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Kolumne LiebeserklärungHamburger Sport-Verein

Jürn Kruse
Kolumne
von Jürn Kruse

Jede gute Party braucht einen wie den HSV, einen den man gerade wegen seiner Mängel mag. Warum wollen trotzdem so viele, dass der Klub absteigt?

Paaaaarty! Bild: dpa

M itleid ist ein mieser Grund für Liebe. Dabei hinterlässt diese Woche kaum ein anderes Gefühl, wenn man an den Hamburger SV denkt. Letzter war der Klub ja vorher schon. Hoch verschuldet auch. Abhängig von einem fragwürdigen Mäzen sowieso. Jetzt ist ihnen auch noch ihr Wunschtrainer Thomas Tuchel abhandengekommen. Stattdessen kam die – na ja – 1-b-Wahl Bruno Labbadia. Und diese Meldung ging dann auch noch in den Tränen der Dortmunder Klopp-Aftershowparty unter.

Häme über den HSV zu kübeln ist leicht – und das nicht erst seit gestern. Da waren die Niederlagen gegen Werder Bremen in den DFB-Pokal- und Uefa-Cup-Halbfinals 2009. Das Elfmeterschießen! Die Papierkugel! Die verpasste Champions League 2006, als man erst gegen zehn Herthaner 2:4 verlor und am letzten Spieltag wieder einmal an Werder scheiterte. Aílton! Drüber! Davor die grauen 90er. Frank Ordenewitz! Uwe Jähnig!

Doch in all dieser Wurstigkeit steckt so viel Schönheit. Die ganze Welt mag liebenswerte Versager. Jede Komödie basiert darauf, dass einer nur Scheiße baut und die Zuschauerinnen und Zuschauer ihn dennoch gernhaben. Warum also diese unverhohlene Freude über den Niedergang des HSV?

In Hamburg wissen doch alle um die trottelige Art ihrer Mannschaft – sie lieben ihren Klub auch deswegen. „Und wir gehn trotzdem immer noch zum HSV“, sang einst die Hamburger Band Norbert und die Feiglinge: „Warum, wissen wir selber nicht so ganz genau.“ Das galt 1995, als der Song mit dem schönen Titel „Trotzdem HSV“ erschien, und das gilt auch 2015.

Jeder lustige Film braucht einen HSV, jede intakte Schulklasse, jede gute Party, jede unterhaltsame Liga. Wir sollten also hoffen, dass die Hamburger auch im neuen Jahr erstklassig spielen. Außerdem hat die 2. Liga schon einen HSV: Er heißt dort TSV 1860.

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Jürn Kruse
Ist heute: Redaktionsleiter bei Übermedien und freier Autor. War mal: Leiter des Ressorts tazzwei bei der taz. Davor: Journalistik und Politikwissenschaft in Leipzig studiert. Dazwischen: Gelernt an der Axel Springer Akademie in Berlin.
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2 Kommentare

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  • Ich finde die Beschreibung sehr schön. Die Wurstigkeit, in der so vel Schönheit steckt, all das. Nur: Auf den HSV trifft nichts davon zu. Aber mit Sechzig hat der Jürn Kruse vollkommen recht. Einmal Löwe, immer Löwe!

  • Lieber Jürn,

    danke für deinen Diskussionsbeitrag. Er hat mir sehr gefallen. Dennoch ein paar Anmerkungen:

     

    Warum dieser Verein außerhalb der Stadtgrenzen fiesen Ausschlag auslöst, fragst du dich. Es ist die unmenschliche Geballtheit der brutalen Inkompetenz. Das Gefühl, das man hat, wenn Eltern ihre Kinder aus gutem Willen und vermeintlich zum Schutz des Nachwuchses nicht auf Bäume klettern lassen und von Geburtstagsfeiern der Klassenkameraden fernhalten.

     

    All das ist in der Restrepublik gekoppelt mit der Angst, dieser Verein könnte alles schaffen, wenn er nur ein paar Entscheidungsträger hätte, die ihm den rechten Weg wiesen. Anders als in Leverkusen, das viel Geld hat und gut geführt wird - letztendlich aber ein kleines Nest bleibt. Oder Köln, in dem allein die wundervolle Gemütlichkeit, die über der Stadt schwebt, größere Erfolge auf alle Zeit verhindert.

     

    Hamburg ist kein liebenswerter Verlierer, weil jeder weiß, dass er erfolgreich sein könnte, wenn er wollte. Er ist aber zu faul, etwas zu ändern.