: „Einige wird es erwischen“
Der Hormonexperte Martin Bidlingmaier über die Gefahr von Gendoping, neue Entwicklungen auf dem Markt der Dopingszene und den Kampf der Aufklärer gegen den grassierenden Missbrauch
INTERVIEW JUTTA HEESS
taz: Herr Bidlingmaier, Sie waren kurz vor den Olympischen Winterspielen auf einem Hormonkongress in Turin. Wurde dort auch über Gendoping gesprochen?
Martin Bidlingmaier: Wir Wissenschaftler sind nicht sicher, ob man schon Gendoping anwenden kann. Es gibt in der Medizin noch keine gut funktionierende Gentherapie; die meisten klinischen Untersuchungsreihen endeten katastrophal.
Wie denn?
Es gab Todesfälle und heftige Immunreaktionen. Man muss für den Gen-Transfer oft noch virale Vektoren verwenden, und darauf reagiert das menschliche Immunsystem verärgert. Selbst in hoch spezialisierten Einrichtungen ist eine Gentherapie schlecht steuerbar, sodass ich bezweifle, dass halb gebildete Trainer tatsächlich etwas damit machen.
Trainer und Sportler können skrupellos sein!
Das stimmt. Sportler probieren neue Methoden meist parallel zu frühen klinischen Studien aus, zudem haben sie eine viel höhere Risikobereitschaft als Ärzte. Ich glaube, dass jemand, der mit Repoxygen rumhantiert und es sich in den Muskel spritzt, eher schwer krank wird.
Wie funktioniert Doping mit Repoxygen?
Die Firma, die Repoxygen entwickelt hat, hat das Gen, das für die Produktion von Erythropoetin (Epo) zuständig ist, an einen sauerstoffempfindlichen Schalter gekoppelt und dieses gentechnische Konstrukt in einen viralen Vektor, also einen Virus, eingebaut. Diesen Virus spritzt man in den Muskel und hofft, dass er dieses Gen in die Muskelzellen einschleust – im Maus-Modell hat es offenbar funktioniert. Dann wird in diesen Zellen, wenn der Sauerstoffgehalt niedrig ist, dieses Gen angeknipst und Epo produziert. Wenn die Sauerstoffversorgung gut ist, schaltet sich das Gen aus. Und das ist genau das, was der dopende Sportler nicht will.
Könnte man Gendoping bereits nachweisen?
Das durch Gendoping produzierte Epo unterscheidet sich anscheinend von dem Epo, das der menschliche Körper selber produziert. So könnte man Gendoping im klassischen Epo-Testverfahren nachweisen. Außerdem könnte man das Genkonstrukt und den viralen Vektor nachweisen. Es wird aber schwierig sein, durchzusetzen, dass bei Dopingtests genetische Informationen der Sportler untersucht werden.
Welche neuen Doping-Trends gibt es noch?
Nach wie vor scheinen anabole Steroide die am häufigsten verwendeten Substanzen zu sein. Wegen der Designer-Steroide musste man die Strategie der Tests ändern. Jetzt arbeitet man mit einem neuen Screening-Verfahren, bei dem nicht mehr nur nach bestimmten Substanzen gesucht wird, sondern nach allen verwandten Substanzen.
Und weitere Neuigkeiten?
Auf dem Epo-Sektor gibt es neue Entwicklungen. Es gibt eine ganze Reihe von neuen Substanzen, die entweder Varianten des künstlich hergestellten Epo sind, für das es einen Nachweis gibt. Eine neue Substanzgruppe sind oral einzunehmende Epo-Aktivatoren, für die noch kein spezifisches Testverfahren beschrieben ist, aber sie sind nicht so schwierig nachzuweisen, da es sich um künstliche Substanzen handelt.
Der Epo-Test ist in die Kritik geraten. Wie sicher ist der Test Ihrer Meinung nach?
Wenn man die Qualitätskriterien des Tests einhält, ist er nach Angaben der Kollegen sehr robust. Die einzigen Unsicherheiten gibt es bei Trainingskontrollen, nach denen die Urin-Probe weite Strecken transportiert werden muss. Das mag die unterschiedlichen Ergebnisse in A- und B-Probe erklären. Aber man muss auch dazu sagen, dass der Epo-Test ein sehr komplexer Test ist und ihn nicht jedes x-beliebige Labor korrekt anwenden kann.
Und wie steht es um die Anwendung des von Ihnen mitentwickelten Tests auf Wachstumshormon (hGH)?
Was den Ablauf im Labor betrifft, ist der hGH-Test vergleichsweise einfach. Der Test beruht darauf, dass der menschliche Körper Wachstumshormon nicht als einheitliche Substanz absondert, sondern als Mischung aus leicht unterschiedlichen Molekülen. Das gentechnisch hergestellte Wachstumshormon hingegen ist eine einheitliche Substanz. Wird künstliches hGH gespritzt, bemerkt das die Hirnanhangdrüse und hört mit der Produktion von Wachstumshormon auf. Dadurch fallen alle anderen Formen des Wachstumshormons, die normalerweise produziert werden, aus und es überwiegt eine Hauptform. Diesen Wechsel im Spektrum der unterschiedlichen Hormon-Formen kann man nachweisen.
Wie viele Labors tun das?
Vier. Ein Labor in Australien, ein Labor in Großbritannien sowie die Labors in den aktuellen Olympia-Städten Athen und Turin. Die Welt-Antidoping-Agentur Wada hat aber ein großes Interesse, den Test in so vielen Dopinglabors wie möglich einzuführen und irgendwann auch Trainingskontrollen auf hGH durchzuführen.
In Turin werden die Athleten auch auf hGH getestet?
Ja, das haben wir vernommen.
Was sind denn die Vorteile von Wachstumshormonen für dopende Sportler?
Es gibt keine einzige wissenschaftliche Arbeit, die nachweist, dass Wachstumshormon dem gesunden Menschen etwas bringt. Einige Sportler sind experimentierfreudig und glauben, dass hGH in hohen Dosierungen oder im Zusammenhang mit Steroiden nützlich ist. Sicher ist, dass Wachstumshormon eine der wirksamsten Substanzen ist, um Fettmasse abzuschmelzen und das Verhältnis zugunsten der Muskeln zu verschieben.
Und die Nebenwirkungen?
Zügig vergrößern sich Unterkiefer, Ohren und Zunge, die Zähne weichen auseinander, die Stirn wird wulstig. Da fallen einem doch sofort einige prominente Sportler ein, die so ähnlich aussehen, oder?
Etwa aus der Leichtathletik.
Und plötzlich hat ein Athlet eine Zahnspange. Aber die Wachstumsprozesse finden auch an den inneren Organen statt, was zu schweren Schädigungen führen kann. Viele Athleten scheinen bereit zu sein, Schädigungen in Kauf zu nehmen. Eine Studie aus Großbritannien hat das Risikoverhalten von Sportlern untersucht. Auf die Frage, ob man eine leistungsfördernde Substanz nehmen würde, die einen sicher gewinnen lässt und die unentdeckt bleibt, antworteten 90 Prozent mit „Ja“. Die zweite Frage, ob man diese Substanz auch mit der Folge einer tödlichen Krankheit nehmen würde, bejahten über 40 Prozent.
Die Wada will bei den Spielen in Turin „bezahlte Informanten“ zur Aufdeckung von Doping einsetzen.
Wenn ein Sportler in flagranti, quasi mit der Spritze im Arm, ertappt wird, ist der Nachweis einfacher und billiger.
Ihr Tipp für Turin: Wird es Doping-Fälle geben?
Ich gehe davon aus, dass es den einen oder anderen Epo-Fall geben wird. Das Testverfahren wurde verfeinert, sodass ich glaube, dass man einige Sportler erwischen wird.
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