: Alles unter Kontrolle
GESCHÄFT Beim Confed Cup kommt erstmals die Torlinientechnik einer deutschen Firma zum Einsatz. Wenn alles klappt, winken der Zuschlag für die nächste WM und sehr viel Geld
AUS RIO DE JANEIRO JOHN HENNIG
Es dauerte keine drei Minuten beim Confed Cup, da kam die im Voraus mit großer allgemeiner Aufregung eingeführte Torlinientechnik erstmals zum Einsatz. Nur gemerkt hat es niemand, bei Neymars herrlichem Halbvolley in den Winkel des japanischen Tores – außer Schiedsrichter Pedro Proenca, seinen Assistenten und den Technikern der deutschen Firma GoalControl.
Der Härtetest blieb vorerst aus, auch wenn im Vorfeld alle betonten, die Technik würde zweifellos funktionieren und habe alle Tests mit Bravour bestanden. So sagte selbst Fifa-Präsident Sepp Blatter, lange Zeit kein wirklicher Freund von mehr Technik im so herrlich viel diskutierten Fußball: „Die Torlinientechnik ist nicht eine, sondern die Lösung.“
Dabei stellte die Fifa am Freitag vor dem Turnierstart bei einem extra dem Thema gewidmeten Medientermin in Rio de Janeiro noch einmal ausdrücklich klar, dass in letzter Instanz immer noch die Schiedsrichter über Tor oder Nicht-Tor entscheiden. „Wir wollen sie nicht ersetzen, sondern ihnen Hilfe anbieten“, sagte Fifa-Generalsekretär Jerome Valcke. Und der ehemalige Unparteiische Massimo Busacca ergänzte: „Es soll darum gehen, Fehler zu reduzieren. Wir wollen keine Robo-Refs.“ Bei der Fifa bemühten sie in den Tagen vor der Premiere gerne Vergleiche: die Torlinien-Technik sei so etwas wie der Auto-Pilot für die fliegenden Schiedsrichter. Dirk Broichhausen nennt sie einen Airbag.
Broichhausen war ebenfalls im historischen Fußball-Mekka Maracana zugegen. Nicht auf dem Fifa-Podium, aber in der ersten Reihe. Er ist der Mann hinter GoalControl, einer der Geschäftsführer der kleinen deutschen Firma aus Würselen bei Aachen, die vor nicht mal drei Monaten relativ sensationell den Zuschlag für die offizielle Premiere der Torlinientechnik erhalten hatte. Bei der Club-Weltmeisterschaft im Winter in Japan waren noch zwei andere Systeme getestet worden. „Es ist ein Wettbewerb und eine neue Technik, nun haben wir einfach eine bessere gefunden“, lobte der Marketingdirektor des Weltverbands, Thierry Weil, die deutschen Tüftler.
Auf die Idee gekommen war Broichhausen, als ihn in einem deutschen Zweitligaspiel vor vier Jahren eine krasse Fehlentscheidung massiv ärgerte: „Einen Tag später fragte ich meine Mitarbeiter, ob wir einen Fußball im Stadion nicht detektieren können.“ Seit 20 Jahren beschäftigt sich das Unternehmen mit industrieller Bildverarbeitung, setzt Hochgeschwindigkeitskameras bei der Produktkontrolle von Schläuchen und Profilen ein. Nun hat sie den Sport für sich entdeckt. 14 Kameras unter den Dächern jedes Stadions – zunächst in den sechs Spielorten in Brasilien – sind während der Spiele auf die Tore fokussiert.
Bei GoalControl handelt es sich aber keinesfalls um ein Video-, sondern um ein Kamera-basiertes System. 500 Bilder pro Sekunde liefern die Kameras und können so die zentimetergenaue Position des Balls im Raum erfassen. Der Clou ist, dass sie auch die Geschwindigkeit messen: „So wissen wir auch, wo der Ball ist, wenn er verdeckt ist, etwa der Torwart auf ihm drauf liegt“, erklärte Jürgen Philipps, ein zweiter Geschäftsführer von GoalControl. Sollte der Ball die Linie im vollen Umfang überquert haben, erhalten Schiedsrichter und Assistenten ein visuelles Signal auf ihren Armbanduhren, die zudem deutlich spürbar vibriert.
Sepp Blatter und Dirk Broichhausen warten noch darauf, dass der Autopilot beziehungsweise Airbag zum Einsatz kommt: „Ich wünsche aus sportlicher Sicht keinem Team, dass es eine strittige Entscheidung geben wird. Aber technisch wäre es spannend zu sehen“, sagte Broichhausen, doch sichtlich aufgeregt, vor der Premiere.
Für GoalControl ist das Geschäft mit der Fifa bereits vor der ersten strittigen Entscheidung lukrativ, zumal davon auszugehen ist, dass das System auch den Zuschlag für die WM im kommenden Jahr erhält – solange alles funktioniert.
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