: Bladikow im Widerstand
GEMEINDEREFORM In der Prignitz sollen Dorfpfarrer abgeschafft und kleinere Orte zu einer Großgemeinde zusammengelegt werden. Den Einwohnern gefällt das nicht, die Wut darüber wächst
VON THOMAS GERLACH (TEXT) UND ROLF ZÖLLNER (FOTOS)
Pfarrer Berthold Schirge beobachtet von einem Steg im Garten aus, wie ein Traktor eine mächtige Scheibenegge hinter sich herzieht und das Land umwühlt. Unter Schirges Schuhspitzen sprudelt eine Quelle, das Wasser fließt als Rinnsal von dannen, um ein märkisches Flüsschen zu werden. Wenn doch der Glaube auch so sprudeln würde. Die Prignitz ist eine eher karge Landschaft, brauchbar für Roggen und Mais, weniger für den edlen Weizen. Doch auch die Saat des Evangeliums geht nur spärlich auf.
Schirge, seit dreißig Jahren Pfarrer in und um Papenbruch, weiß das – und müht sich redlich. Mit Erfolg. Hier, wo Berthold Schirge steht, wird es bald wieder sprießen. Der Schaugarten Arche mit seinen biblischen Pflanzen, den Heilkräutern, den Bäumen und dem Quellmoor lädt Christen aus nah und fern zum Staunen ein. Die meist älteren Besucher steigen aus Reisebussen, wandern die Holzstege zum Moor entlang, füttern die Esel Eddy und Mary und stärken sich mit Kaffee und Kuchen.
Der Garten ist sicher das Glanzstück des 300-Einwohner-Dorfes. Allerdings ist Papenbruch nur eines seiner 18 Dörfer, erzählt Schirge und steigt ins Auto. Der 57-Jährige müsste sich in Stücke reißen, wollte er das Feld überall so gründlich bestellen wie in seinem Wohnort. Allerdings muss er das auch nicht, solange es Menschen gibt wie Hartwig Herm. Der 63-Jährige wartet schon in Blandikow auf der Dorfstraße und schließt die Kirche auf.
In den Mauern steckt noch der Winter, an den Wänden jedoch rankelt Weinlaub. Herm erzählt beeindruckt, wie der Malermeister nach alten, fast völlig verblassten Vorlagen die Ornamente erneuert hat. Überhaupt war die ganze Kirche tot, verfault vom Schwamm, eine Wohnung für Spatzen und Tauben. Gott war gestorben in Blandikow, sein Haus reif für den Abriss. Doch nach der Wende kehrte mit viel Geld und Engagement das Leben zurück.
Petrus von Bladikow
Hartwig Herm wurde damals zum Kirchenältesten gewählt und ist es seitdem geblieben. Hier werden längst nicht nur Gottesdienste gefeiert. Regelmäßig ist die Kirche bei Konzerten voll. Dass er darauf stolz ist und er der Petrus von Blandikow ist, macht der Kirchenschlüssel klar, den Herm nicht aus der Hand gibt. Fast wäre es 2008 dazu gekommen. Blandikow sollte mit Papenbruch und den anderen 18 „Schirge-Dörfern“ im Zuge einer Reform im Kirchenkreis Wittstock-Ruppin zur Gesamtkirchengemeinde zusammengelegt werden.
Die Kreissynode hatte diese Fusion beschlossen. Der Grund: Im Nordwesten Brandenburgs geht die Zahl der Protestanten dramatisch zurück. In acht Jahren verlor der Kirchenkreis 25 Prozent seiner Kirchenmitglieder, nur noch 13.500 Protestanten waren es 2011. Weniger Christen bedeuten weniger Geld und weniger Personal.
Die neue Struktur sollte den Kirchenkreis handlungsfähiger machen, Aufgaben bündeln, Pfarrer und Gemeindeglieder motivieren und wegführen von dem Klein-Klein kirchlichen Lebens. Der Preis: Um größere Strukturen zu schaffen, sollten die einzelnen Dorfkirchengemeinden ihre Eigenständigkeit aufgeben, das Berufsbild des Dorfpfarrers sollte aufgegeben und das Ehrenamt gestärkt werden.
In Zukunft sollten Pfarrer stärker spezialisiert arbeiten. Hatte eine Kirchengemeinde Bedenken, wurde sie von der Kirchenleitung zwar angehört, ein Veto einlegen konnte sie nicht. Vertreter aus Blandikow fuhren zur Anhörung.
25 Gemeinden
Bald darauf wurde dem Pfarramt Papenbruch eine Urkunde zugestellt: „Nach Anhörung der Beteiligten hat die Kirchenleitung aufgrund von Artikel 12 Abs. 3 und Artikel 33 Abs. 1 der Grundordnung der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz beschlossen“, es folgen die Namen von 25 Kirchgemeinden, unter ihnen Papenbruch und Blandikow, und es folgte der Beschluss, dass diese Gemeinden zugunsten einer Großgemeinde aufhören zu existieren, Unterschrift Wolfgang Huber, Bischof, Berlin.
Die neue vereinigte Kirchengemeinde solle „Region Wittstock“ heißen. Schlaflose Nächte habe ihm diese Sache beschert, erinnert sich Herm. „Da kommse immer mit Zahlen, Statistiken“, erregt sich der Kirchenälteste, drosselt sich aber sofort wieder. „Zahlen sind wichtig. Aber was soll denn mit dem schönen Kirchengebäude werden?“ Herm weist in den Raum, blickt über die Brille. „Verkaufen?“ Seine Worte hallen nach. „Man kann doch nicht alles hinschmeißen, was die Urgroßeltern aufgebaut haben!“
Man muss Herm nur kurz zuhören, um zu verstehen, dass ihm die Auflösung der eigenen Kirchengemeinde wie eine Enteignung vorkommt. Da hat man endlich wieder eine herzeigbare Kirche, ist wieder stolz auf sein Dorf und auch auf das, was die Hände geschafft haben. Und dann werden die Gemeinden zusammengerührt, als wär’s Brötchenteig, und der neuen Schrippe verpasst man den stolzen Namen „Region“.
Und können sie dann noch mitreden, welcher Pfarrer ihnen vor die Nase gesetzt wird? Kommt überhaupt noch jemand hierher? „Die Menschen wollen doch was zum Anfassen, einen, der die Leute kennt!“ Herm hat bei seiner Rede Schirge bei den Schultern gepackt und sanft geschüttelt. Schirges Arbeit kann doch nicht der Gemeindekirchenrat ersetzen.
Zwangsfusionierung
„Der Pastor soll die Leute besuchen. Die reden mit ihm doch anders, der ist vertrauenswürdiger.“ Irgendwann flatterte ein Plakat am Blandikower Gotteshaus: „Diese Kirche wehrt sich gegen die Zwangsfusionierung!“ Doch nicht nur Blandikow, sämtliche Schirge-Gemeinden klagten gegen die Fusion – und bekamen Recht.
Das kirchliche Verwaltungsgericht monierte einen Formverstoß. Seitdem sind die Gemeinden wieder eigenständig. „Der liebe Gott hat uns wirklich beigestanden“, resümiert Herm. Dieser Konflikt habe die Dörfer zusammengeschweißt. Eigentlich könnten sie doch jetzt fusionieren, freiwillig. „Wir streiten uns nicht und wir sind eines Sinnes.“ Aber fusionieren? „Nicht doch!“ Verstehe jemand diese Dörfler. Die Kirchenleitung hat da jedenfalls gewisse Probleme.
Acht Kilometer nordöstlich, in Wittstock, wird der Marktplatz umgewühlt. Neue Leitungen, neues Pflaster, Unrast liegt in der Luft. Hinter der Marienkirche verhallt der Lärm. Dort sitzt Superintendent Matthias Puppe vor einer großen Karte seines Kirchenkreises, in der unzählige bunte Reißzwecken stecken, jede Reißzwecke eine Kirchengemeinde.
Puppe versucht, die Regionen zuzuordnen. Sein Finger wandert von Neuruppin nach Wittstock, über die Autobahn nach Papenbruch und wieder zurück. Es ist unübersichtlich bei rund 80 Kirchen und ebenso vielen Gemeinden. Vermutlich ist es eine undankbare Aufgabe, diese Reform, die Puppe nicht angeschoben hat und die für die Gesamtkirche, ja für die ganze EKD, beispielhaft sein soll, möglichst reibungslos ans Ziel zu bringen.
Smarter Superintendent
Puppe, ein smarter Typ mit Dreitagebart, wurde im November 2011 zum Superintendenten gewählt. Der 47-Jährige doziert über die neuen Strukturen. Die Ortsgemeinden wählen einen Ortsgemeinderat, es gibt eine übergeordnete Gesamtgemeindevertretung und darüber einen Gesamtgemeindekirchenrat. Es geht um Gemeindesatzungen, um die kirchliche Grundordnung, um Leitlinien, Pfeile zeigen hinauf, andere zeigen hinab.
Die Broschüre, die das alles transportieren soll, ist violett wie ein Kanzelbehang, handlich wie eine „Ritter Sport“ und durchsetzt mit Bibelversen. „Wer das Heft in den Händen hält, kann sich von den Erfahrungen anregen lassen“, schreibt Bischof Markus Dröge im Vorwort. Oder aufregen. Bei der Kommunikation der Reform habe es Probleme gegeben, räumt Puppe ein.
Hilferuf an Gauck
Man könnte auch sagen, dass es Dörfer gibt, die sich betrogen fühlen, Gemeinden, die der Reform zunächst positiv gegenüberstanden, dann aber aus der Gesamtgemeinde wieder austreten wollten, immerhin war viel von Erprobung die Rede. Als auch diese Gemeinden vor das Verwaltungsgericht zogen, beschieden die kirchlichen Richter, dass Kirchengemeinden, die sich zugunsten einer Großgemeinde aufgelöst haben, nicht mehr klagen können. Sie sind juristisch nicht mehr existent.
Von Arglist ist seitdem die Rede. „Tiefe Risse im Kirchenkreis“, „Pfarrer sucht Polizeibeistand“ und „Hilferuf an Gauck“, titelte die Lokalzeitung. Es geht um Disziplinarverfahren, Hausverbote und Hausfriedensbruch. Und eigentlich geht es um die „Kirche der Zukunft“, wie Bischof Dröge in der lilafarbenen Broschüre festhält.
Oder um die „Kirche der Freiheit“. So heißt das Impulspapier der EKD von 2007, das die evangelische Kirche für das neue Jahrhundert fit machen will – mit Reformen. Die Reform im Kirchenkreis ist auch von „Kirche der Freiheit“ inspiriert. Puppe behauptet standhaft, dass der Streit nichts mit der Reform zu tun habe. Und überhaupt ist es doch viel ermutigender, jetzt Pastor Seefeld und Pastorin Semper zu hören, welche positiven Erfahrungen es mit den neuen Strukturen schon gibt.
Doch schnell dreht sich das Gespräch wieder um das Ärgernis. Da sagt Pastorin Semper lächelnd, dass sich Gemeinden und Pastoren über die Konsequenzen vorher hätten kundig machen können. Schließlich könne man lesen. Die evangelische Kirche ist Kirche des Worts. Die „Kirche der Freiheit“, so scheint’s, eine Kirche des Kleingedruckten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen