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Die WahrheitDie alten Leiern

Wundersamerweise hören Massen von Menschen den lieben, langen Tag Radiosender, die Musik für Leute spielen, die nicht nicht gern Musik hören.

I ch bin immer wieder schockiert darüber, wie viele Menschen Radio hören. Damit meine ich jetzt nicht unbedingt die Leute, die bei jeder Gelegenheit sagen: „Ach! Dazu hab ich neulich bei D-Radio Kultur einen interessanten Beitrag gehört!“ Das sind meist Freiberufler, die über ihren anspruchslosen Design- oder Kanzleitätigkeiten verzweifeln müssten, wenn ihnen nebenher kein weiterer geistiger Input zugeführt würde.

Wundern muss ich mich aber über die Massen, die den ganzen Tag lang irgendwelchen Servicewellen oder Hitradios folgen, und zwar nicht etwa wegen der informativen Verkehrs- oder Werbedurchsagen, sondern weil ihnen die Musik angeblich so gut gefällt. Das kann doch eigentlich gar nicht sein. „Here Comes the Rain Again“ von den Eurythmics oder „You Can’t Hurry Love“ von Phil Collins muss man sich doch irgendwann mal leid gehört haben! Vielleicht bewahrheitet sich in diesen Fällen aber auch nur der alte Spruch von der Musik für Leute, die nicht gern Musik hören.

Vor einer Weile habe ich einen Privatsender entdeckt, der damit wirbt, dass er auch mal Rockmusik spielt. Radio Bob kommt aus Kassel und macht einen fast schon lächerlichen Kult um die Band AC/DC. So wird jede Mitternachtsstunde mit den Höllenglocken aus dem Intro von „Hells Bells“ eingeläutet, danach gibt es dann einen weiteren Song der Australier.

Anfangs hat mir das Programm ganz gut gefallen. Von vielen Bands, von denen andere Sender stets nur ein und denselben Titel laufen lassen, spielt Bob auch den zweiten. Von Boston zum Beispiel nicht immer nur „More Than a Feeling“, sondern auch „Don’t Look Back“.

Ich musste mich allerdings an einiges gewöhnen. Daran, dass die Moderatoren einander mit Worten ankündigen wie: „Auch er hat wieder gute Mucke mit am Start!“ Oder an den auf unheimliche Weise wahren Stationswerbeslogan: „Früher war es revolutionär – jetzt ist es Classic Rock!“

Nicht gewöhnen konnte ich mich daran, alle zwei Stunden John Farnhams „The Voice“ und Rick Springfields „Jessie’s Girl“ zu hören. Da war das Radio stets wieder ganz schnell aus.

Und sollte es immer öfter bleiben. „Lonely Boy“ von den Black Keys, „Bitter Sweet Symphony“ von The Verve oder „Should I Stay or Should I Go“ von The Clash sind selbstverständlich keine schlechten Lieder, aber sie immer und immer und immer wieder zu hören, macht doch bekloppt! Bei „Eye of the Tiger“ von Survivor reicht sogar schon ein einziges Mal.

Zum Glück habe ich kürzlich die Internetseite gefunden, die die aktuelle Playlist des Senders verzeichnet. Wenn mir zufällig nach Musik ist, die jemand anderes für mich aussucht, schaue ich jetzt immer nach, was ich dort zuletzt hätte hören können, um es dann sein zu lassen.

Fast immer ist übrigens der bescheuerte Tote-Hosen-Song „Altes Fieber“ dabei. Der erklärt immerhin, warum so viele Leute „immer wieder die alten Lieder“ hören mögen. Weil es sich dann irgendwie anfühlt, „als würde die Zeit stillstehen“ – ein Glücksgefühl, das man sonst nur verspürt, wenn man schon tot ist.

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