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Debatte Kunst und KapitalDer Arschloch-Faktor in der Kunst

Kommentar von Georg Seeßlen

Künstler und Geldverdienen. Das ist eine schwierige Mischung. Zumal die Kluft zwischen den reichen und den armen Künstlern größer wird.

Große Kunst oder realistischer Kitsch? Bild: Photocase/h2solo

E s gab Zeiten, da sollte sich der Künstler gefälligst dafür entschuldigen, dass er für seine Arbeit auch Geld nahm. In den siebziger Jahren musste daher sehr dringlich eine Entgeistigung der Kunst-Praxis vorgenommen werden, das Recht des Künstlers darauf, für seine Arbeit so entlohnt zu werden, dass er oder sie Miete, Essen und Pampers für die Kinder bezahlen konnte, musste eingefordert werden.

Es galt, einen Mythos zu knacken, und der Schriftsteller Rolv Heuer, schon wieder so ein zu Unrecht fast Vergessener, formulierte es in seinem Buch „Genie und Reichtum“ so: „Der Dank der Welt füllt keinen Magen. Warum sollte der Nachruhm in der Nachwelt nicht einen Vorschuss zu Lebzeiten rechtfertigen? Jedes Gehirn hängt an einem Darm; wer die Welt verändert, muss kleine Stücke von ihr aufessen. Trotzdem scheinen Geld und Geist sich abzustoßen. Geist ist öffentlich. Geld ist privat. Geist ist Anzug, Geld Unterwäsche. Geist duftet, Geld stinkt.“

Es war ein schönes Stück Arbeit, in der Tat, die Maler, Musiker, Schriftsteller und Filmer aus diesem romantisch-idealistischen Kokon zu befreien. Doch fatalerweise schlug das Pendel nun auf die andere Seite aus. Es schien nun so selbstverständlich wie vordem das Bild des entbehrenden und in seiner Arbeit vergeistigten Künstlers das des gierigen, manipulativen und sich selbst vermarktenden Künstlers. „Gute Kunst“ schien untrennbar mit dem ökonomischen Geschick ihres Produzenten verknüpft.

Rolv Heuers Anmerkungen lassen sich ein halbes Jahrhundert später samt und sonders andersherum lesen, beginnend mit „Der gefüllte Magen des Künstlers bedeutet nicht, dass die Welt seine Arbeit dankbar angenommen hätte“, und endend mit „Der Geruch des Gelds übertönt den Gestank der künstlerischen Arbeit“.

Der Opfermythos

Glücklicherweise bin ich mit genügend Künstlern und Künstlerinnen befreundet, um in der Zeit des Neoliberalismus ein Gegenpostulat zum vorherigen „Der Künstler muss kein Heiliger sein“ aufstellen zu können. Es lautet: Es ist nicht zwingend vorgegeben, dass ein Mensch, der gute Kunst macht, als Person und als ökonomisches Subjekt ein Arschloch sein muss.

Georg Seeßlen

ist freier Autor und hat bereits über 20 Bücher zum Thema Film veröffentlicht. Zuletzt erschien von ihm: „Kunst frisst Geld. Geld frisst Kunst", gemeinsam mit Markus Metz verfasst (Suhrkamp). Er lebt in Bayern und Italien.

Dass der Arschloch-Quotient in der Kunst-Szene so groß ist, liegt weder an der künstlerischen Arbeit selber noch etwa in der Natur des Kunst-Machens. Dieser Arschloch-Faktor ist eine direkte Funktion der politischen Ökonomie der Kunst derzeit.

Dass die Künstler von ihrem romantischen Opfermythos freigesprochen wurden (der freilich in einer munter karnevalisierten Form weiter spukt) und sie sich als ökonomisch autonome Wesen emanzipierten, war eine notwendige Befreiung, entpuppte sich aber auch als tückische Falle. Das „verkannte Genie“, der Außenseiterkünstler, die Produktion eines latenten ästhetisch-politischen Potenzials, das auf seinen Ausbruch wartet, auch wenn sein Schöpfer, seine Schöpferin bereits tot sind, all diese Rollen und Mythen einer zweiten Aufhebung der Kunst verschwanden. Wer ein großer Künstler, was große Kunst ist, entscheidet hier und heute der Markt.

Malerfürst und Großkomponist

Das künstlerische Genie, das auf gar keinen Fall reich sein durfte, war der Parallelmythos zum „Malerfürsten“, „Großschriftsteller“ oder „Meisterkomponisten“, welche sich notwendigerweise zu Lebzeiten architektonische Denkmäler setzten.

Die zwei Aggregatzustände des Künstlers in der bürgerlich-kapitalistischen Welt haben sich weiter differenziert und transformiert: Der Künstler-Unternehmer, als welchen sich etwa Damien Hirst sieht (man kann von ihm halten, was man will, er macht uns jedenfalls nichts vor), sieht das Reichwerden nicht als Lohn für seine Kunst, sondern als einen Teil davon. Umgekehrt muss der Künstler-Aktivist, dem an einer Antwort der Gesellschaft, nicht des Marktes auf seine Kunst gelegen ist, schon bei der allernotwendigsten Ökonomisierung seiner Arbeit mit einem Authentizitätsverlust ringen.

Könnte man mit einer solchen Spaltung der Kunst nicht prächtig leben? Jeder kriegt, was er verdient, was er braucht, und der Mythos vom armen Künstler, dem nur der Nachruhm bleibt, hat seine Dringlichkeit verloren, weil es nun eben nicht mehr allein einzelne Menschen, sondern ganze Teilbereiche der Künste betrifft. Die andere Seite der Kunst-Booms in bestimmten kulturell-ökonomischen Regionen ist nun mal eine Verelendung auf der anderen Seite. Der Künstler der Zukunft ist entweder mittelständischer Scheinselbstständiger, immer im Zustand des Halbverdauten durch die Kapitalisierung seines Arbeitsfeldes, oder Freizeitaktivist mit hohem Risiko.

Wiedergeburt der Kunst

Die ökonomische Emanzipation der Künstler, die sich bei näherem Hinsehen als nicht viel mehr als eine neuerliche Privatisierung der Gewinne und Sozialisierung der Verluste herausstellte, nur dass es nun nicht nur um ökonomische, sondern auch um kulturelle Verluste geht, hat das Gegenteil von dem erreicht, was man sich erhoffte: Die Kluft zwischen den reichen und den armen Künstlern, die Kluft zwischen Markt- und Gesellschaftskunst, ist nur größer geworden.

Die Spaltung der Kunst in einen marktkonformen und einen gesellschaftlich relevanten Teil, kann daher keine wirkliche Lösung sein. Vermeidbar ist sie deswegen aber vermutlich nicht. Denn eine Zukunft hat weder die ökonomisch aufgeblähte Marktkunst noch die entökonomisierte und exkludierte aktivistische Kunst. Vielmehr sieht man zwei entgegengesetzten Formen des Verschwindens zu.

Die nächste soziale Wiedergeburt der Kunst muss also woanders stattfinden. Da eine solche nur jenseits der neoliberalen Umklammerung vorstellbar ist, bleibt den Künstlerinnen und Künstlern wohl wiederum nur die Rückkehr zu dem moralisch-politischen Status, den man eigentlich gern durch die Entmythologisierung überwunden hätte. Man kommt ums Farbe-Bekennen nicht mehr herum. Und noch einen Heuer-Satz muss man umkehren. Geld ist jetzt der Anzug, Geist die Unterwäsche. Die muss dringend mal gewaschen werden. Wenn es sein muss, auch öffentlich.

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2 Kommentare

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  • Ich nenne Künstler-Unternehmer "Künstler des Geldes" und sie machen Kunst-Geld (Art Money). Polemisch wie Sie: Man sieht Kunst, bekommt aber Geld.

    Die Antwort auf diese Entwicklung ist meiner Meinung nach Geld-Kunst (Money Art). D.h. Man sieht Geld bekommt, aber Kunst. Mit anderen Worten: Genauso wie Geld Kunst vereinnahmt (siehe Ihre neoliberale Umklammerung), kann Kunst Geld vereinnahmen. Damit meine ich eine radikale Ökonomisierung der Kunst, die weit über die von Hirst und anderen geht - ohne dabei die Authentizität zu verlieren.

    Wie geht dies?

    1.)Befreiung aus der Neoliberalen Umklammerung-01

    Es ist uns mithilfe eine „Kunstgriffs“ gelungen den Preis durch das Kunstwerk selber festlegen zu lassen. Daher hat jeder unserer Drucke seinen einmaligen „künstlerischen“ Preis, d.h. sie kaufen den Druck nicht UM einen Preis, sondern sie kaufen den jeweiligen Preis selber, wortwörtlich.

    2.)Befreiung aus der Neoliberalen Umklammerung-02

    Wenn man mehrere der Drucke jetzt zusammen nimmt, kann man daraus Skulpturen formen, wir nennen sie „ökonomische Skulpturen“. Mit diesen Skulpturen können wir jetzt den Kunstmarkt „nachspielen“ und gesellschafts-kritisch beleuchten. Als Kunstinvestor brauchen sie z.B. sich nicht mehr an einem Art Fund beteiligen, sonder sie können direkt unsere Hedge Fund Skulptur kaufen. Sollten sie nicht so viel Geld haben, so können sie sich mit anderen an der Sharing Skulptur beteiligen, wobei hier auch diese unselige Entwicklung, Kunst in klimatisierten Warenhäuser einzusperren, angesprochen wird, usw.

    3.)Tiefenkultur

    Die soziale Wiedergeburt der Kunst kann aber nur dann erfolgreich sein, wenn auch die Tiefenkultur der Gesellschaft angesprochen, geändert wird. Daher wird auf unseren Drucken eine moderne Schöpfungsgeschichte erzählt, die die Verhältnisse von Mensch zu Gott, zur Natur, zu Zeit, zu Frau und Mann und - um modern zu sein - auch das Verhältnis Mensch zur Wissenschaft und eben auch zu Geld neu definiert.

    • @Christopher Kmentemt:

      Da es eh keine anderen Kommentare gibt möchte ich nachlegen:

      1. Die Schwachstelle von Geld ist der Preis. Alles was einen Preis hat oder bekommt, ist zumindest markt-fähig. Ob es auch markt-gängig ist stellt sich dann heraus.

      2. Die Kunst nur aus der Neoliberalen Umklammerung zu befreien, greift zu kurz. Sie muss aus der Mart-Umklammerung befreit werden.

      3. Auch die Rückkehr zu dem moralisch-politischen Status ist zu kurz gegriffen - ganz abgesehen davon, dass mir dieser Status nicht gefällt -. Die Befreiung muss noch tiefer gehen und was ist tiefer als der Ur-Mythos der Schöpfungsgeschichte.

      4. Theorien sind gut, Praxis ist besser