: An der schönen blauen Elbe
AUS DRESDENMICHAEL BARTSCH UNDDAVID BRANDT (FOTOS)
Frack oder Smoking? Sage keiner, man habe bei der Wahl seiner Ballgarderobe keine Wahl. Der Frack ist nobler, aber eher von begrenztem Gebrauchswert. Den Smoking kann man vielleicht noch einmal tragen. Sollte man jemals wieder in die Oper gehen. Oder zur Beerdigung. Mit Frack hält man mich womöglich für den Kapellmeister. Ein oder zwei Knöpfe am Revers? Zwei sind zwar für den Reservefall praktischer, könnten aber auch als gehobenes Statussymbol missinterpretiert werden.
Einmal so aussehen wie die Puppe im Schaufenster des Modehauses Silbermann, gleich neben dem Schloss, beste Dresdner Adresse! In den Neunzigerjahren war in diesen Räumen mal ein Ramschladen untergebracht. Die Gattin von Georg Posch, dem heutigen Geschäftsführer, ist eine geborene Silbermann, entfernt verwandt mit der berühmten sächsischen Orgelbauerfamilie. Nun sind sie Exklusiv-Ausstatter des ersten Balls in der Dresdner Semperoper seit 67 Jahren. Morgen Abend ist es so weit.
Das Sonderangebot zum sächsischen Ballereignis bringt mich in Verlegenheit. Frack, Hemd, Weste, Schleife und Knöpfe für nur 699 Euro? Herr Posch hat ja Recht: „Es gibt viel zu wenige Ereignisse, wo man sich einmal elegant angezogen zeigen kann!“ Denn Opernbesuche seien durch Zuschauer in Jeans und Sweatshirt heute längst entwertet. Insofern empfindet Herr Posch den Semperopernball geradezu als „soziales Ereignis“.
So wird ein Mythos draus
Soziales Ereignis? Davon spricht Operndirektor Hans-Joachim Frey nicht so direkt. Einen richtig guten Grund kann er vor Journalisten nicht liefern auf die Frage, warum Dresden ausgerechnet jetzt wieder einen Opernball braucht. In seinen neun Jahren an der Semperoper, sagt er, sei er ständig wegen einer Wiederbelebung der 1939 abgebrochenen Tradition angefragt worden. Von Dresdnern, von seinen Mitarbeitern, auch von Gästen der Stadt. Der schon seit Monaten ausverkaufte Ball beweise ja wohl das allgemeine Interesse. Nun, aus Anlass der 800-Jahr-Feier der Stadt, sei der richtige Zeitpunkt da. Und deshalb werde am Freitagabend Oberbürgermeister Ingolf Roßberg nach dem Defilee der Promis über den roten Teppich das Dresdner Jubeljahr mit einer Rede offiziell eröffnen.
Wieder einmal die Tradition also, darauf fährt man hier im Elbtal ab. Auf semperopernball.de ist schon von einem neuen Mythos die Rede. Da schiele man nicht einmal nach Wien, betont Operndirektor Frey, man setze lieber selbst eine „Premium-Marke“.
Auch die Deutsche Bahn wirbt in ihrem Pauschalangebot inklusive Übernachtung im Doppelzimmer zu 879 Euro für einen Ball, der im Begriff sei, „zu einem Mythos mit ganz eigenem Flair zu werden“. Unter einem handfesten Mythos macht es niemand in Dresden.
Das Einkleiden bei Silbermann gerät unterdessen sehr wohl zum sozialen Ereignis. Ein älteres, eher einfach gekleidetes einheimisches Ehepaar ist in den Laden gekommen und sucht Ballgarderobe für den Herrn. Trotz seiner normal großen Statur muss etwas Passendes erst bestellt werden. Die Dame hat es da einfacher. Sie beschreibt ihre Festgarderobe und erfährt, dass auch ein Zweiteiler in Ordnung geht. „Hauptsache lang!“
Beide freuen sich auf die Gelegenheit, am Freitag mal wieder zu tanzen. Die Karten hat ihnen ein Bekannter besorgt. Überhaupt scheinen alle Normalsterblichen in Dresden die Tickets von „Bekannten“ zu haben. Das ist immer noch ein bisschen wie in der DDR: Beziehungen sind alles. Vielen VIPs dagegen verschafft ihr jeweiliges Unternehmen die Tischkarte zu 1.200 Euro.
Die 250 Euro pro Person waren für das Ehepaar „ein schwerer Schock“. Aber unter diesem Betrag gibt es höchstens Flanierkarten. Eine halbe Million kostet allein der seit Dienstag laufende Umbau der Oper zum Ballsaal. Am Samstagabend müssen alle Sitze schon wieder demontiert sein. Für 2.000 Gäste sind 1.200 Mitwirkende aufgeboten – macht Kosten von 1,1 Millionen Euro, die auch wieder eingenommen werden wollen. Dieses Nullsummenspiel ist wichtig für den Semperopernball e.V., der extra gegründet wurde, weil ein subventionierter Opernbetrieb nicht unbedingt Bälle veranstalten sollte. Ihre lange versteckten Millionenschulden, die man als Einrichtung des Freistaats Sachsen streng genommen auch nicht machen dürfte, wird die Semperoper also mit dem Ball nicht abtragen.
So harmoniert es
Unterdessen zwänge ich mich in ein weißes Frackhemd. Schon wieder eine Entscheidung: offener Läppchenkragen oder verdecktes Schleifenband? Um das Gefummel mit den Perlmuttknöpfen komme ich in keinem Fall herum. Vier für das Hemd, zwei für die Weste. Im Angebotspreis enthalten, sonst 40 Euro. Schleife und Weste sollten harmonieren, rät die Verkaufsassistentin.
Wie überhaupt alles in der „schönsten Nacht des Jahres“ harmonieren soll. „Wie kriegen wir diese sozialen Schranken weg?“, fragte sich deshalb Operndirektor Frey und nahm dankbar eine Idee des Medienpartners MDR an. Ein Ball nur für die Schönen und Reichen – das war einmal. Direktor Frey wünscht sich eher etwas wie ein „Volksfest“.
Deshalb soll nun jedermann nicht nur die Promis über den roten Teppich wandeln sehen können, sondern sich auch bis fünf Uhr morgens an der Videoübertragung auf den Opernplatz erfreuen dürfen. Der Wetterbericht sagt für Dresden einen sternenklaren Nachthimmel und minus zwei Grad voraus. Frierende können sich gemeinsam mit Chören warm singen. Freier Eintritt auf den Theaterplatz vor der Oper! 4.000 Schaulustige erwartet der Operndirektor. Ob sie wirklich kommen werden oder lieber am Fernseher für eine Stunde die Stars um Moderatorin Senta Berger begutachten? „Ich kann darauf verzichten“, ist schon von Beamten der Staatskanzlei zu vernehmen.
Störungen sind in der Opernnacht jedenfalls nicht zu erwarten. So etwas wie die Frankfurter Opernball-Gegenbewegung „Luxus für alle“ hat sich in Dresden nicht formiert. Carsten Ungewitter von der Initiative „Dresden umsonst“ fällt aus allen Wolken. Opernball? Noch gar nichts mitbekommen davon.
Bei Silbermann stehe ich immer noch im Hemd da. Hosen sind im Sonderangebot zum Ball nicht enthalten. Schuhe auch nicht. Und das müssten schon Lackschuhe sein. Insgesamt kommt mittlerweile locker ein Tausender zusammen. Dann lieber doch zum Kostümverleih Tille. 85 Euro kostet hier die Frackmiete für eine Nacht, aber so kurz vor dem Ball sind alle gängigen Größen weg. Geschäftsleute und die „besseren Kreise“ seien vor mir da gewesen, verrät Cornelia Tille. Offenbar legen auch die nicht mehr ohne weiteres bei Silbermann einen Tausender auf den Tisch.
Das aber hält sie nicht ab vom „demonstrativen Konsum“, wie ihn der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Thorstein Veblen schon 1899 beschrieb. So gesehen, entdeckt auch der in Dresden lehrende Kultursoziologe Prof. Karl-Siegbert Rehberg im Opernball das von Modehändler Posch beschriebene „soziale Ereignis“.
Denn statt geschlossener Adelsformationen oder der bürgerlichen „guten Gesellschaft“ von einst existiere heute nur noch eine fragmentierte, anonymisierte Gesellschaft. „Auch in Dresden gibt es weder einen Hof noch eine Gesellschaft, die in dieser Weise selbstdarstellungsfähig wäre.“ Also suchten die ökonomisch Erfolgreichen und Funktionseliten Events, um Beziehungen zu knüpfen. Erleichtert werde dies durch eine „neue Legitimität der Ungleichheit“ in der öffentlichen Meinung. Rehberg sieht im Repräsentationsbedürfnis der Wohlhabenden aber auch die wachsende Angst vor dem eigenen Abstieg. Jeder hat schon von gestrauchelten Topmanagern und Politikern gehört.
Ich hingegen erlebe mit der Komplettierung meiner Garderobe den gefühlten Aufstieg. Welche Accessoires wären angemessen? Eine Bauchbinde, „Kummerbund“ genannt, ist verzichtbar. Ein Einstecktuch in Bordeaux sollte erwogen werden. Und in diesem Korsett soll ich tanzen? Denn auch wenn ein Opernball mit Oper so wenig zu tun hat wie der Presseball mit Presse, bleibt immerhin der Ball zum Tanzen.
So wird es ein Ereignis
Wie das geht, sollen die Debütanten vormachen, die morgen um 22 Uhr den Reigen eröffnen werden. Allesamt Teenager, zum Teil direkt aus der Tanzstunde, die das Casting bei der Tanzschule Lax überstanden haben. Lax aber geht es bei den viertägigen Tanzproben im Ballhaus Watzke, direkt an der Elbe gelegen, ganz und gar nicht zu. Vier mal vier Stunden Unterricht, dann muss die Choreografie zur „Schönen blauen Donau“ sitzen.
Die 72 Paare an diesem Dienstagabend sind hoch motiviert, aber Lehrer Tassilo Lax ist um seine Aufgabe nicht zu beneiden. Beim ersten Vortanzen legen gerade mal sieben Paare einen brauchbaren Walzerschritt hin. „In der Disco hat man eben kaum Gelegenheit, Walzer zu üben“, bemerkt seine Mitarbeiterin Linda spitz.
Also kein echter Glamour, alles nur schöner Schein in Dresden? In meinem Frack gehöre ich jedenfalls offensichtlich zur sächsischen Society. Aber vielleicht gehe ich an diesem Freitag dem dreizehnten, doch lieber zweihundert Meter weiter ins Schauspielhaus. Die Uraufführung von „Hartz IV – das Musical“ verspricht auch ein soziales Ereignis zu werden. Die Eintrittspreise sind moderat.
Oder ich verkaufe in letzter Minute meine Opernball-Karte und spende den Erlös „Hand in Hand for Children e.V.“, das soziale Feigenblatt des Semperopernballs. Marcus Scholl, der den Verein für krebskranke Kinder vertritt, erinnert mich: „Mit 21 Cent täglich kann man ein Kind in Afrika ernähren.“
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