: Wo Hilfesuchende zu Insassen werden
ASYL Vor einigen Wochen hat sich ein Flüchtling in der Erstaufnahmestelle für Asylsuchende in Eisenhüttenstadt erhängt. Kritik an der medizinisch-psychologischen Versorgung der Flüchtlinge gibt es schon lange. Ein Besuch
■ Er sitzt noch immer in Abschiebehaft in Eisenhüttenstadt: Usman Manir, pakistanischer Flüchtling. Eigentlich sollte der 27-Jährige bereits am 20. Juni über Tegel nach Budapest abgeschoben werden. In Ungarn wurde er nach seiner Flucht zuerst in Europa aufgegriffen. Der Protest eines Fluggastes aber stoppte Manirs Ausreise.
■ Sein Anwalt kämpft mit einem Eilantrag am Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) darum, dass Manir wegen seines Gesundheitszustands auch in Deutschland einen Asylantrag stellen darf. Bis zu einer Entscheidung sei eine Abschiebung ausgesetzt. Eigentlich war ein zweiter Ausreisetermin für den gestrigen Donnerstag vorgesehen. Manir floh vor der Taliban aus Pakistan und soll in Ungarn überfallen und schwer verletzt worden sein. Eine Psychologin attestierte ihm Depression, Traumata und Suizidgefahr. (ko)
VON MARINA MAI
Die Stühle in Ibrahims M.s Zimmer sind reif für den Sperrmüll, ebenso die Betten. Also setzt er sich auf den Tisch. „Alle fragen nach den Problemen, die mein Freund hatte“, sagt der Mann aus dem Tschad. „Aber niemand fragt nach meinen.“
Ibrahim M. ist nach Deutschland gekommen, um Asyl zu beantragen. Er lebt in Eisenhüttenstadt, in Brandenburgs Zentraler Erstaufnahmestelle für Asylsuchende. Eines der vier kaputten Betten in dem gut 20 Quadratmeter großen Raum ist leer – das seines Freundes, der ebenfalls aus dem Tschad stammte. Er erhängte sich Anfang Juni, hier im Zimmer. M. fand ihn.
Die Erstaufnahmestelle Eisenhüttenstadt steht seit Langem in der Kritik: Die medizinische Versorgung sei schlecht. Vor allem für psychisch kranke Flüchtlinge sei sie „eklatant unzulänglich“, äußerte sich nach dem Tod des Mannes etwa der Flüchtlingsrat Brandenburg.
In Wohncontainern
Derzeit haben 700 Menschen hier Platz. Sie sind für jeweils drei Monate in abrissreifen Baracken und Wohncontainern untergebracht, bevor sie auf andere Stellen im Land verteilt werden. Mehr als die Hälfte der Asylsuchenden sind Tschetschenen, weitere kommen vor allem aus dem Tschad, aus Somalia, Serbien, Syrien und Vietnam.
Dabei ist es bundesweit einmalig, dass ein Innenministerium eine Aufnahmeeinrichtung für Asylbewerber betreibt. Und ebenso einmalig ist es, dass sich das Abschiebegewahrsam auf demselben Gelände befindet. Während für viele Neuankömmlinge die räumliche Nähe von Heim und Knast ein psychologisches Problem ist, sieht Brandenburgs Landesregierung darin Synergieeffekte für die Verwaltung. Erst diese Woche hat sich wieder ein 21-jähriger Georgier im Abschiebeknast schwer verletzt – ob es ein Suizidversuch war, ist momentan noch unklar.
Der Flüchtlingsrat kritisiert zudem, dass für die Betreuung der Flüchtlinge ein Wachschutzunternehmen zuständig ist, nicht etwa ein sozialpädagogisch erfahrener Träger. „Ohne eine strukturelle Veränderung, vor deren Notwendigkeit die politisch Verantwortlichen bis heute beharrlich die Augen verschließen, werden die Probleme nicht aufhören“, sagt Sprecherin Simone Tetzlaff.
Ibrahim M. erzählt von seinem Freund, der stark rauchte und in Eisenhüttenstadt auf Entzug war – wohl weil das Geld knapp war. „Die deutschen Behörden wollten ihn nach Italien zurückschicken“, sagt der 28-jährige Afrikaner, auch er selbst hat davor Angst. Über Italien war sein Freund ebenso wie M. nach Deutschland gekommen. „Dort sind wir Flüchtlinge aus Afrika obdachlos. Wir bekommen kein Essen. In der Nacht ist es kalt auf der Straße.“ Hier, fährt der junge Mann fort, sei es besser.
Er zeigt auf das kahle Fenster seines Zimmers, durch dessen Fugen der Wind pfeift. Er zeigt auf den einzigen Tisch, auf dem er sitzt, weil die Stühle wackeln. „Das Zimmer ist klein und schlecht. Aber es ist besser als Italien.“
Das Innenministerium in Potsdam dementiert, dass Ibrahim M.s verstorbener Freund nach Italien zurückgemusst hätte. Spielte sich die Angst vor der Rückschiebung nach Italien nur im Kopf des Mannes ab?
Genau das vermutet Rabah Berkouk von der Flüchtlingsberatungsstelle der Diakonie in Eisenhüttenstadt. „Der junge Mann war psychisch schwer krank“, sagt er. „Das merkte man sofort, wenn man mit ihm sprach. Jeder hat es gemerkt – nur nicht das zuständige Heimpersonal.“ Berkouk wollte ihm einen Termin im Behandlungszentrum für Folteropfer in Berlin besorgen. Doch dazu kam es nicht mehr.
Berkouk hat sein Büro in der Kirche, knapp einen Kilometer von der Aufnahmestelle entfernt. Er spricht Französisch und Arabisch, sein Kollege Joachim Runge Russisch und Englisch. So können sie sich mit vielen in der Erstaufnahmestelle unterhalten. Das Heimpersonal, sagen sie, spreche kaum Fremdsprachen. „Deshalb sind wir für viele Flüchtlinge Vertrauenspersonen.“
Gerade wenn es um medizinische Hilfe geht, hätten sie mit den Mitarbeitern schon hart diskutiert, um die jeweilige Versorgung zu erhalten. Ins Detail will der Flüchtlingsberater nicht gehen: Sein Kollege habe einer tschetschenischen Familie einen Platz im Kirchenasyl verschafft – seitdem dürfe er die Aufnahmestelle nicht mehr betreten.
Norbert Wendorf, der Leiter der Aufnahmestelle, bestätigt dieses schon seit Jahren bestehende Hausverbot. „Es kann nicht die Aufgabe der Diakonie sein, unsere Arbeit zu stören, indem sie eine Rückschiebung nach Polen verhindert“, sagt er.
Unstimmigkeiten gibt es auch, was die Rolle der Wachschutzfirma Boss angeht. Das Unternehmen, das mit der Zentralen Aufnahmestelle kooperiert, beschäftigt etwa die Krankenschwester auf dem Gelände. Wer zum Arzt will, braucht in der Regel einen Krankenschein von ihr – Diakonie und Flüchtlingsrat kritisieren das Verfahren. Die Frau spreche keine Fremdsprache, eine Verständigung sei oft nur mit Händen und Füßen möglich. „Auf dieser Grundlage wird aber oft eine Vorstellung beim Arzt verweigert, um Geld zu sparen“, sagt Simone Tetzlaff vom Flüchtlingsrat. „Wir kennen Fälle, in denen Krankheiten auf diese Weise verschleppt wurden.“
Leiter Norbert Wendorf räumt zwar ein, dass die Schwester keine Fremdsprache spreche. „Die Verständigung klappt aber in der Regel trotzdem“, sagt er. Man setze auch mehrsprachige Fragebögen ein. „Und wir haben schon viel Geld ausgegeben für Arztbesuche von Insassen.“ Der Behördenleiter sagt „Insassen“, wenn er die Bewohner meint. Warum? „Das sagen wir hier so.“
Das Wachschutzunternehmen beschäftigt auch Sozialbetreuer. Die geben Wendorf zufolge beispielsweise Bettwäsche aus und verteilen gemeinnützige Arbeit.
Nach dem Suizid des Freundes von Ibrahim M. hatte Brandenburgs Innenminister Dietmar Woidke (SPD) eine bessere personelle Ausstattung der Erstaufnahmestelle angekündigt, um psychische Probleme früher erkennen zu könne. Das wird jetzt konkret: Ein Sprecher des Innenministeriums sagte gegenüber der taz, es würden vier zusätzliche Stellen ausgeschrieben, für die Verwaltung und für Sozialbetreuer. Diese Sozialbetreuer allerdings sollen wieder bei Boss angestellt werden – dort also, wo man die psychischen Probleme des Afrikaners offenbar nicht erkannt hatte.
Norbert Wendorf ist zudem skeptisch, ob er überhaupt qualifiziertes Personal für die Stellen findet: „Die Bezahlung ist schlecht. Dafür arbeiten keine qualifizierten Sozialpädagogen oder Psychologen“, sagt er. Fremdsprachkenntnisse seien deshalb auch keine Voraussetzung für die Einstellung. „Mit so einer Forderung würden wir erst recht niemanden finden.“
Simone Tetzlaff vom Flüchtlingsrat gibt zu bedenken, dass sich Fachkräfte mit sozialpädagogischer Ausbildung und Fremdsprachenkenntnissen „in einem Wachschutzunternehmen einfach nicht wohlfühlen“. Sollte wirklich kein Fachpersonal bereit sein, in Eisenhüttenstadt zu arbeiten, so Tetzlaff, „dann stellt sich die Standortfrage“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen