: Umbau eines Kunstwerks
Leser wollen verehren: Seitdem sie den Nobelpreis hat, wächst die Neugierde an Elfriede Jelinek. Ein Porträt der Autorin von Verena Mayer und Roland Koberg stillt jetzt den Hunger nach ihrem Leben
Es sei das erste seiner Art, so liest man im Vorwort durchaus mit Erstaunen, das erste Porträt von Elfriede Jelinek in Buchform, und es heißt auch so: „elfriede jelinek Ein Porträt“. Die Nachfrage nach biografischem Material, die große Teile der geneigten Leserschaft umtreibt, wurde bislang weitgehend von Elfriede Jelineks Werk selbst bedient. Freilich durch die Transformation im literarischen Verfahren verliert sich der individuelle Zufall, an dem die lesende Einfühlung so sehr interessiert ist. Je mehr Blicke sich öffnen, umso mehr verstopfen sie die Schlüssellöcher.
Vielleicht ist jene sensibel austarierte Selbstdistanzierung Elfriede Jelineks in der öffentlichen Kommunikation nach dem Nobelpreis nicht mehr zu halten. Lastet doch die ganze Autorität der Auszeichnung nicht nur auf der Ausgezeichneten, sondern auch auf ihrem Publikum, das verehren will und hierfür Devotionalien braucht. Ist es also doch Zeit für die große Lebensbeschreibung mit dem Nobelpreis als Telos, von dem aus alles vorangegangene Leben ein „noch nicht“ ist, in dem sich das Genie Zug um Zug enthüllt?
Der problematischen Tradition der biografischen Form ausweichend, ziehen sich die beiden Autoren Verena Mayer und Roland Koberg auf ihre Subjektivität zurück und nennen die Arbeit Porträt. Das scheint zunächst zu immunisieren gegen eine Kritik an der Gewichtung und der Auswahl des Materials, kommt der Porträtist doch nicht umhin, sich auf einen Bildausschnitt und eine Perspektive festzulegen.
Als Moment, der über den Moment hinausweist, funktionieren die vorgelegten 300 Seiten im Rowohlt Verlag gewiss nicht. Sie fahren vielmehr die gängigen Formationen des biografischen Diskurses auf: die Chronologie, Lebensphasen und ihre Schlüsselwerke, Kindheit, Jugend, Selbstbefreiung, Mutterbeziehung, Vaterbeziehung, Stadt, Landschaft, Nation, Lehrer, Einflussgeber und schließlich die Greatest Hits der komplexen Wirkungsgeschichte unter besonderer Berücksichtigung des Jelinek-Bashings in den düsteren 90er-Jahren der österreichischen Öffentlichkeit, die 1986 mit der Wahl Kurt Waldheims und dem Auftauchen von Jörg Haider begannen. Mayer und Koberg referieren die bekannte „Nestbeschmutzer“-Folklore der Wiener Provinzreaktionäre und geben Auskunft darüber, welch tiefe emotionale Verletzungen diese Hexenjagd gegen Elfriede Jelinek verursacht haben mag. Es fehlt aber zu erfahren, wie Jelinek sich abermals an den eigenen Zöpfen aus dem Wiener Sumpf zog und wie sie hernach gerade auch ihre ästhetische Praxis und nicht nur die inhaltliche Prägnanz ihrer Stellungnahmen radikalisiert hat.
An einer lohnenden analytischen Perspektive schrammen die Porträtisten auch in den Jugendschilderungen vorbei, die – teilweise schon vorabgedruckt –, mit einem gewissen Groove erzählt, kurzweilig zu lesen sind. Die Aussagen über die Dominanz, Drill und Ansporn der Mutter bis weit hinein in das Leben der erwachsenen Tochter sind Legion. Das Spannende an Ilona Jelinek in Elfriede Jelineks Leben ist jedoch, dass an dieser Mutter-Tochter-Verknotung alles Ursprungsdenken über Kunst zerschellt. Die Tochter als Kunstwerk ihrer Mutter geht der Künstlerin voraus. Die Entwicklung der Künstlerin geschieht als Umbau und Zerstörung des vorgefundenen Kunstwerks. Schöpfung/Geschöpf, Subjekt/Objekt-Haarspaltungen und all die anderen schöne Ordnung versprechenden binären Oppositionen stürzen in dieser außergewöhnlichen familiären Interaktion zusammen.
Aber vielleicht geht es bei Porträt und Biografie im Literaturbetrieb gar nicht so sehr um analytische Qualitäten, sondern um Autorisierungsvorgänge. Seit Jahrzehnten wird kaum ein Buch ohne die Verbreitung eines vorteilhaften fotografischen Porträts verkauft oder ohne die beglückende oder höchst beklagenswerte Lebensgeschichte, die das Buch „verarbeitet“. Elfriede Jelinek gehört zu den wenigen, denen es gelungen ist, sich dieses Model-in-eigener-Sache-sein-Müssen zur subversiven Praxis zweckzuentfremden. Da fällt der Versuch, sie in umfassender Einheit zu porträtieren, im Reflexionsniveau doch recht zurück.
Die Sicht auf biografische Bedingtheiten des Schreibens war im Kampf gegen den Geniebegriff einmal erhellend. Mayer und Koberg praktizieren gegenüber Jelinek jedoch eine Art von Materialismus ohne Materialbegriff. Im Aufspüren der biografischen Referenzen für „Die Klavierspielerin“ lassen sie keine Wendung aus, um die Behauptung einer Kongruenz von Leben und Literatur zu stützen. Aber was heißt das wirklich, außer dass der Wienerwald die Hypothese wiederhergibt, die in ihn hineingerufen wurde? Literatur wird hier zurückgeschrieben zum Transportorgan von Semantik. In ihrer Verehrung machen Mayer und Koberg Elfriede Jelinek ebenso zum isolierten Phänomen wie ihre mittlerweile stiller gewordenen Feinde, nur eben mit umgekehrten Vorzeichen.
UWE MATTHEISS
Verena Mayer und Roland Koberg: „elfriede jelinek Ein Porträt“. Rowohlt 2006, 300 Seiten, 19,90 €
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