Prädikat „lebensecht“

Das Gegenteil eines Paparazzos: Auf der Suche nach Authentizität hat die New Yorker Fotografin Annie Leibovitz 10 Jahre lang die US-Stars des Soul, Rock und Blues mit der Kamera begleitet. Nun ist ihr Zyklus „American Music“ in der c/o-Galerie zu sehen

von ANDREAS HARTMANN

Das Interesse daran, wie es in Schlafzimmern von Popstars zugeht, oder die Freude darüber, dass auch Britney Spears morgens genauso zerzaust aussehen kann wie du und ich, ist inzwischen immens. Vorbei sind die Zeiten, in denen man bereitwillig glaubte, Stars seien unantastbar. Heute laufen auf Viva beinahe rund um die Uhr Paparazzi-Sendungen, in denen es darum geht, Promis mit Lockenwicklern oder in Hausschlappen zu erwischen; und auf MTV führt regelmäßig irgendein Musikmillionär durch seine Privatgemächer und durchlüftet seinen begehbaren Kleiderschrank.

Auch Annie Leibovitz zeigt mit ihrer während der letzten 10 Jahre entstandenen Serie „American Music“ Popstars in intimen Situationen: zu Hause, ganz privat, im Kreis ihrer Lieben. Doch die 1949 geborene New Yorker Fotografin ist dabei das Gegenteil eines Paparazzos, das sieht man in der Zusammenstellung in der c/o-Galerie. Leibovitz achtet auf die Würde der von ihr Porträtierten und versucht niemals, sie unvorteilhaft aussehen zu lassen. Das kann dann Neil Young am Steuer seines eigenen Autos sein, neben ihm seine Frau. Oder Ryan Adams mit Gitarre in der Hand auf seinem ungemachten Bett sitzend, der Blick seltsam entrückt.

„Ein Konzert schien mir der uninteressanteste Ort, um einen Musiker zu fotografieren“, beschreibt die in den Siebzigern fest für den Rolling Stone arbeitende Fotografin die Intention für ihren „American Music“-Zyklus. „Mich interessierte, wie etwas gemacht wird. Ich mochte Proben, Backstage-Räume, Hotelzimmer – fast alles außer der Bühne.“

Betrachtet man ihre Bilder, fühlt man sich an die Texte des amerikanischen Popmusikautors Greil Marcus erinnert. Auch er schafft es immer wieder, Spuren zu verfolgen, amerikanischen Mythen nachzugehen, Ursprünge zu entdecken. Leibovitz will die von ihr fotografierten Musiker nicht losgelöst, sondern als Teil ihrer Umgebung, als Teil Amerikas begreifen: „American Music“ eben. Deutlich wird dies etwa bei der HipHop-Band The Roots, die sich vor ihrer Kamera als Straßenmusik-Combo inszenieren durfte, die scheinbar immer noch um die Ecke im Kreis der besten Freunde in ihrer Heimat Philadelphia auftritt.

Leibovitz zerstört niemals Images, sondern verstärkt diese. Frei von Kitsch und Klischees ist das nicht. Ihre fotografischen Objekte sind auch jenseits der Bühne genau so, wie sie sich selbst gerne sehen – und genau so, wie es unserem Bild von ihnen entspricht. Brian Wilson, der gealterte und kauzige Beach Boy, steht mit offenem Bademantel neben seinem Pool in Kalifornien; und Rick Rubin, der bekanntermaßen genial verschrobene Meisterproduzent, wird in Buddha-Pose am Kamin präsentiert, neben ihm ein Stapel alter Surfbretter und ein ausgestopfter Bison.

Leibovitz will die Betrachter ihrer Bilder nicht beunruhigen. Im Gegenteil scheint sie sagen zu wollen, dass man sich nicht zu fürchten hat vor der globalen Imageproduktion in der Popmusik.

Dabei entsteht ein Bild von Amerika, das sich unerschütterlich aus seinen eigenen Mythen speist. Serienweise hocken ihre Soul-, Blues- und Countrymusiker von B.B. King bis Mary J. Blige vor ihren Hütten im Schaukelstuhl, inmitten ihrer Urenkel auf der Couch, im gammligen Übungsraum oder auf der Motorhaube ihres uralten Autos. Diese Menschen scheinen noch ungebrochen den Blues leben zu können und zu wissen, wo sie zu Hause sind. Außer auf dem Foto, wo der Countrymusiker Hank Williams III. mit einer Knarre herumfuchtelt, geht von ihnen nichts Beunruhigendes aus.

So schön all diese Porträts dann auch sind, ein wenig langweilt diese permanente Affirmation von Images auch. Selbst bei dem Versuch, Popstars einmal anders zu inszenieren, sie in ein anderes Leben zu stecken, landet Leibovitz wieder bei dieser Art von aufrecht gemeinter Authentizität. Wenn sie die White Stripes als Zirkusartisten fotografiert, entspricht das schließlich völlig deren enigmatischem Selbstentwurf, die „etwas andere“ Rockband zu sein.

Annie Leibovitz: „American Music“. Bis 2. 4., Mi.–So. 1–19 Uhr, c/o Berlin, Linienstraße 144