: „Ich bin keine Rampensau und auch kein Grüßonkel“
DER BEZIRKSCHEF Franz Schulz hat in Friedrichshain-Kreuzberg für ein freies Spreeufer und gegen steigende Mieten gekämpft. Seit die Gesundheit nicht mehr mitspielt, verschieben sich die Bedeutungen, sagt der 64-Jährige. Ende Juli kehrt er den Politik den Rücken
■ geboren 1948 in Aschaffenburg. Er macht eine Druckerlehre, absolviert das Abitur auf dem zweiten Bildungsweg, studiert und promoviert später in Physik. 1976 zieht er nach Berlin. Er hat einen 33-jährigen Sohn.
■ 1990 tritt Schulz den Grünen bei, zwei Jahre später wird er Bezirksverordneter in Kreuzberg und 1996 für vier Jahre Bürgermeister im Bezirk. Es folgen fünf Jahre als Baustadtrat. Seit 2006 ist Schulz wieder Bezirksoberhaupt – berlinweit als einziger Grüner.
■ In seiner Partei gehört er bis heute zum linken Flügel, im Falle einer Zustimmung seiner Partei zur A100 drohte Schulz mit dem Austritt. Im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg verschaffte er den Grünen zuletzt 35 Prozent der Wählerstimmen.
■ Schulz hätte mit Zustimmung des Bezirksparlaments bis 2016 seinen Posten behalten können. Im April erklärte er, aufgrund gesundheitlicher Probleme am 31. Juli zurückzutreten – einen Tag vor seinem 65. Geburtstag.
INTERVIEW A. LANG-LENDORFF UND K. LITSCHKO FOTO WOLFGANG BORRS
taz: Herr Schulz, wie geht es Ihnen?
Franz Schulz: Ich bin ein bisschen wehmütig. Jetzt kommen viele Leute, mit denen ich lange Zeit zusammengearbeitet habe, um sich zu verabschieden. Da spürt man deutlich, dass es ein Ende hat.
Sie meinen Ihren Rücktritt Ende Juli. Wir bezogen die Frage aber auch auf Ihre Gesundheit. Sie haben Ihren Rückzug mit einer Erkrankung begründet.
(Pause) Ich kann im Moment meinen Dienst machen, gesundheitlich geht es mir so ganz gut. Aber nach dem Urteil meiner Ärzte muss ich im August mit der Behandlung beginnen.
Wollen Sie sagen, was das heißt?
Nein, ich gehöre nicht zu denjenigen, die ihre Krankheiten auf dem Präsentierteller offerieren.
Sie wollten eigentlich noch bis zum Ende der Legislatur 2016 im Amt bleiben. Als die Diagnose im April kam, war da für Sie sofort klar, dass das nicht geht?
Ja. Das war nach den Gesprächen mit den Ärzten eine klare Entscheidung.
Hat sich seit der Diagnose Ihr Blick auf die Arbeit verändert?
Ich merke plötzlich, dass es neben dem, was mir wichtig war, und fast ausschließlich wichtig war, offenkundig auch noch andere Dinge gibt. Zum Beispiel die eigene Gesundheit.
Was war Ihnen denn ausschließlich wichtig?
Die politische Arbeit. Darin bin ich aufgegangen, das war mein Kosmos. Und daran habe ich letztlich alles gemessen. Durch die Tage im April habe ich gemerkt, dass ich dem eigentlich fast alles untergeordnet hatte, auch das Private.
Bereuen Sie das?
Das kann ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht wirklich beurteilen. Aber ich weiß, dass ich dafür einen hohen Preis im privaten Leben bezahlt habe.
Welchen?
Wenn Sie so leben, hält es kaum eine Beziehungspartnerin lange an Ihrer Seite aus.
Haben Sie jetzt Konsequenzen gezogen?
Es beginnen sich Bedeutungen zu verändern. Bisher waren fast alle politischen Diskussionen in ihrer Ernsthaftigkeit für mich gesetzt. Jetzt, das spüre ich, beginnt da ein Hinterfragen, wie gewichtig ein Thema tatsächlich ist oder ob es nur Ergebnis einer bestimmten Aufgeregtheit ist.
Haben Sie ein Beispiel?
Ich erlebe das sehr stark in den Ausschüssen. Da erscheint mir ein monatelanger Streit über eine Platzbenennung doch mit einer anderen Bedeutung als etwa das Thema Mieten. Früher war mir das alles wichtig.
Handeln Sie jetzt auch im Privaten anders?
Ich nehme mir jetzt ganz klar einen Tag am Wochenende frei, entweder Samstag oder Sonntag.
Das haben Sie vorher nicht?
Nein, solange ich zurückdenken kann. Jetzt habe ich gesagt: Schluss, ein Tag für mich.
Und, funktioniert’s?
Puh. Es bleibt sehr viel liegen. Zum Verständnis meiner Arbeit: Während der Woche gibt es die großen Verhandlungsrunden, die Ausschüsse. Da habe ich keine Zeit, die vielen Einzelthemen, die an mich herangetragen werden, zu behandeln. Mieter, die mich anschreiben, weil sie in Schwierigkeiten mit ihrem Vermieter geraten sind. Und wo ich den Anspruch habe, auch für sie irgendeine Form der Unterstützung zu finden. Das war fürs Wochenende vorgesehen.
Und was machen Sie nun an Ihrem neuen freien Tag?
Ich besuche völlig frei und ohne Druck unsere schönen Parks oder gehe nach Marzahn in die Gärten der Welt.
Sie wurden 1996 Bürgermeister. Erinnern Sie sich noch, was Sie bei Ihrem Amtsantritt unbedingt ändern wollten?
Damals hat die Öffnung der Oberbaumbrücke eine große Rolle gespielt. Bis dahin war Kreuzberg ein völlig isolierter Bezirk, es gab keine direkte Verbindung nach Friedrichshain und Mitte. Plötzlich kamen ganz andere Verkehrsströme, das wertete die Gegend ab. Mieter zogen weg, Läden standen leer. Es ging wie eine Rakete nach unten. Die zentrale Frage war: Wie reagiert der Bezirk auf diese historische Veränderung?
Und? Wie haben Sie reagiert?
Die Vision war, Kreuzberg in seiner Einzigartigkeit und Vielfalt auch als Einwanderungsbezirk zu erhalten, trotz dieser Brüche. Ich habe meinen Amtseid immer so verstanden, dass ich alles zu unternehmen habe, die Interessen der Bürgerinnen und Bürger zu vertreten. Und diese Interessen fußen auch darauf, dass es in Friedrichshain-Kreuzberg Räume gibt, wo sich ganz unterschiedliche Lebensweisen entwickeln können. Das ist ein Merkmal meines Bezirks, das immer wieder bedroht wird. Dafür war ich bereit zu kämpfen.
In den letzten Jahren sind viele Freiräume im Bezirk verschwunden, auch weil die Mieten stetig steigen. Sind Sie gescheitert?
Man muss sehen, auf welche Bereiche ich Einfluss nehmen kann. Die abenteuerlichen Mietsprünge erleben wir ja bei den Neuvermietungen. Die fallen unter das Bundesgesetz. Ich habe schon vor Jahren versucht, die Berliner Landespolitik für den Gentrifizierungsmotor Neuvermietungen zu sensibilisieren. Damit wurde ich lange Zeit im besten Fall ignoriert, im schlimmsten Fall ausgelacht.
Auch die Diskussion um ein unbebautes Spreeufer hat Sie begleitet. Sind Sie zufrieden mit dem, was Sie erreicht haben?
Teilweise. Mir ist es gelungen, nach der Fusion von Friedrichshain und Kreuzberg 2001 die zehn Stadtvillen auf der Friedrichshainer Uferseite gegen den Willen des Senats zu verhindern. Dafür mussten wir die gesamten Grundstücke aufkaufen. Als wir das geschafft hatten, das war ein richtiger Glücksmoment. Aber dann kamen wir zu dem Grundstück hinter der East Side Gallery, auf dem nun ein Luxuswohnturm entstehen soll. Dafür hatten wir schlicht kein Geld mehr. Und der Senat wollte nicht kaufen, der meinte: Das ist Quatsch, Ihr wollt ein Hundeauslaufgebiet, Bebauung ist gut. Als im letzten Jahr auch noch der Grundstückstausch am Senat scheiterte, war das schon eine politische Niederlage für mich.
Wurmt es Sie, dass Sie ausgerechnet mit der Schlappe um die East Side Gallery abtreten?
Ja. Gegen den geplanten Luxuswohnturm gab es nach dem gescheiterten Grundstückstausch im Herbst 2012 kaum Proteste, aber als die Mauer geöffnet wurde, regte sich darüber die halbe Welt auf. Ich hätte zur Verhinderung der Gebäude auf die East Side Gallery setzen müssen.
Bei allem Einsatz für das Ufer: Vor dem Bürgerentscheid 2008 hatten Sie sich gegen dessen Anliegen ausgesprochen.
Wir hatten ja schon freie Uferstreifen von 5 bis 15 Metern in Planung und zwei öffentliche Uferparks realisiert. Die Forderung des Bürgerentscheids waren aber 50 Meter, was schon eine gewisse Radikalität hatte.
Nach dem Votum haben Sie sich auf die Seite der Bebauungsgegner gestellt. Stimmt es, dass Sie sich eher um die kümmern, die am lautesten schreien?
Das ist ein Bild, das in der Außenwahrnehmung vielleicht so entstehen kann. Nur hat der Bezirk auch in einer unglaublichen Intensität Kita-Plätze geschaffen, Spielplätze gebaut, neue Grünflächen entwickelt oder Plätze wie den Boxhagener oder Oranienplatz umgebaut. Da war nicht der Ausgangspunkt, dass jemand laut geschrien hat.
Im Bethanien haben am Ende die protestierenden Besetzer Räume erhalten und die Künstler sind gegangen.
Wissen Sie: Wenn eine Kleingewerbetreibende von der Frankfurter Allee zu mir kommt und sagt, sie wird von der Deutschen Bank bedrängt, ihren Vertrag aufzugeben, dann unterstütze ich sie genauso wie eine Gruppe, die sich einen Freiraum erkämpfen möchte. Nur erregt Ersteres kein Aufsehen.
Sie rufen bei solchen Konflikten stets einen runden Tisch ins Leben und vermitteln. Kann man Ihren streitfreudigen Bezirk nur so regieren?
Es ist zumindest ein Weg, auf gleicher Augenhöhe und mit vollständigem Informationsaustausch zu kommunizieren. Aber das Wort vermitteln trifft nicht, was ich tue, wenn man darunter versteht, neutral Interessen auszugleichen. Die runden Tische waren ja kein Friede, Freude, Eierkuchen. Da kam hinterher oft genug der Vorwurf: Das war doch eine interessengeleitete Moderation von Franz Schulz.
Sind Sie ein Taktiker?
Das ist keine Frage der Taktik. Ich glaube einfach, dass Sie nur erfolgreich moderieren, wenn Sie wissen, wo Sie hinwollen.
Alle dürfen mal mitreden, aber am Ende kriegen Sie das durch, was Sie wollen.
Nein, das verkennt völlig die Dynamik solcher Gespräche. Nochmal am Beispiel Bethanien: Im Ergebnis haben die Besetzer einen Vertrag bekommen. Im Gegenzug ist aber geklärt worden, dass das restliche Haus ausschließlich für Kunst und Kultur reserviert ist und die dortigen Mieter wesentliche Mitspracherechte erhalten. Beide Seiten haben also etwas zusätzlich zu ihrem früheren Zustand erreicht, also einen Fortschritt. Das ist mehr als vermitteln.
Rührt Ihr Einsatz fürs Alternative auch daher, dass Sie selbst aus der linken Szene kommen?
Ich sehe dort meine politische Heimat. Ich habe in den 80er Jahren mal längere Zeit im Auto gewohnt und einen Kinderladen besetzt. Für mich waren das immer wichtige Selbsterfahrungen gegen die konventionellen, spießigen Lebensformen der Gesellschaft, als Teil der Vielfalt.
Sie trugen lange Haare und Lederjacke, zeichneten Karikaturen für das Autonomenblättchen „radikal“. Hätten Sie damals geglaubt, dass Sie mal elf Jahre lang Bürgermeister sein werden?
Nein. Da war ich noch beseelt von der Grundhaltung: Parteien sind nichts Gutes, weil sie Meinungen kanalisieren und Menschen entmündigen. Gutes kommt nur von der Basis.
Wodurch kippte das?
Unser antiautoritärer Kinderladen war zwar auch politisch, aber es war gleichzeitig ein Rückzug ins Private. Das ist der Preis, wenn man Kinder bekommt und die Erziehung nicht nur der Mutter überlässt.
Sie sprechen von Ihrem Sohn.
Ja, die Erziehung frisst Zeit und Energie. Und vielleicht kam auch ein Stück Resignation darüber hinzu, was man als Bürger erreichen kann. Dann kam der Mauerfall. Den hatte ich direkt miterlebt, weil ich im Wrangelkiez an der Grenze wohnte. Das war ein unglaublich beeindruckender Vorgang. Zu sehen, dass eine Bevölkerung sich zusammentun konnte und ein System stürzt, von dem wir alle glaubten, es ist auf ewig! Da begann ich zu überlegen, mich einer Organisation anzuschließen, die gute Politik für die Bevölkerung macht.
Sie landeten 1990 bei der Alternativen Liste und wurden bereits sechs Jahre später grüner Bürgermeister von Kreuzberg. Heute passiert es, dass Ihnen Autonome das Auto abfackeln, wie 2002 geschehen.
Der Wagen gehörte meiner damaligen Lebensgefährtin. Bis heute ist nicht klar, wer ihn abgefackelt hat. Der Zünder war ganz atypisch für die linke Szene.
Vor dem Ende des Hausprojekts Liebig 14 flog ein Brandsatz vors Rathaus. In einem Bekennerschreiben hieß es, im Falle einer Räumung sollten Sie öfter mal unter Ihr Auto schauen. Wie reagieren Sie auf so etwas?
Damit kann ich umgehen. Natürlich haben es viele negativ gesehen, dass es mir nicht gelungen war, einen Kauf des Gebäudes zu erreichen. Dass der Senat mich da im Stich gelassen hatte, interessierte dann weniger. Die sehen nur: Welchen Erfolg hatte Franz Schulz? Null. Also kriegt er einen auf die Rübe.
Gab es in all den Jahren mal einen Moment, in dem Sie hinschmeißen wollten?
Nein.
Andersherum: Haben Sie nie nach Höherem gestrebt?
Der Bürgermeisterjob ist mir auf den Leib geschneidert. Auch weil ich keinen Chef über mir habe – als Senator gäbe es immer noch den Regierenden Bürgermeister mit seiner Richtlinienkompetenz. Aber klar: Für jeden, der Stadtentwicklungspolitik macht, ist die Aufgabe als Stadtentwicklungssenator total spannend. Beim Spreeufer hätte man mit einem Federstrich eine ganz andere Ausgangslage für Verhandlungen mit den Investoren schaffen können.
Haben Sie Angst vor Ihrem nahenden letzten Arbeitstag?
Nein. Aber es ballen sich jetzt unglaublich viele Termine. Vielleicht verstecke ich mich auch ein bisschen hinter der Arbeit.
Sie waren ja nie dafür bekannt, groß Gefühle zu zeigen. Wir haben gerade den Eindruck, dass sich da etwas verändert.
Ach, irgendwann hat das mal ein Journalist so geschrieben und alle anderen haben es abgeschrieben. Was richtig ist: Ich bin keine Rampensau, ich bin auch keine Betriebsnudel und ich war auch kein Grüßonkel. Aber ich glaube, dass ich sehr gut zuhören kann und deshalb einen guten Zugang zu den Bürgerinnen und Bürgern hatte. Das wird mir jetzt jedenfalls in den Verabschiedungen gespiegelt.
Was machen Sie ab August ohne die ganzen Termine?
Damit habe ich mich noch gar nicht beschäftigt. Vielleicht engagiere ich mich in einer Bürgerinitiative.
Andere schreiben Bücher.
Friedrichshain-Kreuzberg ist überall? So was? Nein, das wäre mir zu polemisch. Ich könnte mir aber vorstellen zu beleuchten, wie sich in den letzten 20 Jahren die Berliner Stadtpolitik verändert hat, aus Sicht eines kleinen widerborstigen Bezirks.
Bleiben Sie Kreuzberg treu?
Auf jeden Fall. Ich wohne seit über einem Vierteljahrhundert im Wrangelkiez, und das wird auch so bleiben.
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