: Abschied vom Wunschfach
SEMESTERSTART Wegen doppelter Abi-Jahrgänge und Wegfall der Wehrpflicht ist der Andrang an den Unis unvermindert hoch. Freie Zulassungen gibt es nur in wenigen Fächern
LUISE GÜNTHER, ASTA UNI HAMBURG
VON AMINA ARABI
Wer sich in diesem Frühjahr für ein Studium an einer öffentlichen Hochschule bewarb, musste mit Konkurrenz rechnen. Grund sind die doppelten Abiturjahrgänge, die 2010 in Hamburg, 2011 in Niedersachsen und 2012 in Bremen die Schulen verließen. Schleswig-Holstein erwartet zwar erst 2016 den doppelten Abiturjahrgang, doch macht sich dafür die Abschaffung der Wehrpflicht bemerkbar.
Zwar gibt es für all dies zusätzliche Plätze – die Uni Göttingen zum Beispiel nahm seit 2011 jedes Wintersemester ungefähr 3000 Studierende mehr auf –, doch das reicht nicht aus.
Die richtig dramatischen Zahlen gibt es im Herbst, weil die meisten Studiengänge nur zum Wintersemester beginnen. So hatten sich an der Uni Hamburg vor einem halben Jahr 44.476 Interessenten für 6.219 Plätze beworben. Da die jungen Leute dies stets an mehreren Unis gleichzeitig tun, ließ die Hochschule 16.845 Bewerber zu. Tatsächlich haben sich daraufhin nur 6.677 Personen immatrikuliert. Doch für mehr als 27.000 Bewerber gab es die Ablehnung.
Für das Sommersemester sind die Zahlen kleiner, weil nur für wenige Fächer zugelassen wird. Dennoch stieg die Erstsemester-Bewerberzahl gegenüber dem Vorjahr um über 15 Prozent von von 2328 auf 2694 stark an. Die ersten Bescheide sind bereits Mitte Februar verschickt worden, aber derzeit laufe noch das Nachrückverfahren, erklärt eine Uni-Sprecherin. Endgültige Zahlen über Zulassungen lägen noch nicht vor.
„In der Regel wird jedoch nur ein Bruchteil der Bewerber auch tatsächlich angenommen“, kritisiert Luise Günther, Vorsitzende des Allgemeinen Studierendenausschusses (Asta). Ein großes Problem ergebe sich nach Ende des Bachelor-Studiums, weil sich Studierende für das anschließende Master-Studium neu bewerben müssen. Hier gab es fürs Wintersemester 2012 auch dreimal mehr Interessenten als Plätze. Dramatisch sei dies für die Fächer Lehramt und Psychologie, sagt Günther. Denn ohne Master kann der Beruf als Lehrer oder Psychologe nicht ausgeübt werden. „Viele der Studenten versuchen sich daher einzuklagen.“
An der Uni Kiel nehmen jetzt zum Sommersemester nur Pharmazie, Physik, Theologie und romanische Sprachen neue Studenten auf. Es gab 524 Bewerber, von denen nur 178 zugelassen wurden. An der Uni Göttingen gab es 881 Studieninteressierte, das waren 2,6 pro Platz. Zu den beliebtesten Fächern an Norddeutschlands Unis gehören Medizin, Betriebswirtschaftslehre, Lehramt, Psychologie und Medien und Kommunikation.
Aufgrund des Ansturms entscheidet die Abiturnote über die Zulassung. Wer direkt nach der Schule Medizin studieren will, braucht einen Einserschnitt. Allerdings variieren die Werte von Jahr zu Jahr. Reicht die Abiturnote nicht aus, so kann man noch auf die Wartezeit setzen. Für diese Fälle werden 10 Prozent reserviert. Pro Semester, dass man nicht an der Uni eingeschrieben ist, bekommt man ein Wartesemester angerechnet.
Lena Weizmann* kennt das Prinzip. Ihren Studienplatz in Medizin an der Uni Hamburg hat sie durch die sechs Jahre Wartezeit erhalten. Ihr Praxisjahr in einem Hospiz in Jerusalem und ihre Ausbildung zur Krankenschwester haben ihr keinen Vorteil verschafft. An der Uni Göttingen erhöhen solche Zusatzqualifikationen die Chancen auf einen Studienplatz.
Viele Studiengänge sind als zulassungsfrei gekennzeichnet, haben aber doch interne Hürden. So entscheidet beispielsweise beim Master-Studiengang Ozeanografie in Kiel nicht die Bachelor-Note. Allerdings gibt es ein internes Auswahlverfahren. Dabei zählen Praxiserfahrungen und ein Motivationsschreiben.
Ist die Abiturnote nicht ausreichend fürs Wunschfach, so gibt es die Möglichkeit, sich für die zulassungsfreien Fächer einzuschreiben. An der Uni Kiel sind das zum Beispiel die Fremdsprachen an der philosophischen Fakultät. „Die sind dort komplett überlaufen“, sagt der dortige Asta-Vorsitzende Steffen Regis.
An der Uni Bremen ist die Ersteinschreibung erst zum Wintersemester möglich. Allerdings wird dann ein Rekordansturm erwartet, da die bevölkerungsreichsten Länder Hessen und Nordrhein-Westfalen gleichzeitig die Doppeljahrgänge entlassen. Und leider seien die Unis dafür kaum vorbereitet, sagt David Ittekot vom Asta der Uni Bremen.
*Name geändert
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