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Wäre Schwarz-Grün besser?

BÜNDNISSE Schwarz-Gelb steckt in der Dauerkrise. In den Umfragen bricht die FDP ein. Die Grünen dagegen legen deutlich zu – auch in Nordrhein-Westfalen, wo in zwei Monaten gewählt wird

JA

Gerd Langguth, 63, Politikwissenschaftler und Merkel-Biograf, saß für die CDU im Bundestag

Die Grünen sind keine Antiparteienpartei mehr, sondern eine neobürgerliche Partei; das Herkunftsmilieu der grünen Wähler nähert sich dem der Union an. Merkel muss ein Interesse daran haben, sie aus der Umklammerung der ziemlich maladen SPD zu lösen, sie dauerhaft an die Union zu binden. Viele Grüne haben wenig schmeichelhafte Erinnerungen an die Koalition mit der SPD. Sie waren der Kellner, nicht der Koch. Die politischen Gemeinsamkeiten der Union mit den Grünen sind trotz Differenzen etwa in der Atompolitik stärker geworden, so in Fragen der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Beide wissen, dass der Ruf nach dem Staat nicht das allein selig machende Mittel ist. Zwar ist die politische Kultur von Grünen und Union unterschiedlicher als die von FDP und Union, doch kann das zu einem größeren gegenseitigen Respekt als in der gegenwärtigen christlich-liberalen Koalition führen.

Heinz Rüdmus, 32, Immobilienkaufmann aus Berlin, hat die sonntaz-Frage bei taz.de kommentiert

Es wäre zumindest einen Versuch wert. Nach politischer Angleichung von Rot und Schwarz und der nur noch scheinbar ideologischen Ausdifferenzierung in ein Fünfparteiensystem sollten sich die Akteure jetzt auf die bestehenden und zukünftigen Probleme und nachhaltige Lösungen stürzen. Aktuell zeigt, nach schwerer und nicht perfekter Vorarbeit durch Rot-Grün, nur Schwarz-Grün die Möglichkeit, grüne, inzwischen in der Mitte der Gesellschaft angekommene Ideen durch schwarzes Mach(t)werk auszuführen. Die SPD ist traditionell gehemmt, EINwas Nachhaltigkeit betrifft, die Linke ideologisch in anderen Diskussionen gefangen, die FDP klientelpolitisch nicht ernst zu nehmen. Bleiben deshalb nur die vorausschauenden Grünen und die, zumindest zurzeit, umsetzungsstarke Union. Der dieser Koalition innewohnenden Mentalitätsdifferenz muss kreativ begegnet werden. Diese Neubegegnung wird vielleicht die wunderbarsten Blüten hervorbringen.

Volker Brandt, 74, Schauspieler und Synchronsprecher, ist bekennender Wähler der Grünen.

Als Urgrüner, der schon länger Natur- und Umweltschutz betreibt, als die Partei existiert, warte ich längst, dass Schwarz-Grün endlich in die Landtage einzieht. Schon bei der Bundestagswahl habe ich, unter dem Gelächter der Talkshowgäste von Maybrit Illner, 18 Prozent für die Grünen vorausgesagt. Das war etwas kühn, aber aus der momentanen Schwarz-Gelb-Malaise kann nur Schwarz-Grün herausführen. Wenn sich dann die grünen Grundgedanken in der Landespolitik vernünftig durchsetzen und nicht so bereitwillig aufgegeben werden wie etwa in Hamburg, sehe ich sowohl bei der Landtagswahl in NRW als auch für die Zukunft der Grün-Schwarzen eine entscheidende Chance für die Entwicklung Deutschlands und Europas in den nächsten Jahren.

Antje Hermenau, 45, Grünen-Chefin im Landtag von Sachsen und Mitglied im BundesparteiratEIN

Für die Bürger in Sachsen wäre Schwarz-Grün besser als Schwarz-Gelb. Sachsen hätte dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz im Dezember 2009 nicht zugestimmt und die fehlenden zirka 100 Millionen Euro nicht 2010 bei der Jugend- und Sozialarbeit einsparen müssen. Die Grünen hätten das bei der Sponsoring-Affäre offen zu Tage tretende absolutistische Staatsverständnis der CDU gestutzt. Der Betreuungsschlüssel an den Kitas wäre deutlich verbessert worden. Die Bürger hätten profitiert. Meine Partei hätte wahrscheinlich gelitten. In Sachsen hat Schwarz-Grün nach der Wahl 2009 nur eine Stimme Mehrheit – das ist nicht belastbar. In der Zukunft ist ein Bündnis mit der Union aber kein Tabu, wenn wir sie dadurch zu grüner Politik für Sachsen zwingen können.

NEIN

Olaf Scholz, 51, Ex-Bundesminister, ist SPD-Chef in Hamburg und stellvertretender Bundesvorsitzender

Was die SPD darf, dürfen die Grünen auch. Wenn Sozialdemokraten gelegentlich ungern mit der Union koalieren, steht es den Grünen genau so frei, dies gelegentlich ungern zu tun. Klar ist aber auch, dass Rot und Grün die größte politische Schnittmenge haben. Bei schwarz-grünen Koalitionen haben zwei sehr unterschiedliche Parteien miteinander zu tun. Und die jeweilige Wählerschaft ist – auch wenn vielleicht Gemeinsamkeiten hinsichtlich der gesellschaftlichen Herkunft bestehen – politisch weiterhin sehr verschieden. Die Gefahr ist groß, dass eine der beiden Parteien Zugeständnisse bis zur Selbstverleugnung machen muss. Und das werden deren Wählerinnen und Wähler ihr nachhaltig verübeln. Ein Zusammenschluss von politischen Funktionären, den die Anhänger der Parteien nicht nachvollziehen können, reicht nicht. Das Beispiel der Hamburger Senatskoalition zeigt, dass die Haltbarkeitsgrenze eines solchen Bündnisses schon zur Halbzeit der Wahlperiode sichtbar werden kann.

Dorothee Bär, 31, CSU-Bundestagsabgeordnete, ist stellvertretende Generalsekretärin ihrer Partei

Die Frage nach Schwarz-Grün im Bund stellt sich aktuell nicht. Alle Spekulationen darüber sind daher Debatten zur Unzeit. Wir haben eine christlich-liberale Koalition. Nur diese kann Deutschland aus der Krise führen. Dafür müssen wir Familien, die Mittelschicht, die fleißigen Menschen in unserem Lande stärken, damit sie wieder Zukunftschancen haben. Für diese Aufgabe ist die FDP nicht nur der richtige Partner, sondern unser Wunschpartner. Die Grünen haben bei wesentlichen Themen fundamental andere Ansichten. Das würde das Regieren massiv erschweren. Grundsätzlich ist aber eine Koalition, die eine Regierungsbeteiligung der linksextremen SED-Nachfolgepartei verhindert, immer eine Option. In einer Demokratie muss es möglich sein, mit jeder demokratisch legitimierten Partei in Koalitionsverhandlungen zu treten.

Bärbel Beuermann, 54, Lehrerin, ist Spitzenkandidatin für die Linkspartei in Nordrhein-Westfalen

Wenn in NRW statt der FDP die Öko-FDP eine Regierung mit der CDU bildet, würde der bisherige Kurs nur fortgesetzt und der angekündigte Betrug an einem Teil der eigenen WählerInnen Wirklichkeit. Es gäbe keinen sozial-ökologischen Politikwechsel, wofür wir uns real, die Grünen sich verbal einsetzen.Sie wären nur Steigbügelhalter des abgewählten Ministerpräsidenten Rüttgers, der für käufliche Politik und Sozialabbau steht. Sie würden, wie in Hamburg und in NRW mit der SPD bei „Garzweiler“ erlebt, Kohlekraftwerke als größte Dreckschleudern weiter betreiben. Im Posten-Gekungel würden die NRW-Grünen noch mehr durchsetzen als die mit FDP-Geld zusammengekaufte saarländische Jamaika-Koalition.

Sven-Christian Kindler, 24, Grüner, ist der jüngste Oppositionsabgeordnete im Bundestag

Die dreiste Klientelpolitik und das alltägliche Chaos von Schwarz-Gelb sind nur sehr schwer zu ertragen. Theoretisch wäre da eine inhaltliche 180-Grad-Wende der Union begrüßenswert. Realistisch ist das aber nicht. Auch Angela Merkel hat kürzlich klargestellt, wie weit CDU und Grüne auseinanderliegen. Auf unserem letzten Parteitag haben wir beschlossen, dass für uns Inhalte zählen. Unter einem sozial-ökologischen Politikwechsel sind wir nicht zu haben. Regieren um jeden Preis ist Mist! Wir wollen eine solidarische Bürgerversicherung, gesetzlichen Mindestlohn, einen höheren Spitzensteuersatz und die Vermögensabgabe. Wir setzen uns für ein gerechtes Bildungssystem und den Atomausstieg ein. Bei all diesen Fragen haben wir deutlich mehr Gemeinsamkeiten mit der SPD und der Linkspartei als mit der Union.

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