piwik no script img

Irgendwie zu grün

ABSTIEGSKAMPF Während das Bremer Publikum zur Hochform aufläuft, verspielen die Profis einen komfortablen Vorsprung

„Heute ist nichts kaputtgegangen, ganz im Gegenteil“

WERDER-TRAINER THOMAS SCHAAF

AUS BREMEN RALF LORENZEN

Die größte Freude für einen Torschützen liegt normalerweise in dem Jubelsturm, den er auslöst. Als Sven Schipplock in 90. Minute zum 2:2 für 1899 Hoffenheim gegen Werder Bremen ausglich, machte er das Weserstadion mit einem Schlag zum leisesten Stadion der Bundesliga. Die Schockstarre, in die er die 41.000 Zuschauer versetzte, konnten auch die 200 mitgereisten Gästefans nicht übertönen. Bis zu dieser 90. Minute erzeugten die Werder-Fans eine Atmosphäre, die eines Champions-League-Finales würdig gewesen wäre.

Ihren Ausgangspunkt hatte diese Euphoriewelle vor einer Woche, als die Bremer Fans ihre Mannschaft nach der Niederlage bei Bayer Leverkusen feierte – statt sie auszupfeifen. Instinktiv spürten sie wohl, dass das verunsicherte Team aus sich heraus nicht mehr die Mittel mobilisieren könnte, den Abstieg zu vermeiden.

Die Welle schwoll im Laufe der Woche dann immer mehr an: Unter dem Motto „ALLEz Grün“ wurden Aufrufe gestartet, Schals gestrickt, Balkone und Häuser in Grün-Weiß dekoriert. Niemand hätte sich über T-Shirts mit der Botschaft: „Abstiegskampf bringt Spaß“ gewundert. Am Spieltag selbst wurden dann auch noch die Geister der Vergangenheit beschworen: Die Ostkurve hielt Porträts der Meistermannschaft von 1988 hoch, die angeführt von Trainer Otto Rehhagel in der Halbzeitpause dann leibhaftig ihre Aufwartung auf dem Spielfeld machte.

Die Schaaf-Elf begann, als könne sie – getragen von dieser Welle – den Gegner einfach wegspülen. Bereits nach 17 Sekunden erhielt Aaron Hunt einen Elfmeter zugesprochen, den er selbst verwandelte, und in der 24. Minute erhöhte der überragende Kevin de Bruyne nach einem Sololauf von Nils Petersen auf 2:0. Die Hoffenheimer schienen lange Zeit beeindruckt, ließen aber immer wieder die neue Kombinationsstärke aufblitzen, die Trainer Markus Gisdol scheinbar wieder zum Leben erweckt hat. Meist wurde der Ball dabei schnell nach vorne gespielt und nach zwei, drei verwirrenden Kurzpässen von Salihovic vertikal in die Schnittstellen verlängert. Damit kamen die Bremer nie zurecht, was sich bitter rächen sollte. Solange aus den Hoffenheimer Bemühungen nichts wirklich Gefährliches entsprang, verzieh das Bremer Publikum seiner Mannschaft auch, dass sie unkonzentriert mit den eigenen Chancen umging. Ab der 70. Minute feierte es sich mit La-Ola-Wellen selbst – und lullte damit die eigene Mannschaft ein. „Vielleicht haben wir zu früh gedacht, dass wir das Spiel gewonnen haben“, sagte Sebastian Prödl nachher.

Als Markus Gisdol in der 65. Minute Stoßstürmer Schipplock als zusätzliche Offensivkraft einwechselte, konnte Thomas Schaaf nicht mit einer defensiveren Variante reagieren, weil er mit Fritz, Ignjovski und Kroos drei defensive Spieler wegen Rot-Gefahr, Verletzung und Erschöpfung auswechseln musste. So fanden die kühl agierenden Hoffenheimer in der hektischen Schlussphase doch noch die Lücken im Bremer Zentrum für zwei Schipplock-Tore.

Die Bremer Spieler sanken nach dem Schlusspfiff reihenweise auf den Boden – die Fans machten sich nach einer kurzen Trauerminute wieder an das, was sie in diesen Tagen als ihre Berufung betrachten: „Mannschaft aufrichten, Mut machen.“ Das wirkte kurz nach Spielschluss noch nicht ganz: „Wir sind mehr als enttäuscht, es fühlt sich an wie eine Niederlage“, sprach Nils Petersen seinen Kollegen aus der Seele. Einzig Thomas Schaaf verbarg standhaft seine Enttäuschung: „Heute ist nichts kaputtgegangen, ganz im Gegenteil, wir nehmen viel Positives mit“, sagte er mit Blick auf das neue Wir-Gefühl in Bremen.

Noch hat Werder drei Punkte Vorsprung auf einen Relegationsplatz – aber der nächste Gegner Eintracht Frankfurt kommt mit viel Rückenwind nach Bremen gereist. Den werden die Bremer wahrscheinlich mit noch mehr Grün auf den Straßen und Rängen empfangen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen