: Der Pascha-Test
Wer deutscher Staatsbürger werden will, muss in Baden-Württemberg seit Anfang des Jahres Fragen zu seiner Einstellung zur Verfassung beantworten. Ein Plädoyer für die Überprüfung durch den Staat
VON NECLA KELEK
Die deutsche Gesellschaft hat mit dem Zuwanderungsgesetz – wenn auch spät – Migranten ein Angebot zur Integration gemacht. Jeder Einwanderer kann bei Erfüllung bestimmter Voraussetzungen deutscher Staatsbürger werden. Aber wer Bürger dieses Landes werden will, sollte Grundsätzliches über das Leben dieses Landes wissen und seine Regeln und Gesetze akzeptieren und sich zur Verfassung dieses Landes bekennen. Es gibt keinen Automatismus Deutscher zu werden, sondern es ist ein Angebot, und dieses ist an die Zustimmung zu der Grundordnung gebunden, die sich dieses Land selbst gegeben hat. Damit hat der Staat auch die Möglichkeit, einen solchen Antrag abzulehnen, wenn ein Bewerber die Zustimmung zur Grundordnung verweigert oder seine Handlungen der Verfassung entgegenstehen.
Es mag ein unzulänglicher Versuch sein, dies herauszufinden, indem man sich mit dem Bewerber unterhält, nachfragt, ihm zuhört, mit ihm ein Gespräch führt und sich ein Bild zu machen versucht. Denn gegen Täuschungen oder falsche Interpretationen, sowohl auf Seiten des Auskunft Gebenden wie auf Seiten des fragend Zuhörenden, ist niemand gefeit. Wenn jemand einen besseren Vorschlag vorzubringen hat, möge er dies tun.
Viele der mit einem solchen Gespräch betrauten Beamten nicht nur in Baden-Württemberg dürften vor dem Problem stehen, dass sie sich Geboten, „Gesetzen“, den Vorstellungen über das, was Männern oder Frauen in anderen Kulturen erlaubt oder verboten ist, kaum auskennen. Dementsprechend dürften sie vor der Schwierigkeit stehen, wie sie das Gehörte interpretieren, einordnen, zuordnen können. Wer weiß schon, was Muslime mit den Begriffen Ansehen, Respekt, Ehre und Schande verbinden. Interkulturelle Kompetenz ist kein Kriterium bei der Besetzung von Verwaltungsposten. Die Landesregierung Baden-Württemberg wollte ihren Beamten deshalb für diese – laut Zuwanderungsgesetz – Gespräche einen Leitfaden an die Hand geben.
Aber darf man das? Ist das, wie der Alt-68er Peter Schneider meint, ein neuer „Radikalenerlass?“ Die Schriftstellerin Thea Dorn hat in der Welt auf den entscheidenden Unterschied hingewiesen, nämlich „dass es hier nicht um einen ‚Gesinnungs-Check‘ geht, der bei deutschen Staatsbürgern durchgeführt werden soll, sondern bei Leuten, die sich um die deutsche Staatsbürgerschaft bewerben. Bevor noch auch nur ein einziges Gespräch mit Antragstellern nach diesem Leitfaden geführt worden ist, ist die gesamte muslimische und politische Szene zur Kritik angetreten. Von „Verfassungsbruch“ und „Gesinnungsschnüffelei“ ist die Rede, Verfassungsklagen werden angekündigt. Deftig reagiert der türkischstämmige CDU-Politiker Bülent Arslan auf die Initiative seiner baden-württembergischen Parteifreunde: „Wer das formuliert hat, war besoffen oder hat kein Gefühl.“ Ablehnung also allerorten, selbst CDU-Politiker gehen in Deckung, wollen sich nicht den Mund verbrennen. Nur einige türkische Frauen – Seyran Ates und Cerap Cileli und ich – fragen sich, was die Aufregung soll. Fälle von Gewalt gegen Frauen, Zwangsverheiratungen, Polygamie, Ehrenmorde sind in unserer Gesellschaft unter Migranten nun mal Fakt und kein Vorurteil. Dass solche Praktiken, die alle mit dem deutschen Grundgesetz kollidieren, mitnichten aber von allen Migranten abgelehnt werden, sollten die Erfahrungen der Vergangenheit gezeigt haben. Weggesehen wurde in der deutschen Öffentlichkeit lange genug. Oder ist diese Gewalt gegen Frauen für Alt-68er immer noch wie anno dazumal ein „Nebenwiderspruch“? „Dabei steht außer Frage, dass deutscher Staatsangehöriger nur werden kann, wer sich zum Grundgesetz bekennt“, sagt der Grünen-Politiker Cem Özdemir, der vom Leitfaden als „diskriminierenden Verfassungstest“ spricht, um dann doch in einer überraschenden Volte vorzuschlagen, die Verfassungstreue in einem Gespräch zu klären.
Aber worüber sollen sich Antragsteller und Sachbearbeiter unterhalten? Über das Wetter? Über die Ergebnisse der Fußball-Bundesliga? Über den Islam und die Scharia offensichtlich nicht, denn das wäre schon der Sündenfall der Diskriminierung von Muslimen – bei einem protestantisch-calvinistischen Schweizer Antragsteller machen solche Fragen auch keinen rechten Sinn.
Nadeem Elyas, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime, empfiehlt dann auch den Muslimen, gar nichts zu sagen. Zieht sich hier jemand einen Schuh an, der ihm passt? Warum geht er nicht von der Unschuldsvermutung gegenüber seinen Schützlingen aus? Warum meinen er und andere eigentlich, Muslime könnten Probleme mit den Fragen haben wie: „Wie stehen Sie zu der Aussage, dass die Frau ihrem Ehemann gehorchen soll und dass dieser sie schlagen darf, wenn sie ihm nicht gehorsam ist?“ Oder misstraut ausgerechnet Herr Elyas der Lebensführung von Muslimen? Oder soll uns hier nur wieder zum xten Mal das Wiederholungsstück „Verfolgte Unschuld staatlicher Willkür“ vorgeführt werden?
In den 21 Fragen des Leitfadens kommen die Worte „Muslim“ oder „Islam“ nirgends vor. Es ist immer von „Glauben“ und „Religion“ die Rede. Die Fragen gelten Themen, die in der Tat für eine Demokratie lebenswichtig sind: Gewalt gegen Frauen, Freizügigkeit, Selbstbestimmung, Demokratieverständnis. Warum ist das ein „Muslim-Test“? Mit der gleichen Berechtigung könnte man ihn einen „Pascha-Test“ nennen, denn die Fragen problematisieren mehrheitlich die Männerrolle.
Die in der deutschen Öffentlichkeit gepflegte Kultur des „Alarmismus“ nötigt mir einerseits immer wieder Bewunderung ab: Man ist sofort bereit, vermeintlich Schwachen, Bedrohten wortreich zur Seite zu stehen; andererseits bestürzt es mich, dass diese Solidaritätsbereitschaft oft mit Blindheit geschlagen ist – Blindheit für das, was an der eigenen Gesellschaft, der eigenen Verfassung verteidigenswert ist und im Zweifelsfalle auch verteidigt werden muss.
Und ich wundere mich, mit welchen Widersprüchen die jetzige Reaktion einhergehen kann: Da wird für die gleichgeschlechtliche Ehe gestritten und gekämpft, und dieselben Leute weigern sich, mit der gleichen Vehemenz für das gleichberechtigte Verhältnis zwischen Mann und Frau zu kämpfen – zumindest wenn es dabei um Muslime geht. Die Vermutung, dass Migranten ganz automatisch in der modernen Gesellschaft ankommen und alles an ihnen schützenswerte „Kultur“ ist, hat die Wirklichkeit längst brutal widerlegt.
Hören wir doch auf, Migranten und ihre andere Einstellung zu den Kernfragen der Demokratie unter Naturschutz zu stellen. Ich möchte wissen, ob sie bereit sind, mit aller Konsequenz den „Geist der Gesetze“ dieser Republik anzuerkennen, ob sie Deutschland als ihre Heimat annehmen, ob sie ihre Frauen vor Diskriminierung und Gewalt schützen, ob sie dazu beitragen, dass ihre Kinder selbst entscheiden können, wann, wen und ob sie heiraten wollen – das ist der wahre „Muslim-Test“.
Necla Kelek, 48, Migrationsforscherin und Geschwister-Scholl-Preisträgerin, hat das Innenministerium in Baden-Württemberg bei der Entwicklung des Gesprächsleitfadens zur Einbürgerung von Muslimen aus Ländern der Islamischen Konferenz beraten. Dieser Text ist ein Auszug aus Keleks neuem Buch „Die verlorenen Söhne“, das im März bei Kiepenheuer und Witsch erscheint
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