: Sechs Jahre Leerstelle
Heute beschließt der Bundestag endgültig den Abriss des Palastes der Republik. Mit dem Neubau des „Humboldtforums“ kann aber nicht vor 2012 begonnen werden
Von Uwe Rada
Es hätte der parlamentarische Showdown für den Palast der Republik sein sollen. Doch einen Tag vor der heutigen Debatte im Bundestag überraschte die Bundesregierung gestern mit einer Stellungnahme, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt. Zum „Humboldtforum“ mit seiner barocken Schlossfassade, das an der Stelle des Palastes entstehen soll, sagte Bundesbauminister Wolfgang Tiefensee (SPD): „Vor 2012 werden wir mit dem Bauen nicht beginnen.“
Überraschend ist die Nachricht deshalb, weil Tiefensees Vorgänger Manfred Stolpe noch vor einem halben Jahr den Baubeginn für 2007 angekündigt hatte. Auch der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) hatte bei seinem Antrittsbesuch bei Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) darauf gedrängt, möglichst schnell die offenen Fragen bei der Finanzierung des Neubaus zu klären.
Entsprechende Zusagen wollte Merkel aber schon damals nicht machen. Wann der Schlossneubau einmal fertig sein wird, steht deshalb in den Sternen. Nach Ansicht von Bauminister Tiefensee wird dies nicht vor 2018 oder 2020 sein.
Wenn der Bundestag heute in namentlicher Abstimmung den Antrag der Linkspartei und der Grünen auf Abrissstopp respektive Abrissmoratorium ablehnen wird, ist dies nolens volens auch das Eingeständnis der eigenen Hilflosigkeit. Für einen Abriss der Palastruine reicht der politische Wille gerade noch, die Entscheidung für einen Neubau dagegen verlangt mehr – vor allem Geld. Das weiß auch Tiefensee, der es nicht einfach haben wird, zu begründen, warum der Bund einerseits 1 Milliarde Euro für den Stadtumbau-Ost ausgibt, andererseits die gleiche Summe in den Bau einer fragwürdigen Schlosskopie investieren will.
Natürlich steckt hinter der Abrisswut von SPD und CDU auch die Hoffnung, eine Wiese mitten in der Stadt würde die Meinungsbildung in Richtung Stadtschloss beschleunigen. Doch auch da sind Zweifel angebracht, wie eine aktuelle Umfrage der Zeitschrift SuperIllu ergibt. Demnach sind 60 Prozent der Ostdeutschen gegen den Abriss der Palastruine. Wenn der nicht verhindert werden kann, will eine Mehrheit von 56 Prozent zumindest die grüne Wiese behalten. Nur 33 Prozent halten den geplanten Neubau für wünschenswert. So kann es also kommen, dass ein „Central Park“ mitten in der Stadt die Lust am Schloss endgültig begräbt – und damit auch die Bereitschaft des Bundesfinanzministers und des Berliner Senats, den Bürgern dafür tief in die Taschen zu greifen.
Entsprechend nervös reagierte man gestern im Hause der Berliner Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD). „Mit einer Verzögerung des Baubeginns bis 2012 haben wir nicht gerechnet“, räumte Sprecherin Petra Rohland ein. Umso stärker müsse man nun die Bemühungen für die Gestaltung der Freifläche konzentrieren. Bislang aber gibt es dazu wenig Konkretes. Wenn der Palast zu Ostern 2007 abgetragen sein wird, hatte Junge-Reyer bislang verraten, wolle man auf dem Gelände eine Grünfläche anlegen und die Ausgrabungen der Schlossfundamente sichtbar machen. Außerdem soll eine „Humboldtbox“ über die Geschichte des Ortes informieren.
Wer im kommenden Jahr auf dem Dach einer solchen Box steht, wird allerdings eine unbebautes Band von 500 Meter Länge im Blick haben, das vom Fernsehturm im Osten bis zur Friedrichswerder’schen Kirche im Westen reicht. Mindestens sechs Jahre lang wird diese Leerstelle das Bild der Stadt bestimmen – und weitere Diskussionen auslösen. Ist die Leerstelle nun Armutszeugnis oder Ausdruck des neuen Reichtums, sich mitten in einer Hauptstadt unbebauten Raum leisten zu können?
Kann gut sein, dass die Debatte noch länger dauern wird. „Je weiter sich die Entscheidungen über den Neubau verschieben, desto weiter verschiebt sich auch der Baubeginn“, sagt der Architekt Philipp Oswalt. Oswalt hatte bereits auf den von Stolpe anvisierten Baubeginn 2007 mit einem Gegengutachten reagiert. Sein Ergebnis damals deckt sich mit der Einsicht von Stolpes Nachfolger Tiefensee: „Selbst bei unverzüglichem Beschluss zu Realisierung und Finanzierung seitens des Bauherrn (kann) mit einem Baubeginn frühestens im Jahr 2012 gerechnet werden.“
Am Abriss der zuletzt so erfolgreich genutzen Palastruine wird aber auch das nichts mehr ändern. Nicht nur der Bundestag wird heute Fakten schaffen. Bereits gestern ließ die Bauverwaltung 30 Baucontainer am Palast aufstellen. Der Abriss hat begonnen, die Zeit der Leere ebenfalls.
berlin kultur SEITE 27
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