ESC-Kolumne Genderwahn in Wien #2: Rubinowitz würdigt die Nullpunkter
Der ESC hat einige Künstler mit null Punkten zurückgelassen. Tex Rubinowitz widmet ihnen eine Ausstellung und ein Konzert.
D er Bachmann-Preisträger Tex Rubinowitz, ein aus dem Norddeutschen stammender Künstler, der seit 1984 in Wien sein zuhause hat, ist seit langem ein Erfasster. Einer, der sich von der Magie des Eurovision Song Contest hat mitnehmen lassen und sich diesem Zauber nach wie vor nicht verschließt.
In der aktuellen Ausgabe des alternativen Stadtmagazin „Der Falter“ hat er unter der Überschrift „Das Thomas-Evangelium" sich einmal mehr mit dem ESC auseinandergesetzt. Seine besondere Liebe gilt dem, soweit man weiß, nichtbekennenden Heterosexuellen, nicht den Siegern, den Üblichkeiten wie Abba, Udo Jürgens oder Céline Dion, sondern den Besonderen, wobei für ihn Conchita Wurst eine Extrakönigin war: Er hatte ihren Sieg voriges Jahr in Kopenhagen vorausgeahnt.
Und sagt heute, all die Ergebenheit, die dieser Künstlerin in Österreich entgegengebracht wird, hat nur mit dem Triumph im vorigen Jahr zu tun - wäre sie ohne viele Punkte nach Hause gereist, hätte die gewöhnliche Meute in Österreich sie mit Extrahingabe zerfleischt: Aber Tex Rubinowitz hat nicht sie vorzuzeigen im ehrwürdigen Museum Leopold im Museumsquartier von Wien, sondern die absoluten Verlierer. Im zweiten Untergeschoss des Hauses hat er Bilder und Texte zu jenen ESC-Künstlern seit 1956 ausgestellt, die jeweils ohne einen einzigen Punkt in ihre Heimaten zurückreisten.
Es sind Namen darunter, die selbst halbwegs ESC-Kundigen nicht mehr geläufig sind, Fud Leclerc, Victor Balaguer, Eleonore Schwarz, Nora Nova, Annie Palmen, Anita Thallaug, Laila Halme oder Sabahudin Kurt – alle aus den sechziger Jahren, als es noch keine Schande war, so beim, besser: vom ESC gestraft zu werden.
Alternative Hall of Fame
Rubinowitz hat sie auf hellem Holz in zwei Tagesschichten in eher naivem, dennoch jeweils sie charakterisierenden Stil gemalt. Die Texte sind vorzüglich recherchiert; liest man sie, werden Schemen europäischer Nachkriegsgeschichte kenntlich. Ein Finne ist darunter, der in einem russischen Kriegsgefangenenlager einsaß (Viktor Klimenko, 1965), auch die zwei Niederländer, die sich in einem NS-Zwangsarbeitslager in Deutschland kennenlernten (Theo Rekkers und Huug Kok von „De Spelbrekers“, 1962).
Eine Hall of Fame des ESC der sehr anderen Sorte: Tex Rubinowitz hat sie versammelt, um ihnen zum 60. ESC, der in diesen Tagen in Wien zelebriert wird, ein Denkmal zu setzen. Für oder gegen was auch immer: Dass sie keinen einzigen Punkt erhielten mache sie weder zu Helden noch zu Aussätzigen.
Die letzten, die keinen einzigen Punkt erhielten war das britische Duo Jemini im Jahr 2003 – und Rubinowitz scheut sich nicht zu sagen, dass es früher eher schwer war, überhaupt einen Punkt zu erhalten, heute man aber sehr schlecht performen muss, um bei keiner der Länderwertungen wenigstens einen einzigen Zähler zu erhalten. Aber diese Engländer waren, so Rubinowitz, einfach nur mies gewesen, konnten nicht singen, und was sie sangen, war missraten.
Der Teufel singt beim ESC
Der Künstler, er verhehlt es nicht, hat zwei Helden-Acts zu zeigen: Einmal den Österreicher Thomas Forstner, der 1991 in Rom für den österreichischen ORF antrat mit dem Lied „Venedig im Regen“ antrat, mitfavorisiert war für höhere Ränge, aber keinen einzigen Zähler erhielt. Rubinowitz kennt alle Theorien zu diesem Debakel, er erklärt sich Forstners Unglück so: In einem katholischen Land dürfe man nicht mit fehlendem Ohrläppchen performen, das Publikum wisse doch, dass das ein Teufel sein müsse, denn ein solcher hat ja ebenfalls keinen Gewebewulst am Ende der Ohrmuschel. Irre Erklärung oder nicht: Sie ist so gut oder schlecht wie alle – aber wahr bleibt, das Rubinowitz wenigstens eigensinnige Interpretationen bietet, die auf eigene Gedanken- und Phantasieproduktion schließen lassen.
Favorisiert sind für Rubinowitz dieses Jahr die Finnen, eine Band namens „Pertti Kurikan Nimipäivät“ mit zwei Down-Syndrom-Musikern und einem Autisten. Ihr Punksong ist schrummelig, schrecklich schön und voller Anmut, darf man sagen. Rubinowitz hat sie in der ersten Halle der Ausstellungsräume gewürdigt – und ihre Körperkonturen auf ein Stück Stoff genäht. Es sieht aus wie ein Kuschelkissen und erinnert an Handwerksarbeit, die mit besonderer Liebe gefertigt wurde.
Montag um 19 Uhr lädt der Künstler mit den Kuratoren zum „Venedig im Regen“-Erinnerungskonzert ins Museum Leopold. Man darf resümieren: Es ist die beste Ausstellung im ESC-Diskurs, die es jemals gegeben hat: Weil sie die Würde der KünstlerInnen nicht nur nicht verrät, sondern sie überhaupt erst wieder herstellt.
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