: Luxus und Langeweile
ALTERNATIVE FÜR DEUTSCHLAND Warum immer mal wieder neue Parteien von Medien hochgejubelt werden. Und dann untergehen
Das deutsche Parteiensystem ist von eiserner Stabilität. Seit 1957 sind nur zwei Parteien dauerhaft hinzugekommen: die Grünen und die Linkspartei/PDS, die ein Ergebnis der Vereinigung 1989 ist. So stabil geht es kaum anderswo zu. Und so viel Gleichlauf wird als langweilig empfunden, gerade von Medien, die Neues wie Sauerstoff brauchen.
Zudem gibt es hierzulande immer wieder aufflackernde populistische Stimmungen. Die aktuelle Projektionsfläche dafür ist die „Alternative für Deutschland“, AfD. Was die AfD will, ist nicht so einfach zu sagen. Ist sie konservativ in striktem Sinne, also etatistisch und national orientiert? Oder eher wirtschaftsliberal, wie die FDP? Das Programm versucht vor allem den Eindruck des Seriösen, Demokratischen zu erwecken, mit gewisser Strahlkraft nach rechts. Konservative wie Alexander Gauland und Konrad Adam achten jedoch auf Distanz zu Rechtsextremen. Sonst wäre die Partei am Ende, bevor es sie richtig gibt. Offen ist indes, ob sich die AfD der Islamophoben erwehren wird. Das laute Gepoltere gegen die Zwänge der political correctness, das die AfD anschlägt, klingt ähnlich wie das aggressive Jammern über die Multikulti-Gesellschaft.
Die Erfolgsaussichten der AfD sind bescheiden – und zwar unabhängig davon, was sie macht. Es gibt eine Art mediales Muster, eine festgezurrte Erwartungs- und Enttäuschungsdramaturgie, der sich neue Parteien kaum entziehen können. Derzeit wird die AfD, wie einst die Piraten, mit Aufmerksamkeit überhäuft. Die Protagonisten werden in Talkshows bestaunt, ihre Ideen als erfrischend gelobt. Alles wirkt interessant, weil es neu ist.
In dieser Flirtphase schießen die Umfragewerte in die Höhe. In gewisser Weise ist dies das Ergebnis eines selbstreferenziellen Medieneffekts. In Schlagzeilen wird die Partei als Bedrohung für die Etablierten inszeniert. Die AfD kann demnach, kaum gegründet, sogar Merkel stürzen. Was soll’s, dass kein einziger euroskeptischer Politiker aus Union oder FDP übergetreten ist oder dass die DM-Nostalgie beim Bürger noch nie so schwach ausgeprägt war wie 2013. Oder dass die AfD weniger Unionsanhänger anspricht als Linkspartei- und FDP-Wähler. AfD verjagt Merkel, das ist David gegen Goliath. Und nebenher kippt sie noch die Linkspartei aus dem Bundestag.
Dringend nötig sind in dieser Phase Umfragen, die empirisch beweisen sollen, dass all dies realistisch ist. Gern werden Potenzialanalysen veröffentlicht: So erfahren wir, dass sich bis zu 24 Prozent der Bürger vorstellen können, AfD zu wählen. Bemerkenswerterweise, bevor diese gegründet war. Solche Zahlen sind nur bedingt aussagekräftig – bestimmt können sich auch 24 Prozent vorstellen, mal nach Wladiwostok zu reisen – und dennoch die Stützräder des medialen Hypes.
Der Absturz verläuft genauso zwangsläufig wie der Aufstieg. Der honeymoon endet mit der Frage: Seid ihr anders als die Etablierten oder genauso? Denn darauf gibt es nur falsche Antworten. Signalisieren Piraten oder AfD, dass sie eigentlich genauso sein wollen wie die anderen, verlöscht, was sie attraktiv machte. Signalisieren sie, dass sie ganz anders bleiben wollen, zweifeln Medien und Öffentlichkeit an ihrer Seriosität. Die Kommentare klingen nun gereizt, die Talkshow-Einladungen werden seltener, die Umfragewerte fallen spektakulär. Zu Beginn konnten sie nichts falsch machen, jetzt, in der Enttäuschungsphase, können sie nichts richtig machen.
Diese mediale Dramaturgie wird geglaubt, weil sie einem Bedürfnis des Publikums entspricht. Diese Inszenierung spiegelt die unstete Sehnsucht nach etwas Anderem. Diese Sehnsucht ist vage und bindungsschwach. Sie ist schnell erzeugbar und verdampft ebenso schnell.
All dies ist Ausdruck einer luftigen, luxuriösen Politikverdrossenheit. Sie ist die andere Seite der sensationellen Sympathiewerte für Angela Merkel, die von den Bürgern mit unerschütterlichem Wohlwollen betrachtet wird. Es liegt etwas Verspieltes darin. Und etwas Unernstes. STEFAN REINECKE
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