: Fang den Doppelhut
AUSSENPOLITIK Die EU-Kommission und das neue Außenministerium streiten sich um Kompetenzen und Budgets. Die neue Außenministerin muss einen Spagat zwischen Kommission und Rat machen. Auch die neuen Diplomaten haben eine Zwitterstellung
■ Lissabonvertrag: Der seit 1. Dezember gültige Lissabonvertrag soll die Europäische Außenpolitik einheitlicher machen und die komplizierten Parallelstrukturen im Rat der Regierungen und der EU-Kommission entwirren. Aus Beamten der Mitgliedsstaaten, der EU-Kommission und des Ratssekretariats soll ein völlig neuer Europäischer Auswärtiger Dienst (EAD) gebildet werden, dem die kürzlich ernannte Chefdiplomatin Lady Catherine Ashton vorsteht. Bis Ende März wird sie einen Vorschlag ausarbeiten, wie der EAD strukturiert sein soll. Im April wollen die Außenminister darüber entscheiden. Da durch den Lissabonvertrag die halbjährlich rotierende Ratspräsidentschaft nicht abgeschafft wurde, ist zunächst die Verwirrung größer denn je. Im Monat Dezember spielten noch die Schweden die Gastgeberrolle. Im ersten Halbjahr 2010 sind die Spanier an der Reihe, danach die Belgier.
■ Bewährungsprobe Haiti: Dass die Nationalstaaten ihre vertraglichen Möglichkeiten ausreizen, zeigte sich bei der Erdbebenkatastrophe von Haiti. Sowohl der neue Ratsvorsitzende Herman Van Rompuy als auch der durch die Reform jeder europäischen Funktion beraubte spanische Regierungschef Luis Zapatero mischten sich ein. Die eigentlich zuständige neue EU-Außenvertreterin Catherine Ashton blieb erstaunlich passiv und ließ sich bei einer ersten Geberkonferenz in Montreal am Montag vom französischen Außenminister Bernard Kouchner vertreten, weil sie den Außenministerrat in Brüssel leiten musste. Zuvor war sie im Europaparlament von Grünen und Konservativen kritisiert worden, weil sie nicht ins Erdbebengebiet gereist war. Sie sei weder Ärztin noch Feuerwehrmann und hätte vor Ort nur wertvollen Landeplatz blockiert, konterte Ashton. (dpw)
AUS BRÜSSEL DANIELA WEINGÄRTNER
Vom Pressesprecher in Brüssel zum Handelsattaché in Riad – dem 39-jährigen Kommissionsbeamten Jörg Wojahn ermöglicht der neue diplomatische Dienst der EU eine Blitzkarriere. Die Vertretung der Europäischen Kommission in den Golfstaaten besteht erst seit 2004. Drei Vertreter der EU-Kommission, ein aus Tschechien abgestellter nationaler Experte und neun lokale Angestellte hielten dort bislang die Stellung. Im Januar wurde Wojahn als Verstärkung geschickt. Er soll die politische Entwicklung in Kuwait und Katar beobachten und sich um Handelsfragen kümmern.
„Möglicherweise trage ich auch bald so einen kleinen Doppelhut wie die neue außenpolitische Vertreterin Catherine Ashton“, überlegt Wojahn bei einem Kurzbesuch Ende Januar in Brüssel – und grinst bei der Vorstellung, zwei Ämter innezuhaben. Noch ist offen, ob er zum neuen diplomatischen Dienst der EU gehören wird. „Die Entscheidungen sind kompliziert. Das ist, als würde man eine Firma fusionieren“, erläutert Wojahn. Ashton hat einen Weisenrat einberufen, dem neben Kommissionsgeneralsekretärin Catherine Day die Chefs der juristischen Dienste, der Generalsekretär des Rates und dessen Chefstrategin Helga Schmid angehören. Bis Ende Februar sollen sie sich Spielregeln ausdenken, nach denen der unter dem Lissabonvertrag neu eingerichtete Beamtenapparat funktionieren kann. Im EU-Parlament ist man vergrätzt, weil kein Parlamentsvertreter in das Gremium berufen wurde.
Wie kompliziert es in Zukunft wird, die außenpolitischen Machtansprüche der Mitgliedsstaaten und der EU-Kommission auszutarieren, lässt sich am Beispiel von Jörg Wojahns neuer Arbeitsstelle gut zeigen. Pünktlich zum 1. Dezember wurde in der Ward-Bin-Khalid-Straße in Riad das Messingschild mit der Aufschrift „EC-Delegation“ abgeschraubt und durch den Namen „EU-Delegation“ ersetzt – wie in allen 136 Kommissionsvertretungen im Ausland. Aber nur 54 von ihnen wurden nach Sondierungen von Ashton mit den Mitgliedsstaaten zu EU-Botschaften aufgewertet – darunter Flecken wie Fidschi, Papua Neu Guinea oder Lesotho. Wojahns Dienststelle ist nicht darunter.
Bislang findet sich auch kein einziger südamerikanischer Staat auf der Liste, um die bis Ende Juni amtierende spanische Ratspräsidentschaft nicht zu verprellen. Als ehemalige Kolonialmacht sieht sie sich dort noch immer in der Rolle des wichtigsten europäischen Ansprechpartners. Die EU-Vertretungen in New York und Wien wurden ebenfalls nicht zu Botschaften gemacht. Zwar hat die EU seit dem 1. Dezember eine eigene Rechtspersönlichkeit und müsste nach dieser Logik in der UNO und der OSZE mit Sitz und Stimme vertreten sein, doch die großen Mitgliedsländer wollen ihre Eigenständigkeit in der Außenpolitik nicht aufgeben – Lissabonvertrag hin oder her.
Betrachtet man die Liste der 54 neuen EU-Botschaften genauer, zeigt sich aber, dass Ashton scheibchenweise darangeht, alte Strukturen aufzubrechen und Präzedenzfälle für ein gemeinschaftliches Auftreten in der Außenpolitik zu schaffen. Obwohl Großbritannien historisch starke Bindungen an Hongkong, Indien und Kenia hat, wird dort die EU-Präsenz gestärkt. Auf der Liste steht auch der Tschad, den Frankreich als Einflussbereich reklamiert, und die ehemalige belgische Kolonie Ruanda. Acht europäische EU-Vertretungen wurden aufgewertet, darunter in Georgien, Mazedonien, Moldau, Serbien und der Ukraine. In diesen Ländern fördert die Europäische Kommission im Rahmen der sogenannten Nachbarschaftspolitik mit Milliardenbeträgen den Aufbau des Rechtsstaates, den Umweltschutz und die wirtschaftliche Entwicklung. Noch streiten sich die EU-Kommission und die Abteilung der neuen Außenministerin hinter den Kulissen, wer laut Lissabonvertrag über dieses Budget verfügen darf. Aber Manuel Barroso hat vorab schon einmal Fakten geschaffen, indem er ein Ressort für Nachbarschaft und Erweiterung einrichtete, dem der Tscheche Stefan Füle vorstehen soll. Selbst wenn alle Status- und Zuständigkeitsfragen geklärt sind und sich die Außenminister bei ihrer Sitzung im April auf einen Rechtsrahmen für den Europäischen Auswärtigen Dienst einigen, bleibt das Kompetenzgewirr in einigen Bereichen erhalten.
Jörg Wojahns würde zum Beispiel mit einem Bein im Einflussbereich der EU-Kommission stehen bleiben – auch wenn die EU-Delegation für die Golfstaaten demnächst zu einer Botschaft aufgewertet würde. Denn die Außenvertretung der EU in Handels- oder Entwicklungshilfefragen obliegt auch nach dem Lissabonvertrag der Kommission, wie deren Chef Barroso kürzlich in einer Plenardebatte des Parlaments lautstark betonte. Nur Außen- und Sicherheitspolitik werden von Lady Ashton verantwortet und sind bei Rat und Kommission gleichermaßen angebunden.
Doch die Übergänge sind fließend, die Auswirkungen auf die Praxis kurios. Solange sich Wojahn mit Handelsfragen befasst, bleibt er Kommissionsbeamter. Investiert er seine Zeit, um die politische Entwicklung in Katar und Kuwait zu beobachten und darüber zu berichten, tut er das als Mitarbeiter des neuen diplomatischen Dienstes. Seine Zwitterstellung entspricht im Kleinen dem Spagat, den die neue Außenministerin bewältigen muss: Auch sie trägt einen „Doppelhut“ und gehört gleichzeitig der EU-Kommission und dem Rat der Regierungschefs an. Eindeutig ist hingegen der Status der Kollegen, die vor Ort prüfen, ob das Entwicklungshilfebudget der Kommission sinnvoll ausgegeben wird. Sie bleiben auch in Zukunft Kommissionsbeamte und leben in der EU-Botschaft sozusagen zur Untermiete. In dieser zweigleisigen Konstruktion liegt Sprengstoff für Kompetenzgerangel und Loyalitätskonflikte.
Sollten kleine EU-Länder ihre Botschaften in Fidschi oder Lesotho aus Kostengründen dichtmachen und die EU-Vertretung in Anspruch nehmen, kompliziert sich die Sache zusätzlich. Denn sie müssten zumindest jeweils einen Konsularbeamten behalten, der Pässe und Dokumente für die eigenen Landsleute ausstellen kann. Vielleicht wird es demnächst in einigen EU-Vertretungen lange Flure geben, wo an jeder Zimmertür eine andere europäische Flagge hängt. Die großen Mitgliedsländer aber werden ihre eigenen Vertretungen ganz sicher nicht aufgeben. Denn spätestens wo Wirtschaftsinteressen berührt sind, endet die europäische Harmonie. Wenn der Chef des Energiekonzerns Alstom einen Termin beim saudischen Prinzen hat, wird das der französische Botschafter im Kreis seiner EU-Kollegen nicht ausplaudern.
Zwanzig Mitgliedsstaaten unterhalten derzeit eigene Botschaften in Riad. Noch gilt hier die Logik der halbjährlich wechselnden Ratspräsidentschaften. Deshalb traf man sich bis zum Jahreswechsel in der schwedischen Botschaft zum EU-Hintergrundgespräch und ist nun bis Ende Juni bei den Spaniern zu Gast. Am 1. Februar zieht Jörg Wojahns Delegation aber in ein größeres Gebäude um. Dann wäre der Sitzungssaal groß genug, um die EU-Briefings dort zu organisieren. Doch wird die ab Juli bis Dezember amtierende belgische Ratspräsidentschaft, die ihren Kolonialkomplex noch immer nicht überwunden hat, das widerspruchslos hinnehmen? Falls ja, ist man bei der EU-Delegation in Riad jedenfalls vorbereitet. Dort gibt es nun den Nukleus eines diplomatischen Dienstes.
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