: Railway Number One
Endlose Strände, riesige Bettenburgen, ein Hippodrom und das Meer. Wie mit dem Messer haben die Stadtplaner Bahn- und Autotrasse durch die Küstenregion gesäbelt. Eine Zugfahrt entlang der Côte d’Azur von Ventimiglia nach St. Raphaël
von CHRISTINE BERGER
Rosana Golden hat die Sonnenbrille abgenommen. Das tut sie selten, aber hier im Zug Richtung Monaco schaut keiner so genau hin, und die blonde Engländerin gibt sich natürlich. Jeden Tag fahren Rosana und ihr Lebensgefährte Dean nach Monaco, um dort zu arbeiten. „Wir wohnen in Italien, das ist billiger und außerdem viel sauberer“, so Dean. Da gebe es noch Pizza für 7 Euro und dazu ein veritables Glas Wein, was einen nicht in den Ruin treibe. Sie organisieren das jährliche Monaco-Filmfest, das sich gegen Gewalt im Kino wendet. „No crime, no violence“, sagt Dean.
Es wird dunkel. Wir sind in einen der vielen Tunnel eingefahren, die den Weg entlang der Côte d’Azur vereinfachen. Schon passieren wir Menton, danach werden die ersten Häuser des Molochs Monte Carlo und Monaco sichtbar. Wie Baumkuchen stapeln sich Wohnungen schichtweise in den Himmel, das Meer verschwindet, und es wird wieder dunkel. Der Bahnhof von Monaco liegt unterirdisch, wahrscheinlich aus Platzgründen. Rosana und Dean setzen ihre Sonnenbrillen auf und verabschieden sich.
Endlich Zeit, aus dem Fenster zu schauen. Hinter Monaco zeigen sich wunderschöne Buchten, fast einsam dümpeln ein paar Jachten in kleinen Häfen, die Häuser sind höchstens zweistöckig, was schon etwas Besonderes ist an diesem dicht besiedelten Küstenstrich. Doch keine zehn Minuten später erreichen wir Nizza. Schmucklose Häuser, sandfarben, von der Architektur der Belle Epoque sind nur die obersten Stockwerke zu sehen. Wie mit dem Messer haben die Stadtplaner Bahn- und Autotrasse durch die Stadt gesäbelt. Der Kiesstrand am berühmten Boulevard Anglais ist auch kein Grund auszusteigen. Zu sehr schmerzt noch die Erinnerung, wie man vor Jahren über die groben Kieselsteine ins Meer gestakst ist und sich nach feinem Sand gesehnt hatte. Der Strand von Nizza ist einfach grässlich!
Der Zug fährt weiter, immer am Meer entlang. Frankreichs zweitgrößter Flughafen macht sich am Stadtrand durch die Geräusche landender Charter- und Billigflieger bemerkbar. Seit europaweit Flüge ab 19 Euro nach Nizza angeboten werden, schweben vermehrt Kurzurlauber ein, weshalb man in Nizza nicht nur vermehrt Russisch und Englisch, sondern auch Rheinländisch und Berlinerisch hört. Cap 3000 heißt ein riesiges Einkaufszentrum am Stadtrand von Nizza. Hier kaufen Langzeiturlauber und Einheimische ein, die sich keine Wohnung mehr in Küstennähe leisten können.
Der nächste Halt hat etwas Besonderes zu bieten. In Cagnes-sur-Mer gibt es nicht nur Sandstrand, sondern auch die größten Bettenburgen weit und breit, die Marina Baie des Anges, benannt nach der einst malerischen Engelsbucht, die von Nizza bis Antibes reicht. Wie riesige Dampfer thront die 23 Hektar große Urlauberdomäne vor dem Meer. Beim näheren Hinsehen hat sich der Architekt durchaus Gedanken gemacht. Fast alle Wohnungen haben Meerblick, weshalb sich die vier 20-Geschosser merkwürdig zu winden scheinen, um möglichst viel Fläche dem Wasser entgegenzustrecken. In Cagnes-sur-Mer gibt es auch ein fantastisches Hippodrom direkt am Meer. Wohl einmalig auf der Welt können Segler hier quasi vom Boot aus bequem auf ihr Pferd setzen.
Und dann kommt Antibes. Im Jachthafen liegen schwere Schiffe, zwei-, dreistöckige Cruiser, fast alle mit Flaggen von Steuerparadiesen wie den Kaimaninseln oder Guernsey im Ärmelkanal. In Antibes verbrachte Picasso 1946 einst einige Monate im Grimaldi-Schloss, weshalb ihm dort eine Dauerausstellung mit seinen Werken gewidmet ist. Der Ausblick von der Terrasse auf das azurblaue Meer und die Baie des Anges mit den schneebedeckten Gipfeln der Seealpen dahinter muss ihn dermaßen inspiriert haben, dass er fast täglich ein, zwei Bilder malte. Heute dürfte den Meister wohl der Autoverkehr stören, der sich ohne Unterlass durch das Städtchen kämpft. Dazu die gepfefferten Preise: Ein Milchkaffee kostet 3 Euro, ein Erdbeertörtchen auch.
Einen Kilometer weiter in Juan-les-Pins tummeln sich die Reichen und Schönen im eleganten Hotel du Cap – Eden Roc. Dort ist auch Madonna mit ihren Kindern öfter zu Gast.
Schnell weiter. Der Zug zieht nun bis Cannes immer am Meer entlang. Zehn Kilometer Sandstrände, kleine Eisbuden, ein paar Liegestühle, sonst nichts. Am Horizont sieht man die Iles des Lérins, eine Inselgruppe vor Cannes. Und dann sind wir schon da. Cannes, so hat eine Mitreisende gestöhnt, ersticke im Verkehr, sei teuer und einzig wegen des Filmfestivals im Mai einen Besuch wert. Das animiert nicht gerade zum Zwischenstopp, und so nähert sich der Zug Saint Raphaël.
Schlagartig wird es einsamer. Die Hügel am Meer sind zwar noch immer von Villen und Ferienhäuschen übersät, doch Bettenburgen und größere Hotels fehlen. Der Strand zur linken wird ein ermüdender Begleiter, wie ein hübsches, doch gleichförmiges Geschenkband säumt er den Weg der Gleise. Bald fallen die Augen zu, und das Rattern des Schnellzugs tut sein Übriges. Im Traum steht Picasso in einer gestreiften Badehose am einsamen Strand und raucht Zigarre. Ein verlorenes Paradies.
Die Fahrt von Ventimiglia nach Saint Raphaël kostet ca. 40 Euro einfach und dauert ca. 2 Std. Tipp: Vom Bahnhof in Antibes sind es nur 5 Minuten Fußweg zum schönen Sandstrand am Hafen, www.sncf.fr Tourismusinformation Nizza: 5, Promenade des Anglais, Tel. (00 33) 8 92 70 74 07, www.nicetourism.com Touristeninformation Antibes: 11, place General de Gaulle, Tel. (00 33) 4 92 90 53 00, www.antibes-juanlespinsTouristeninformation Cagnes-sur-Mer: 6, Boulevard maréchal juin, Tel. (00 33) 4 93 20 61 64
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen