piwik no script img

Selten allein, manchmal einsam

HAUSBESUCH Eine Groß-WG auf dem Lande, mit Lagerfeuer und Hofkino. Bei Lasse und Dini in Kanin

VON SUSANNE MESSMER (TEXT) UND AMÉLIE LOSIER (FOTOS)

Kanin, eine kleiner Ortsteil der Stadt Beelitz inmitten des größten brandenburgischen Spargelanbaugebietes. Zu Hause bei Dini und Lasse P. (36 und 5 Jahre alt) sowie derzeit 16 weiteren Mitbewohnern (acht Erwachsene und acht Kinder, darunter Dinis Schwester, Schwager und deren vier Kinder) der seit 2009 bestehenden Wohngenossenschaft „Lauter Leben“.

Draußen: Das alte, aprikosenfarbene Wohnhaus am Dorfanger öffnet sich nach hinten zu einem Vierseitenhof. Links und rechts ausgebaute Ställe mit Dachgaupen und Holzfenstern, teilweise bewohnt, teilweise Werkstätten. Neben dem Haupthaus ein überdachtes Torhaus mit alten Sesseln, Sofas, langem Holztisch und Stühlen, großer Leinwand. Gegenüber eine Scheune, die momentan ausgebaut wird: überall Menschen, die die langen Schläuche einer Fußbodenheizung auf den Boden tackern (Dini: „Das ist der Wahnsinn hier“). Auf dem Hof viele Kinder, Kopfsteinpflaster, großer Sandkasten, Linde, Kirsch- und Pfirsichbaum, große Holzterrasse, auf der weitere Menschen in Arbeitskleidung ihren Kaffee trinken.

Drin: Die Wohnung im Erdgeschoss hat zwei Zimmer für Dini und Lasse, ein Wohnzimmer mit angeschlossener Küche, die auf den Hof geht und die sich die beiden mit einer vierköpfigen Familie teilen. Abgezogene Dielen, gelb, rosa und blau gestrichene Wände. In Dinis Zimmer: verstreute Kleidung, selbst gezogene Kerzen, eine Reckstange („für die Klimmzüge“) in der Tür, Nagellacksammlung auf der Garderobe. Im Wohnzimmer: Schlafcouch, Ficus benjamina, Esstisch mit Bananen in der Obstschale, eine angebrochene Tüte Vollkorntoast, Janosch-Lesebuch und Astrid Lindgrens „Michel aus Lönneberga“. Im Holzregal „Die Hebammensprechstunde“, „Unsere Natur“, Gesellschaftsspiele für Kinder. An der Wand ein Kunstdruck von Klimt und viele Bilder von Lasse, die beispielsweise Blumen mit Bienen darzustellen scheinen, aber in Wirklichkeit „Haie, die Autos gegessen haben“ (Dini) sein sollen. Auf dem Boden Sockenknäuel, Spielzeugtraktor, Murmelbahn.

Wer macht was? Dini ist studierte Sozialpädagogin und arbeitet 35 Stunden die Woche im Hort einer Grundschule, 40 Minuten mit dem Auto entfernt in einer brandenburgischen Kleinstadt („ein guter, weil elterninitiierter Ort“). Lasse geht in einen Kindergarten in Potsdam, wo sie ihn vor der Arbeit abliefert und nach der Arbeit wieder einsammelt („Irgendwann besetze ich die Dorfkita nebenan!“). Weil sie also wenig Zeit hat („meine wichtigste Ressource“), ist sie froh, dass der Hof ein Ort ist, wo man als Alleinerziehende Unterstützung bekommt „und Kraft tanken kann“. Außerdem arbeitet sie auf der Baustelle und im Vorstand der Genossenschaft.

Wer denkt was? Dini: „Ich bin froh, dass ich hier bin. Kleinfamilie in Stadtwohnung mit Spielplatz- und Geburtshausfreundschaften: Das hat mich total isoliert.“ Trotzdem: Arbeiten, bauen, organisieren und dann noch die baldige Einschulung von Lasse, der anstehende Umzug in die Scheune und die derzeit kranke Schwester mit vier Kindern in der Wohnung über ihr: „Ich leide unter Schlafmangel.“ Und: „Ich trinke viel Kaffee.“ Sie hofft auf weitere Privatkredite für das Scheunenprojekt und dass sie eine weitere Partei finden, die einziehen will. Lasse: Kommt gerade vom Wochenende beim Vater zurück und hat Esspapier geschenkt bekommen. „Ich will jetzt mit meiner Mama kuscheln.“

Dini: Geboren in einer Kleinstadt bei Bonn, Mutter Hausfrau, Vater Anästhesist, mit vier Geschwistern aufgewachsen, insgesamt acht Geschwister („Mein Vater ist jeden Sommer mit allen seinen Kindern nach Norwegen gefahren. Das war toll“). Nach der Schule Freiwilliges Soziales Jahr in einem Wohnprojekt für psychisch Kranke, Studium der Sozialpädagogik an der FU Berlin („Das Miteinander und Füreinander ist mein Schwerpunkt“). Jobs, Praktika, Diplom in Düsseldorf, dann kam Lasse, dann die Trennung. 2009 Rückkehr nach Brandenburg („Ich mag die Leute hier“) und Einzug bei „Lauter Leben“. Zäher beruflicher Wiedereinstieg („Alle fragten mich, wie ich das schaffen will, und ich wusste es selber nicht“).

Das letzte Date? Ein Kinobesuch im Oktober („Ich war aufgeregt und ungeschickt“), mit einem alleinerziehenden Vater, den sie über den Kindergarten kennt. „Danach musste ich erst mal was bauen, ein Gehege für die Meerschweinchen, und war immer noch aufgeregt.“ Das Ergebnis: „Wir treffen uns immer noch.“

Einsam? Dini empfindet sich weder als Single noch als verheiratet („Es darf sich entwickeln“). Selten allein, manchmal einsam („Als einzige Alleinerziehende unter lauter Paaren auf dem Hof“), aber nicht unglücklich und oft sehr zufrieden mit sich („Oh Gott. Alles, was mir hier durchrutscht, das klingt ja wie eine Kontaktanzeige!“)

Der Alltag: Dini weckt Lasse um sieben Uhr. Lasse: „Müsli essen, Zähne putzen, anziehen.“ Dann fährt Dini Lasse mit den Nichten und Neffen im Autobus nach Potsdam. Nachmittags alle wieder einsammeln, Ankunft zu Hause, spielen, danach gemeinsames Abendessen, das immer abwechselnd gekocht wird („im Sommer immer draußen“). Lasse ins Bett bringen, abends Arbeit auf dem Bau oder Organisationskram im Vorstand, manchmal Lagerfeuer oder Hofkino. An den Wochenenden bauen, „gemeinschaftsfördernde Maßnahmen“ wie eine Mediation oder ein Kurs zur gewaltfreien Kommunikation. Nächstes Projekt: Schlagzeugunterricht im Tonstudio „Dorfplatzmusik“ des Mitbewohners.

Wie finden Sie Merkel? „Politisch nicht mein Fall.“ Aber: „Als Frau zeigt sie, dass was geht. Es wäre nur schön, wenn sie dabei weniger männliche Stereotype erfüllen würde.“

Wann sind Sie glücklich? „Wenn Lasse und ich ohne Termindruck Zeit miteinander verbringen, zum Beispiel in der Sonne sitzen, und er hat sein Eis und ich meinen Kaffee.“

Nächste Woche treffen wir Nicole Prehn in Osnabrück. Wenn Sie auch einmal von uns besucht werden möchten, schicken Sie eine Mail an hausbesuch@taz.de

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen