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NACHTS GIBT ES AUF DER STRASSE AUCH VIELE DUMME SPRÜCHERikschafahrer und ihr Beitrag zur Not indischer Frauen

Nebensachen aus Delhi

VON GEORG BLUME

Nichts konnte früher schöner sein als eine Rikschafahrt durch Delhi. Vorausgesetzt, man hatte sich mit dem Fahrer über Fahrpreis und -ziel gütlich geeinigt. Meist war er dann glücklich, weil der Ausländer mehr als üblich zahlte, und oft begann eine interessante Unterhaltung mit Einblicken ins Leben von Delhis Unterschicht. Vor allem aber ging die Post ab. Rikschas rasen! Zwischen den Basaren Old Delhis fuhr man wie im Autoscooter auf dem deutschen Schützenfest. Mit ständiger Tuchfühlung zu Autos und Kühen. Doch der Spaß ist vorbei.

Seit der Vergewaltigung einer Medizinstudentin im vergangenen Dezember sitzen Delhis Rikschafahrer auf der Anklagebank. Denn sie hätten das Opfer, das später den Folgen der Vergewaltigung erlag, vor ihrem Unglück bewahren können. Nur weil gleich eine Reihe von Rikschafahrern es an jenem Abend um halb zehn ablehnte, die Studentin nach einem Kinobesuch zum normalen Fahrpreis nach Hause zu fahren, bestieg das Opfer einen öffentlichen Bus, in dem ihre Vergewaltiger auf sie warteten.

Seither weiß man, dass die Fahrer nicht nur unwissende Ausländer beim Preis an der Nase herumführen, sondern vor allem Frauen. Laut einer Umfrage der Times of India haben 96 Prozent aller Frauen in Delhi Angst, im Dunkeln noch auf die Straße zu gehen. Genau diese Angst nutzen die Fahrer aus, um von Frauen überhöhte Fahrpreise zu erpressen. Schon seit Jahren will unsere Hausangestellte deshalb abends nicht allein nach Hause fahren. Früher dachte ich, sie fürchtet sich „nur“ vor Dunkelheit, Diebstahl und Vergewaltigung. Doch es sind auch die frechen Rikschafahrer, denen sie entkommen will. Denn außer erhöhten Preisen kommen meist noch dumme Sprüche hinzu. Statt netter Unterhaltung gibt es dann abfällige Bemerkungen. Wobei die Fahrer damit meist nur die allgemein vorherrschende Meinung reflektieren, dass Frauen abends draußen nichts mehr zu suchen haben.

Aber wenn man genau diese Auffassung ändern will, braucht man dazu die Rikschafahrer. Würden sie sich anders verhalten und Frauen sicheres Geleit geben, wäre es in Delhi viel einfacher für Frauen, abends auszugehen. Das hat längst auch die Stadtregierung begriffen und immer wieder versucht, strengere Tarifregeln einzuführen. Doch die Polizei setzt nichts davon durch. Also fahre ich jetzt Rikscha nur noch zum Zählertarif. Für Ausländer gibt es den freilich nur selten. Wie gesagt, der Spaß ist vorbei.

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