: Das Pferd auf dem Teller
TABU Der Skandal um „verseuchte“ Lasagne hat eine wenig beachtete Delikatesse ins Blickfeld rücken lassen. In Hamburg gibt es gleich mehrere Anbieter dieser Spezialität
VON E. F. KAEDING
Der Aufschrei vor wenigen Monaten war groß: Pferdefleisch im Nahrungsmittelkreislauf. Die Republik war schockiert angesichts der zwielichtigen Praktiken der Lebensmittelindustrie, aber auch, weil es um Pferdefleisch ging. In Deutschland gilt der Verzehr als Tabu, eines, das in der Neuzeit lediglich in Extremsituation wie Hungersnöten oder Kriegen aufbrach. Dabei ist Pferdefleisch nicht nur gesünder als Rind und Schwein. Es gehört gar zu den ältesten Nahrungsmitteln der Menschheit. Schon bei den antiken Völkern stand das Pferd auf dem Speiseplan. Liebhaber feiern die Zartheit des Fleisches.
Viele sind es im 21. Jahrhundert allerdings nicht mehr. Der durchschnittliche Pferdefleischkonsum in Deutschland liegt bei mageren 25 Gramm pro Kopf und Jahr. Demgegenüber stehen massige 60 Kilogramm, das ist der generelle Fleischkonsum pro Bundesbürger und Jahr. Ein Missverhältnis das erklärt, warum das Fohlensteak als Nischenprodukt eingestuft wird. Der Grund dafür ist die Evolution des Pferdes: weg vom reinen Nutztier hin zum Haustier. Die Fleischverwertungsindustrie stellte sich darauf ein, produzierte fortan mehr Rind, Schwein und Geflügel.
Die „Größe“ der Nischenbranche in Deutschland liegt bei knapp 70 Pferdemetzgereien und -schlachtern, die gesamte Fleischbranche stellt hierzulande rund 24.000 Fachgeschäfte. In Hamburg sind gut eine Handvoll Pferdefleischmetzger vor Ort, darunter die Ross-Schlachterei Poggensee in Eimsbüttel. Seit 1988 macht der gelernte Metzger Uwe Poggensee in Pferdefleisch.
Es ist ein Dienstagvormittag und der 52-jährige klingt müde – nicht, weil wie auf der andere Seite der Elbe in Harburg beim Pferdemetzger-Kollegen Klaus Schulenburg gerade „gewurstet“ wird und eine Menge Arbeit anliegt. Sondern weil Poggensee die Nachwehen des Medienansturms wegen des Pferdefleisch-Skandals in den Knochen spürt.
„Jeder wollte unmittelbar an den ersten zwei Tagen Informationen haben“, erzählt er. Der Andrang sei so heftig gewesen, dass er den „Tagesthemen“ absagen musste: „Ich kann deswegen nicht dichtmachen und die Kunden verprellen“, sagt der Schlachter. Denn die wissen Poggensees Spezialitäten zu schätzen.
Hinter den Glasscheiben der Thekenauslage wartet „Mittagstisch kalt & heiß“, dunkelrote Kurzbratstücke wie Kotelett und Steak, daneben Brüh- und Bratwürste, Salami, in hauchdünne Scheiben geschnittenes Rauchfleisch, Pferdeklopse und Rouladen. Pferdewürste stapeln sich zum Berg wie hinter konventionellen Fleischerei-Auslagen die bekannten Wiener. Die „Pferdeknacker“ gelten dabei als besonders würzig, und sind, wie Poggensee berichtet, unter den Favoriten seiner Kundschaft. Die Faustregel lautet: Alles was man vom Rind bekommt, bekommt man auch vom Pferd.
Connaisseure aber bevorzugen nicht nur den leicht sauren Grundgeschmack, der zwischen Rind und Wild fällt, und die zart-saftige Konsistenz. Auch ernährungsphysiologisch spricht einiges für Rossfleisch. Es ist reich an Zink, Vitamin A, und Vitamin B12. Vor allem aber ist es kalorienärmer als Rindfleisch, liefert dabei indes fast doppelt so viel Protein; der geringe Fettanteil liegt mit knapp drei Prozent deutlich unter den acht Prozent vom Rind.
Schwangeren und Menschen, die an Hämoglobin-Mangel leiden, wird empfohlen, wegen des hohen Eisenanteils von vier Milligramm pro 100 Gramm zum Pferdefleisch zu greifen. All diese Eigenschaften machen das Fleisch zudem leichter verdaubar. Mancher Schlachter bietet Besitzern von Hunden, die allergisch auf das gängige Hundefutter reagieren, deshalb auch spezielles Diätfutter aus Rossfleisch an.
Poggensee bezieht sein Produkt nur aus der Umgebung. Die Pferde kommen aus Hamburg oder Schleswig-Holstein direkt in die Schlachterei, die sein Bruder im Kreis Segeberg führt. Die Menschen schätzten, dass die Tiere nicht aus Massentierhaltung stammten, sagt er. Ob altersmüde Freizeitpferde, Hobbypferde, die sich vertreten haben und schwere Muskelrisse aufweisen, oder Springpferde mit gebrochenem Bein – alles ist dabei. „Es fallen auch mal Fohlen an“, berichtet der Metzger. Wenn sie kreuzlahm sind, könne man nichts mehr für sie tun. Dann enden sie als Steak hinterm Tresen.
Zulieferer sind zumeist Menschen, denen ihre Tiere über die Jahre an Herz gewachsen sind. Sie sind beim Akt des Schlachtens vor Ort, um mit ihren Pferden zusammen den „letzten Weg zu gehen“. Poggensee ermutigt sie dazu, denn er kennt sehr wohl „die Geschichte mit dem Export“. Wem es einzig ums Geld geht, der schickt die Tiere auf die qualvolle Reise quer durch Europa: In Belgien, Frankreich und Italien werde mehr für Pferdefleisch bezahlt, sagt er. Das Produkt sei dort einfacher gängiger, die Nachfrage höher.
Auf der Online-Community- Seite Qype.com haben Pferdefleischfreunde ihre Meinungen für Poggensee zusammengetragen. „Wenn ich mir da ’ne Knackwurst hole, bin ich wieder zehn Jahre alt,“ nostalgisiert Nutzer „Monsen“ und zieht das persönliche Fazit: „Die Best Wurst in Town.“ Ein weiterer schwärmt vom BSE-freien Gulasch: „So zart? Woww.“
Und Vegetarier „Barnie“? Auf dem Grill sahen die Würstchen einfach zu gut aus. Er konnte dem appetitlichem Geruch nicht widerstehen und griff zu: Es „galoppierte in meinem Magen bei jedem Bissen. Nach einer halben Wurst war Schluss.“ Pferdefleisch ist nichts für jeden.
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