piwik no script img

Großer Bruder sieht alles

DATENSCHUTZ Immer mehr Personen-Daten werden kommerzialisiert , Videoüberwachung außer Kontrolle. Datenschützer klagt Schutzgesetze ein

Hamburger Datenschutz

1.000 Hinweisen ist der Hamburgische Datenschutzbeauftragte im vergangenen Jahr nachgegangen.

■ Google Street View: Da das Internetportal seine Deutschland-Zentrale in Hamburg hat, ist der Datenschutzbeauftragte für alle Beschwerden gegen eine Veröffentlichung von Wohnortbildern in neuen Straßenpanorama-Karten verantwortlich.

■ Schuloffensive: Mit der Initiative „Meine Daten kriegt ihr nicht“ sollen Schüler lernen, ihre Daten vor Missbrauch im Internet zu schützen und das Surfen in Chatrooms selbstkritisch zu reflektieren.

Orwells Vision vom Überwachungsstaat ist für den Datenschutzbeauftragten Johannes Caspar überholt. „Big Brother hat einen großen Bruder bekommen – die Überwachungsgesellschaft“, sagte Caspar am Donnerstag bei der Vorstellung des Datenschutzberichtes 2009. „Der Trend zur Digitalisierung und zur Kommerzialisierung personenbezogener Daten hat die Gesellschaft voll erfasst.“

Die Datenschützer seien oft machtlos. Wegen des technischen Fortschritts sei vor allem im Internet die Lage bedrohlich, sagte Caspar. Dem Gesetzgeber gelinge es nicht, den Entwicklungen nachzukommen. „Das Recht läuft im Internet weit hinterher“, sagte der Datenschützer.

Wildwuchs herrsche auch bei der Videoüberwachung. Tatsächlich würden weite Teile des öffentlichen und privaten Lebensbereichs bereits optisch-elektronisch überwacht – vom Restaurant, Café und Einkaufszentrum bis zur Wohnanlage und dem Fitness-Studio. „Wir rennen oft nur hinterher, es ist ein Kampf gegen Windmühlen“, sagte Caspar. Mit immer kleineren Kameras, die eine hohe Bildauflösung hätten und mit denen Tonaufzeichnungen gemacht werden könnten, würden selbst „Intimsphären“ in Freizeitanlagen nicht ausgespart. Oder es könnten Menschen beim Flanieren gefilmt werden, wo kein Grund der Videoüberwachung bestehe.

Gerade in privaten Bereichen mangele es zudem am „Bewusstsein der technischen Risiken“. So, wenn Eltern auf die Idee kämmen, neben dem Babyphone eine unverschlüsselte Funk-Kamera zu installieren, auf die „Dritte“ problemlos Zugriff hätten. Ein „Regelungsdefizit“ sieht Caspar auch bei der Videoüberwachung in öffentlichen Gebäuden. „Videoüberwachung war und ist bislang rechtswidrig“, sagte Caspar. Der Senat arbeite aber bereits an einer Rechtsverordnung. „Dann werden wir alle Kameras im öffentlichen Raum einer Prüfung unterziehen.“

Auch die Überwachung der Reeperbahn sieht der Datenschutzbeauftragte kritisch. „Videoüberwachung ist wenig geeignet zur Verhütung von Gewaltdelikten“, sagte er. Statistiken belegten sogar, dass die Zahl der Gewaltdelikte auf dem Kiez gestiegen sei. „Präventive Videoüberwachung krankt“, sagt Caspar. Daher erteile er Polizeipräsident Werner Jantosch eine Absage, der eine Zugriffsmöglichkeit der Polizei auf die Videoaugen in Bussen und Bahnen verlangt. Da reiche ein „Alarmknopf“, damit sofort die Polizei komme. Denn zur Strafverfolgung stünden Kamerabilder ja bereits zur Verfügung. KAI VON APPEN

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen