: SOS – „Lovis“ in seebehördlicher Not
TRADITIONSSCHIFF?! Seit 13 Jahren fährt die „Lovis“ mit Schulklassen und Jugendgruppen auf der Ostsee. Jetzt soll sie ihre Betriebserlaubnis verlieren. Ein Plädoyer – dagegen
■ Ulrich Schmid hat Kummer. „Es gibt immer mehr Traditionsschiffe, die gar keine Traditionschiffe sind!“, schimpft der Leiter der Dienststelle Schiffssicherheit der Berufsgenossenschaft für Transport und Verkehrswirtschaft. Er ist zuständig, den rund 100 deutschen Traditionsschiffen, die es noch gibt, ein Zeugnis auszustellen. Der „Lovis“ aus Greifswald wurde das verweigert. Alle drei Kriterien, die für Traditionsschiffe gelten, habe die „Lovis“ gerissen. Sie sei nicht mehr brandsicher, sie sei kein originaler Nachbau und das Betriebskonzept habe „Schlagseite zum Gewerblichen.“ Nun schimpfen die Traditionsschiffer zurück – immerhin seien sie seit 13 Jahren ein Schiff mit Tradition. Warum jetzt nicht mehr!? Weil, erklärt Schmid, die Gutachter der „Kommission für Historische Wasserfahrzeuge“ nicht exakt genug geprüft hätten. Schmids Behörde „guckt jetzt selber– und genauer hin“. Die „Lovis“, gesteht Schmid, ist ein tolles Schiff mit einem tollen Konzept. Einfach durchwinken werde man den Kahn aber nicht. Wenn die „Lovis“-Crew nicht stur bleibe, dann sei noch was möglich. „Statt sich zu überlegen, was sie uns vorschlagen wollen, machen sie aber Pressearbeit“, runzelt Schmid die Stirn: „Politischem Druck beugen wir uns nicht!“ Wer holt das Schiff vom Eis?lovis.de
AUS GREIFSWALD ANKE LÜBBERT
Der Stahlrumpf schiebt sich durch die Wellen vor der finnischen Küste. Wir haben eine Nachtfahrt hinter uns, seit heute früh sind wir schnell, die Bugwelle rauscht. Ich stehe am Steuer, als sich von der Küste her ein Motorboot nähert. Einer der Männer steht auf und ruft: „Wie viel Tiefgang habt ihr? Wie lang seid ihr? Kommt mit, wir machen euch Platz im Hafen!“
Während unserer Finnlandreise im vergangenen Jahr bekamen wir immer wieder Einladungen wie diese. In den Häfen erzählte man uns, dass schon jahrelang kein altes Schiff mehr an der Pier gelegen hatte. Möglich, dass es auch der letzte Besuch der „Lovis“ war.
Seit einigen Jahren prüft die für Traditionssegelschiffe zuständige Verkehrsberufsgenossenschaft neben der Sicherheit auch die Historizität der alten Schiffe. Immer häufiger heißt ihr Urteil: Nicht historisch! Die Flotte ist seit 2000 bereits etwa um ein Drittel geschrumpft. Und von den einstmals etwa 200 Schiffen würden wohl kaum mehr als fünf übrig bleiben, wenn man die Kriterien der Berufsgenossenschaft zugrunde legt. Denn die meisten Schiffe sind eher historische Collagen als exakte Nachbauten.
Unser Rumpf ist aus dem 19. Jahrhundert, das Rigg und das gesamte Erscheinungsbild entspricht dem eines Frachtloggers der 1920er Jahre. Es gibt ein konkretes historisches Vorbild. Trotzdem: Um ein Traditionsschiff zu sein, so die Berufsgenossenschaft, müssten wir das Schiff wieder zu dem Dampfschiff zurückbauen, als das es 1897 in Schweden gebaut wurde. Ansonsten bleibt uns nur der Weg in die Berufsschifffahrt – für unser ehrenamtliches Projekt wäre das das Aus.
Dabei waren wir 13 Jahre lang historisch genug. Überhaupt spricht aus der Entscheidung ein seltsames Verständnis von Historizität. Verfolgt man diesen Ansatz weiter, fährt man auch ohne Hilfsmotor, ohne elektrischen Strom an Bord, ohne GPS, aber auch ohne Frauen – denn die gab es früher an Bord auch nicht.
In Kappeln an der Schlei treffen sich viele Schiffe im Frühjahr, um gemeinsam in die Saison zu starten. Als wir im Mai 2000 dort mit der „Lovis“ ankamen, wurden wir aufgenommen wie ein neues Familienmitglied. Immer wieder kamen Crews von anderen Schiffen, um sich bei uns an Bord umzusehen und die „Lovis“ zu bestaunen. Hinter uns lag ein Kraftakt – seit September hatten wir unzählige Arbeitsstunden in das Schiff gesteckt und zum Schluss kaum noch geschlafen. Wir waren todmüde – aber euphorisiert: Ein paar jungen Leuten war es gelungen, ohne viel Geld ein Schiff zu bauen, den Kredit würden wir durch die Fahrten nun abbezahlen.
Auf den Schiffsaufbau folgten 13 Jahre Segeln zwischen März und November, Schulklassen, Jugendgruppen an Bord, Bildungsreisen zu ökologischen und sozialen Themen, Starkwind und Flauten, Reisen im Nordmeer, zu den Ålandinseln, in der Nord- und Ostsee, im Ärmelkanal und der Irischen See. 70.000 Seemeilen, 7.000 Mitsegler, ungefähr. Einmal, in einem kleinen dänischen Hafen, blockierten wir die Hafeneinfahrt mit unserem Klüverbaum. Wir beobachten Weißseitendelfine vor den Lofoten und verloren während einer windigen Nacht unseren Anker samt Ankerkette vor einer ziemlich einsamen Insel.
Ich fuhr als Bootsfrau und später als Skipperin, lernte Segel setzen, steuern, navigieren, und als ich das erste Mal Schiffsführerin war, hatte ich eine sonnendurchflutete Woche lang das Gefühl, das Schiff sei die Verlängerung meines Körpers und jedes Manöver eine Bewegung meiner selbst. Mit Freunden zusammen ein Schiff zu betreiben hieß, streiten und versöhnen, Kompromisse finden – vor allem aber die einmalige Chance, zu gestalten, selbst zu entscheiden, wofür wir diesen Freiraum, unser Schiff, nutzen wollten.
Momentan sind wir um die 30 Menschen, wir treffen uns zweimal im Jahr, um die wichtigsten Fragen zu besprechen und die nötige Arbeit zu verteilen. Mittlerweile gibt es fünf Skipperinnen und Skipper. Mit unserer eigenen Entwicklung, den Leuten, die dazukamen und wieder gingen, änderten sich auch die Fahrten, die wir organisierten: Neben der Bildungsarbeit, dem Herzstück der Arbeit an Bord, machten wir internationalen Jugendaustausch und Kampagnen zur Überfischung der Ostsee, wir fuhren mit den Klimapiraten und deren „Act the fuck now“-Segel zur Klimakonferenz nach Kopenhagen. Das Schiff war immer mehr als nur ein Schiff. Ein Freiraum für uns und andere, eine Möglichkeit, Ideen umzusetzen. Auch für dieses Jahr gibt es Pläne: Im Juli wollten wir eine Fahrt zu Flucht und Migration übers Meer machen – im Ärmelkanal. So wie es aussieht, wird das Schiff stattdessen in unserem Greifswalder Heimathafen liegen.
„Brauchen Sie für ihre Arbeit denn unbedingt ein Schiff?“, wurden wir von der Berufsgenossenschaft gefragt. Ja. Das, was wir auf der „Lovis“ machen, funktioniert nur, weil es ein Segelschiff ist. Ein traditionelles. Eines, wo fünf Jugendliche gleichzeitig an einem Seil ziehen müssen, um das Großsegel zu setzen. Eines, bei dem man auf Nachtfahrten den Großmast zwischen den Sternen hin- und hertanzen sieht, auf dem die Jugendlichen nach einer durchwachten und manchmal auch durchkotzten Nacht auf den roten Feuerball über dem Horizont warten. Und einsame Inseln betreten dürfen, als seien sie die Entdecker.
Die Jugendlichen, von denen am ersten Tag die eine Hälfte nach dem Spiegel, die andere nach dem Fernseher an Bord fragt, sitzen am Abschlussabend mit zerwehten Frisuren am Tisch im Salon. Viele Gruppen finden während der einwöchigen Reise zu einer anderen Art, miteinander umzugehen. Meer, Horizont, ein Hauch von echtem Abenteuer – das funktioniert fast immer. Nach ein paar Stunden auf der „Lovis“ sind die meisten schon in einer anderen Welt angekommen, Wochentage verschwimmen, Zeit bedeutet etwas anderes, und der Wind entscheidet, wann und wo wir ankommen.
„Ihr habt mir alle das Herz gebrochen“, sagte Nader, ein 21-jähriger Asylsuchender aus dem Iran, vor ein paar Jahren bei der Abschlussrunde eines Theatertörns mit jugendlichen Deutschen und Migranten. Er meinte seine Mitsegler, aber auch das Schiff. Zum ersten Mal hatte er in Deutschland Horizont und Weite erlebt und war mit Gleichaltrigen zusammen. Auch von Schülerinnen und Schülern, Ehrenamtlichen aus dem Freiwilligen Ökologischen Jahr oder anderen jungen Menschen hören wir beim Abschied häufig: „Das war die beste Woche meines Lebens.“
Für uns selber, aber auch alle diese Menschen haben wir vor 13 Jahren das Schiff gebaut. Wenn wir keine Zulassung mehr bekommen, gibt es für diese Mischung aus Bildungsarbeit, Kampagnenarbeit und Weitergabe von traditioneller Seemannschaft keinen anderen rechtlichen Rahmen. Berufsschiff können wir nicht werden, Sportboot dürfen wir nicht sein. Dass aber unser Schiff im Hafen langsam einstaubt, wollen wir uns nicht vorstellen. Darum haben wir eine Kampagne gestartet. Im Internet findet man eine Petition, und auf der Kieler Woche haben wir zusammen mit einer Flotte anderer Schiffe lautstark protestiert. Wie der Kampf ausgeht, steht noch nicht fest.
Die „Lovis“ ist immer auch ein Symbol dafür, dass es sich lohnt, an seinen Träumen festzuhalten. Dass es Sinn macht, allen Mut und alle Kraft zusammenzunehmen, um aus dem Nichts heraus etwas aufzubauen. Ein Beweis, dass es möglich ist, sich in die Gesellschaft einzubringen, etwas zu bewegen. Und deswegen müssen wir weiterfahren.
■ Anke Lübbert lebt und arbeitet als Journalistin in Greifswald. Sie hat die „Lovis“ mit aufgebaut und fährt immer wieder mit dem Segelschiff über die Ostsee.
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