: Gegen normative Sehgewohnheiten
FILMFESTIVAL Das Xposed zeigt Gender, Sexualität und Körperlichkeit abseits der Norm und fordert damit das Publikum heraus – 2013 mit Schwerpunkt auf österreichischem Experimentalfilm
VON MALTE GÖBEL
Dandy Dust ist ein Cyborg und wechselt sein Geschlecht. Er/Sie reist durch die Zeit, trifft sich selbst in Form einer Flamme, begegnet bösen Zwillingen in Kunstrasenkleidern (mit Plastikblumen drauf) und der düsteren Lady, die nur ein Band um den Bauch trägt, dazu einen hohen Papsthut und Mega-High-Heels – und seine Mutter ist. Eine im Buch versteckte Spinne, deren Körper eine Vulva ist, hilft bei den Zeitreisen. Klingt abgedreht? Ist es auch.
Hans Scheirls „Dandy Dust“ (1998) ist nur einer von drei Langfilmen der österreichischen Avantgarde, die den Schwerpunkt des diesjährigen Xposed-Filmfestivals ausmachen. Das Festival war vor sieben Jahren als reines Kurzfilmfestival gestartet, inzwischen gibt es zwar immer noch vor allem kurze Filme, aber auch einen geografischen Schwerpunkt mit langen Formaten. Es geht nicht um Filmlängen, sondern um das Queere daran. „Queer“ bedeutet hier nicht Coming-out-Geschichten, sondern „Filme, die hetero- und homonormative Sehgewohnheiten herausfordern“, wie Festival-Coleiter Michael Stütz im Interview mit dem Stadtmagazin Siegessäule erklärte.
Diesem Anspruch wird Hans Scheirl gerecht. Neben „Dandy Dust“ (Samstag, 18 Uhr, Moviemento) präsentiert das Xposed am gleichen Tag um 22 Uhr sein früheres Werk „Rote Ohren fetzen durch Asche“ (1991), einen nicht minder bizarren lesbischen Pop-Science-Fiction-Fantasy-Spielfilm: Im Jahr 2700 ist die Welt düster und verregnet, in der Stadt Asche herrscht Krieg. Die immergeile Pyromanin Volly fährt auf Rollschuhen durch ein Möbellager, befriedigt sich an einem Tisch und zündet alles an. Und damit geht es erst los, es folgen noch mehr intensive Bilder von Sex, Gewalt und Cyberdykes, gedreht mit Super 8 und Video, oft nochmals auf die Handlung projiziert, und erneut abgefilmt, oft mit Stop-Motion-Elementen, sichtbar handgemachten Modellen. Es gibt Sprünge in der Handlung, die Synchronisation ist großzügig und oft zu lakonisch für die heftige Handlung aus Splatter, Science-Fiction, Genderfuck und Nacktheit. Die avantgardistische Aufmachung macht die Handlung oft nur noch verstörender und schwerer zu ertragen, kratzt gleichzeitig an der Grenze zur Groteske.
Das Xposed Queer Film Festival zeigt also definitiv kein Programm für Anhänger seichter Hollywood-Unterhaltung oder schwullesbischen Betroffenheitskinos. „Wir wollen den Begriff ‚queer‘ aus seinem Regenbogen-Sessel reißen“, heißt es bei Xposed – das dürfte mit den beiden Scheirl-Filmen mühelos gelingen.
Etwas massenkompatibler ist der dritte Festival-Langfilm „Wiener Brut“ (Freitag, 23 Uhr, Moviemento). In sanfter 70er-Softporno-Ästhetik besetzen ein paar schmalbrüstige Boys und Girls ein Wiener Haus und experimentieren dort mit Drogen und Sex. Sie kidnappen ihre Bewährungshelferin und verpassen ihr eine Gehirnwäsche. Gleichzeitig im Schloss um die Ecke: Kaiserinnichte Maria Carolina und ihre Freundinnen brechen in Panik aus, weil Kokslieferant Alfonso hochgegangen ist. Die Lösung: Österreich soll wieder Monarchie werden, dafür verbünden sie sich mit den Hausbesetzern. Eine schrille Klamotte für Liebhaber der Tuntenkultur – barocke Travestieträume mit tuntigen Rebellen.
Den Österreich-Schwerpunkt bedienen auch zwei Kurzfilmprogramme (Donnerstag, 19 Uhr, und Samstag, 20 Uhr, Moviemento), die ebenso wie die deutschen und internationalen Kurzfilme (Freitag, 19 Uhr bzw. 21 Uhr, Moviemento) einige wahre Perlen enthalten – und sexuell explizite Ansichten weder scheuen noch ausnutzen.
Definitiv nicht jugendfrei sind die Kurzfilme des schwulen Underground-Regisseurs und Fotografen Avery Willard aus den 60ern. Das Xposed ist das weltweit zweite Festival, das eine Retrospektive zum vergessenen New Yorker Kunstfilmer zeigt (Donnerstag, 23 Uhr, Mindpirates, Sonntag, 16 Uhr, Moviemento). Mit einer Party am Samstag im Südblock schließt das Festival – inklusive Verleihung von Publikumspreisen in Form von Lollys.
■ Xposed-Filmfestival: 30. Mai bis 1. Juni, u. a. im Moviemento, Infos und Programm unter www.xposedfilmfestival.com
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