: Elektroschrott als urbane Ressource
RECYCLING 20 Kilogramm Elektroschrott produziert jeder und jede von uns im Jahr. Dieser Müllberg enthält begehrte Rohstoffe und Edelmetalle. Eine Forschungsgruppe an der TU Harburg erforscht ihre effektive Rückgewinnung
VON BIRK GRÜLING
Alte Festplatten, haufenweise Platinen und zwei Rollcontainer voll mit Handys – all das stapelt sich in dem großräumigen Labor „Abfallressourcen“ des Instituts für Umwelttechnik und Energiewirtschaft der TU Hamburg. „Dieser Elektroschrott ist eine urbane und nachwachsende Ressource“, sagt Julia Hobohm.
Die Umwelttechnik-Ingenieurin gehört zu einer Forschungsgruppe, die nach effektiven Recyclingwegen sucht. Laut EU-Statistik produzierte jeder Europäer im Schnitt 20 Kilogramm Elektroschrott pro Jahr, nur 40 Prozent davon werden umweltgerecht eingesammelt und wiederverwertet. Dabei sind die Inhaltsstoffe wie Gold, Silber, Kupfer oder seltene Erden immens wertvoll und gleichzeitig Rohstoffe mit begrenzter Verfügbarkeit. Bisher lässt sich rund ein Viertel dieser enthaltenen Edelmetalle zurückgewinnen. Vor allem bei Kupfer, Gold und Silber sind die Verfahren gut ausgereift, die Rückgewinnungsquote liegt hier bei fast 70 Prozent. Schwieriger wird es bei den seltenen Erden, dem wirtschaftlich sicherlich interessantesten Bestandteil.
Die Nachfrage nach dieser Gruppe aus 17 Metallen ist immens. In Smartphones, Tablets, in der Medizintechnik oder in Windrädern und Solaranlagen – überall werden sie verbaut. Gleichwertige Alternativen gibt es kaum, wie Luise Westphal, Doktorandin der Forschungsgruppe, erklärt. Mit Terbium und Dysprosium etwa ließen sich getriebelose Windräder bauen, die weit weniger gewartet werden müssen – bei Offshore-Windparks ein gewichtiges Argument, stellt die Wartung auf hoher See doch eine logistische Herausforderung dar.
Die Versorgungssicherheit auf dem Weltmarkt ist dabei alles andere als gut. 97 Prozent der importierten seltenen Erden stammen aus China. Mit dieser Marktdominanz kann das Land die Preise nach Belieben diktieren, so stieg der Kilopreis für einzelne Erden im Laufe des letzten Jahres um das Zehnfache. So selten sind die Edelmetalle gar nicht, man geht von Reserven von rund 100 Millionen Tonnen aus, und sogar in Deutschland gibt es Vorkommen. Das größte Problem stellt der Abbau dar. Er ist nicht nur sehr kostenintensiv, sondern in der herkömmlichen Technik durch den Einsatz von Säuren sehr umweltschädlich. „Nicht nur die Säuren sind hochgiftig, in der Aufbereitung fallen zusätzlich radioaktive Substanzen und Schwermetalle an“, sagt Kerstin Kuchta, Leiterin der Forschungsgruppe an der TU Harburg. In Europa sei eine solche Aufbereitung seltener Erden deshalb kaum denkbar.
Entsprechend groß ist das Interesse an dem Aufbau von Recycling-Kreisläufen. „Ein solcher Kreislauf würde der Umwelt zugute kommen, die Arbeitsbedingungen vor Ort verbessern und die Position unserer Wirtschaft stärken“, sagt Kuchta. Allerdings ist die Rückgewinnung der seltenen Erden aus Elektroschrott eine große Herausforderung. Das Hauptproblem ist die Zusammensetzung: Detaillierte Zutatenlisten für Handys gibt es nicht. Verschiedene seltene Erdmetalle können gleichzeitig in einem Bauteil enthalten sein, oft in sehr geringen Konzentrationen oder in Kombinationen mit anderen Elementen. Doch ohne genaue Kenntnis der Zusammensetzung ist es nicht möglich, die Metalle zu trennen und aufzubereiten.
Die Harburger Forscher entwickeln deshalb angepasste Analyseverfahren, bei denen die Metalle vom Kunststoff getrennt und mithilfe eines sogenannten Atomabsorptionsspektrometers bestimmt werden. Gleichzeitig treiben sie die Recycling-Technologie voran, denn die bisherigen Verfahren zur Erzeugung von Konzentraten der seltenen Erdmetalle sind noch zu teuer. Trotzdem wird eine autarke Versorgung durch Recycling ein Traum bleiben. „Wir haben im besten Fall eine Rückgewinnungsquote von 80 Prozent“, sagt Kuchta.
Doch auch auf anderen Ebenen steht der Aufbau eines effektiven Recyclingsystems für Elektroschrott noch vor großen Herausforderungen. So ist der Rücklauf an Altgeräten noch zu gering. Zum Beispiel werden derzeit nur fünf Prozent der alten Handys recycelt. Ihre Gebrauchsdauer liegt bei nur etwa 18 Monaten, also einem typischen Vertragszeitraum, danach bleiben sie häufig ungenutzt in den Schubladen liegen, oder sie werden weggeworfen. Landet ein Handy oder Bildschirm im Hausmüll, sind die wertvollen Inhalte verloren. Die Edelmetalle werden dann mit dem restlichen Müll verbrannt und liegen verdünnt in der Asche und Schlacke vor. Dieser Zustand erschwert ein anschließendes Rückgewinnungsverfahren.
Dabei ist die Entsorgung von Elektrogeräten nicht einmal kompliziert – eine EU-Richtlinie verpflichtet Händler zur kostenlosen Rücknahme und fachgemäßen Verschrottung von kleinen Elektrogeräten. Bislang gelangen nach Schätzungen des Europäischen Parlaments allerdings bis zu 40 Prozent unseres Elektroschrotts illegal in Entwicklungsländer, wo sie unter menschen- und umweltgefährdenden Bedingungen zerlegt werden. Eine billige Lösung: Selbst eine maschinelle Sortierung in Europa oder den USA ist derzeit kostenintensiver als die Müllcamps in Afrika und Asien. Doch durch den illegalen Export gehen die Rohstoffe verloren.
Die hoch spezialisierten Recyclinghütten dagegen würden wohl in Europa stehen. Bis zum Aufbau eines solchen Kreislaufsystems aber dauert es noch – fünf bis zehn Jahre, schätzt auch die Arbeitsgruppe in Harburg. „Das Interesse ist trotzdem groß“, sagt Kuchta. Es gebe sogar Überlegungen, den Elektroschrott einzulagern, bis die Entwicklung so weit ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen