Die Wahrheit: Das ockerfarbene Mofa-Wunder
Ein Kleinkraftkrimineller stahl meinem Bruder dessen aufgemotzten Hobel. Doch mein Detektiv von Vater hielt seine niedersächsische Spürnase in den Abwind.
M ein Bruder ist Biker. Seine Karriere begann mit einem ockerfarbenen Peugeot-Mofa. Es sah nach nichts aus, war aber spurtstark, die Zündapps und Kreidlers der lokalen Rockerszene mussten viel Staub fressen. Ein paar Wochen später war es weg. Vom Hof runter geklaut.
Eine Schaustellertruppe hatte sich in der Umgebung ein altes Häuschen gekauft, um dort zu überwintern und ihren Veteranen einen ständigen Ruhesitz zu verschaffen. Im Niedersächsischen stimmten Mitte der siebziger Jahre die Vorurteile noch, und so sprach mein Vater am selben Tag beim Sippenältesten vor, ob er etwas von einem Neuzugang im Fuhrpark wisse.
„Nein, das Mofa deines Sohns hat sich hier niemand geborgt“, nickte er freundlich. „Auf gute Nachbarschaft.“
Ein paar Wochen später begleitete ich meinen Vater zum Sportplatz, um mit anzusehen, wie mein Bruder, ein knallharter Vorstopper, wieder einmal ein paar Gegenspieler über die Klinge springen ließ. Eine Blutgrätsche war damals in der zweiten Kreisklasse nicht bloß eine Metapher. Rundum zufrieden fuhren wir wieder nach Hause und sahen auf einem Waldweg ein wenig attraktives, aber für dieses Aussehen erstaunlich schnelles Zweirad seinen Konkurrenten abhängen. Das andere Mofa schien fast stehenzubleiben. Mein Vater zeigte sein kältestes Lächeln.
Wir parkten am Anfang des Waldstücks und pirschten uns heran. Ein Junge, etwa in dem Alter meines Bruders, fünfzehn vielleicht, hockte vor dem Peugeot und machte sich am Motor zu schaffen, der andere saß aufrecht auf seiner Zündapp-Schnecke und rauchte. Arglosen Spaziergängern gleich, die sich vor dem Sonntagsbraten noch ein wenig die Beine vertraten, kamen wir näher. Sie sahen kurz auf, widmeten sich dann aber wieder ihren Biker-Fachsimpeleien. „Vielleicht ist der Benzinhahn vermockert oder der Zündkerzenstecker moosig.“ Wir stellten offenbar keine Gefahr dar – wie sie sich täuschten.
„Na, das ist ja ein richtiger Feuerstuhl, den du da fährst.“ Der Hockende sah sich unbehaglich um, sagte aber nichts. „Na, so schnell nun auch wieder nicht“, sagte der deklassierte Zündapp-Jünger. „Gut eingefahren“, log der immer noch hockende Peugeot-Klau. „Ja, aber nicht von dir“, sagte mein Vater. Der Junge blickte irritiert auf, aber da stand mein Vater schon neben ihm und seine rechte Pranke packte den Mofadieb im Nacken. „Hey, aua, Hilfe … Hilfe!“
Der Zündapp-Fahrer tat, was Zündapp-Fahrer nun mal tun, er warf die Maschine an und sah zu, dass er wegkam. „Zündapp-Feigling“, rief ich ihm hinterher. „Sooo“, sagte mein Vater, „wir beiden Hübschen fahren jetzt mal zur Polizei.“
Es kam zu keiner Anzeige, weil der Kleinkraftkriminelle, der übrigens nicht zu den Schaustellern gehörte, sondern zu einer ehrenwerten, alteingesessenen Bauernfamilie, sich nach verstärktem Prankendruck sofort verpflichtete, für den Schaden aufzukommen. Das Peugeot-Mofa wurde runderneuert, aber man hatte ihm die Unschuld geraubt. Es lief nie wieder so schnell wie vorher.
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