: Minister bejubeln Bologna-Baustelle
BACHELOR/MASTER Bildungsminister von 46 europäischen Ländern treffen sich kommende Woche in Wien und Budapest und bejubeln den Bologna-Prozess. Doch 10 Jahre danach herrscht nicht nur in Deutschland Missmut
LIGIA DECA, EUROPÄISCHE STUDENTENUNION
VON ANNA LEHMANN
Es war eigentlich merkwürdig, dass gerade sie nach Bologna reisen sollte. Ute Erdsiek-Rave (SPD) war im Juni 1999 erst ein knappes Jahr als Kultusministerin im Amt und die Kultusministerkonferenz leitete damals der Kollege aus Sachsen. Doch das Interesse der Kultusminister am sogenannten Bologna-Prozess war begrenzt. „Es herrschte Unkenntnis und Skepsis“, erinnert sich Erdsiek-Rave. Die frische Frau aus Schleswig-Holstein schien also die ideale Delegierte für dieses dröge Thema zu sein, zumal sie sowieso als Vertreterin der Kultusministerkonferenz (KMK) im europäischen Bildungsministerrat saß.
Und so findet sich auf der Bologna-Erklärung, welche in der Folge die deutsche Hochschullandschaft umkrempelte, ihre Unterschrift neben der des damaligen Staatssekretärs im Bundesbildungsministerium.
Elf Jahre später ist Bologna auch in Deutschland kein Randthema mehr. Zur Ministerkonferenz am 11. und 12. März, die eigens zum 10-jährigen Jubiläum anberaumt wurde, reist Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) persönlich an. Neue Beschlüsse stehen erst einmal nicht an, die Minister widmen sich am doppelten Tagungsort in Wien und Budapest der Rückschau und der Bewertung des sogenannten Bologna-Prozesses.
Am Ende dieser allumfassenden Hochschulrevolution soll ein europäischer Hochschulraum existieren, mit international attraktiven Hochschulen, zwischen denen Wissenschaftler und Studierende über 46 Ländergrenzen hinweg frei flottieren. Dazu mussten alle Hochschulen ihre Studienstrukturen auf ein hauptsächlich zweistufiges System umstellen, mit einem ersten arbeitsmarktrelevanten Abschluss nach mindestens drei Jahren – dem heute viel gescholtenen Bachelor. Darauf aufbauend soll ein Master oder eine Promotion möglich sein. Abgerechnet werden Studienleistungen in der international einheitlichen Währung Creditpoints.
„Die Architektur steht, aber es gibt immer noch Baustellen“, resümiert Michael Hörig von der Vereinigung Europäischer Hochschulen (EUA). Die EUA legt in der kommenden Woche ihren sechsten Bericht vor, wie die Staaten Bologna in den vergangenen 10 Jahren umgesetzt haben. In vielen Ländern müssten die Bachelor-Studiengängen noch studierbarer gemacht werden, sprich die Lehrpläne angepasst und die Betreuung verbessert werden, meint Hörig. Auch müsste sich der Bachelor-Abschluss erst noch am Arbeitsmarkt bewähren. „Sehr oft ist er auf dem Papier berufsqualifizierend.“ Gerade jetzt in der Wirtschaftskrise sei es schwierig einzuschätzen, wie erfolgreich die Bachelor-Absolventen wirklich bei der Jobsuche seien.
In Deutschland ist Bologna quantitativ ein voller Erfolg: Nach aktuellen Zahlen aus dem Bundesbildungsministerium sind rund 80 Prozent der ehemaligen Diplom- und Magister-Studiengänge auf Bachelor und Master umgepolt, bereits jeder fünfte Absolvent hat einen der beiden neuen Abschlüsse.
Die mit Bologna verknüpften Hoffnungen klingen in den Ohren vieler Studierender jedoch wie Hohn: größtmögliche Mobilität, bessere Kompatibilität und weniger Abbrecher. Stattdessen blicken viele vor lauter Prüfungen und Pflichtseminaren kaum noch über den Zaun der eigenen Hochschule. Und in einigen naturwissenschaftlichen Fächern steigen die Abbrecherquoten seit zehn Jahren sogar kontinuierlich an, wie die von der Bundesregierung eingesetzte Expertenkommission für Innovation und Forschung vergangene Woche in ihrem Jahresgutachten feststellte.
Dass es Probleme gibt, leugnet niemand mehr. So treffen sich etwa am heutigen Mittwoch Kultusminister und Hochschulrektoren mit Studierenden zum offenen Austausch. Einen Tag später wollen die Kultusminister auf ihrer Sitzung beschließen, die Prüfungslast deutlich zu reduzieren und auf 6 Prüfungen pro Semester zu begrenzen. Im Mai lädt Annette Schavan zur Bologna-Konferenz ein.
Nach anfänglichem Desinteresse setzten die deutschen Länder und Hochschulen die Empfehlungen der Bologna-Erklärung mit deutscher Gründlichkeit und damit besonders rigide um. So schrieben sie das dreijährige Bachelor-Studium flächendeckend und ohne Rücksicht auf variable Studieninhalte vor.
„Der deutsche Bachelor ist im Vergleich sehr unflexibel“, bestätigt Ligia Deca von der Europäischen Studentenunion. Die Rumänin, die für die ESU in Brüssel arbeitet, sieht aber auch in anderen Ländern Probleme. „Viele Länder haben sich einige Bestandteile des Bologna-Prozesses herausgepickt. Die soziale Dimension ist dabei die am meisten vernachlässigte“, beklagt Studentin Deca.
Beflügelt von der Euphorie des Aufbruchs erklärten sich die 46 Bologna-Staaten nämlich auf ihren Nachfolgekonferenzen auch dazu bereit, mehr soziale Gerechtigkeit beim Hochschulzugang durchzusetzen. In einem noch unveröffentlichten Bericht, „Bologna auf der Zielgeraden“, bemängeln die Studierendenvertreter von der ESU, dass vielen Studierenden aber das Geld fehlte, um mobil zu sein und auch an Hochschulen im Ausland zu studieren. Insgesamt seien fast 60 Prozent der Studierenden unzufrieden mit den staatlichen Mobilitätshilfen. „Wir sollen den Bologna-Prozess nicht umkehren, aber wir fordern, dass die Belange der Studierenden stärker in den Fokus rücken“, sagt Deca.
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