden meist in eng besiedelten Arbeiterquartieren errichtet, da sie auf geringer Fläche Platz für viele Wohnungen boten.
Heutzutage gelten die wenigen Häuserzeilen, die auch nach dem Krieg noch erhalten sind, als historisch bedeutend. Viele Hamburger kämpfen daher für ihren Erhalt, um sie auch den nächsten Generationen zeigen zu können.
Momentan ruht das ganze Verfahren jedoch, durch eine Eingabe der Genossenschaft. Die Sprecherin des Bezirksamts Lena Voß sagt, es werde so lange keine Entscheidung geben , bis Petitions- und Planungsausschuss getagt haben. Das werde höchstwahrscheinlich erst im Mai der Fall sein.
Der Streit geht dennoch weiter – und zwar um den Begriff des „Terrassenhauses“. In Hamburg wird er für Riegel mit meist kleinen Arbeiterwohnungen genutzt, die sich quer zur Straße ans Vorderhaus anschließen. Rainer Schünemann, SPD-Fachsprecher für Stadtplanung in der Bezirksversammlung, bezeichnet die Gebäude in der Josephstraße zehn und zwölf als eben solche Terrassenhäuser. In den Augen des WHW-Vorstandes tritt das dagegen nicht zu: „Es waren nie klassische Arbeiterwohnungen, sondern stets normale, heute ältere Häuser.“ Außerdem sei auf alten Bauplänen, die der Wohnungsgenossenschaft vorliegen, erkennbar, dass die Häuser sowohl vor als auch nach dem Krieg mehrfach umgebaut worden seien: „Ein Terrassenhaus setzt ein Vorderhaus voraus, durch das man über ein Tor ins Hinterhaus gelangt. Aber ein Vorderhaus hat es in diesem Fall nie gegeben“, erklärt WHW-Vorstandsmitglied Ralf Niedmers.
Auch Rainer Schünemann weiß, dass die Häuser keine Originale mehr sind, hält sie aber aufgrund ihrer alten Bausubstanz dennoch für erhaltenswert. Sein Versuch, sie unter Denkmalschutz stellen zu lassen, scheiterte jedoch daran, dass sie sich nicht mehr im Originalzustand befinden. Somit bleibt die Erhaltungssatzung für ihn vorerst die „einzige Chance“.
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