: „Ich bin ein Warmbader“
DER BÄDERCHEF Wenn Ole Bested Hensing ins Becken steigt, sollte das Wasser schon Badewannentemperatur haben. Aber sonst ist der neue Chef der Berliner Bäder-Betriebe kein Weichei. Im Gegenteil. Der gebürtige Däne ist angetreten, die Schwimmbäder der Stadt wieder flottzumachen. An seiner Entschlossenheit gemessen, könnte man sagen, Hensing ist der Hartmut Mehdorn der Berliner Bäder
■ Der Mensch: Ole Bested Hensing ist 1964 im dänischen Esbjerg geboren. Als er sechs Jahre alt ist, heiratet seine Mutter ein zweites Mal und zieht mit dem Sohn zu dem Mann, einem Tischlermeister, nach Bremen. Dort wächst Ole auf. ■ Die Karriere: Nach dem Abitur arbeitet Hensing zwei Jahre in einer Ferienanlage auf Long Island, New York, wo er Bademeister lernt und alles, was dazu gehört. Das ist die Initialzündung für sein späteres Betätigungsfeld: Freizeitwirtschaft. 1984 geht er nach Berlin und studiert an der TU Wirtschaftsingenieurwesen. Er arbeitet bei Siemens und Lufthansa. 1998 gründet er sein erstes Unternehmen: Die spätere natGAS AG ist heute der größte unabhängige Erdgasversorger Deutschlands. Nach dem Verkauf seiner Anteile und einem Jahr Pause wechselt Hensing in die Freizeitwirtschaft.
■ Die Bäder: In Oranienburg führt Hensing die Freizeitanlage Turm-Erlebniscity in die Gewinnzone. 2005 geht er für acht Jahre nach Briesen-Brand und macht aus der früheren Cargolifter-Halle ein erfolgreiches Freizeitbad: Tropical Islands. Seit dem 1. Mai 2013 ist Ole Bested Hensing Chef der Berliner Bäder-Betriebe. Ihm unterstehen 63 Bäder und 762 Angestellte.
INTERVIEW PLUTONIA PLARRE FOTOS LIA DARJES
taz: Herr Hensing, es heißt, Sie duzen sich im Allgemeinen mit den Leuten. Wollen wir das auch so halten?
Ole Bested Hensing: Gern. Das ist viel persönlicher und verbindlicher.
Wie reagieren die Berliner Bademeister, wenn ihnen der Chef das Du anbietet?
Das kommt gut an. Die meisten Kollegen in den Bädern sind untereinander sowieso per Du. Die etwas Älteren, die in der Verwaltung sitzen, haben schon größere Berührungsängste. Ich frage die Leute natürlich vorher.
Ist das der neue Spirit der Berliner Bäder-Betriebe?
Die Berliner Bäder-Betriebe sind ein serviceorientiertes Freizeitunternehmen. Für diese Freizeitorientierung ist das Du unbedingt notwendig. Dass die Gäste am Ende der Kette das Gefühl haben: Hier herrscht ein familiäres Betriebsklima, da gehe ich gern hin. Allein durch das Du entsteht das natürlich nicht. Aber man muss immer den ersten Schritt machen, wenn man eine Reise beginnt.
Seit dem 1. Mai 2013 bist du Chef der Berliner Bäder-Betriebe und damit für die 63 städtischen Badeanstalten zuständig. Du machst den Job zusammen mit Annette Siering, die zuletzt Prokuristin der Wohnungsbaugesellschaft Stadt und Land war. Was für eine Situation habt ihr vorgefunden?
Die Bäder sind in der Vergangenheit schlichtweg vernachlässigt worden. Es gibt einen riesigen Instandhaltungsrückstau. Die Bausubstanz bricht zum Teil zusammen. Man macht eine Wand auf und dahinter ist alles faul. Unsere Einnahmesituation ist katastrophal. Die Produkte sind relativ alt, das Leistungsangebot schlecht. Die Anzahl der Badnutzer ist in den letzten zwölf Jahren von 10,8 Millionen auf 6,2 Millionen gesunken. Die Bäder werden nicht mehr so wie früher angenommen. Sie sind einfach nicht mehr zeitgemäß.
Die Bäder-Betriebe haben 762 Angestellte. Was war dein erster Eindruck?
Ich hatte es mir eigentlich schlimmer vorgestellt. Auch wegen dem, was man immer so in der Presse liest.
Was hattest du erwartet?
Dass die halt alle so unfreundlich sind. Ein Freund von mir sagte mal: „Ein Bademeister ist der lebende Vorwurf in Person.“ Das kann ich gar nicht nachvollziehen. Natürlich ist in jeder Organisation auch immer eine Schnarchnase dabei, keine Frage. Aber insgesamt sind die Leute hochmotiviert. Die wollen was bewegen.
Vor deinem Job jetzt in Berlin hast du dir mit der Sanierung von Erlebnisbädern einen Namen gemacht. Auch das Tropical Island in der Cargolifter-Halle in Brandenburg hast du in die Gewinnzone geführt. Gehörst du zu der Sorte Menschen, die privat auch lieber planschen als schwimmen?
Ich gebe zu, ich bin ein Warmbader. Deswegen fahre ich auch so gern nach Florida. Dort habe habe ich ein Haus mit eigenem Pool, der ist meistens um die 34 Grad warm. Zu meiner Entlastung ist aber zu sagen, dass ich als Jugendlicher lange Leistungsschwimmer war.
Du bist in Dänemark geboren, aber in Bremen aufgewachsen. Was hat dich denn dahin verschlagen?
Mein richtiger Vater ist Norweger. Meine Mutter, eine Dänin, hat ein zweites Mal geheiratet, einen deutschen Tischlermeister, der eben in Bremen lebte. Dort habe ich mit sechs Schwimmen gelernt. Freischwimmer, Fahrtenschwimmer, Jugendschwimmer, den DLRG-Rettungsschein in Silber und Gold – ich habe die ganze Palette durch. Ich habe drei-, viermal die Woche im Verein trainiert, am Wochenende waren ja immer Wettkämpfe. Wenn man Jugendlicher ist, hat man irgendwann die Nase voll. Ich habe dann von heute auf morgen gesagt, da gehe ich nicht mehr hin.
Seither meidest du Wasser?
Ich betrachte es lieber von außen. Direkt nach dem Abitur bin ich nach Amerika und habe zwei Jahre lang auf Long Island in New York in einer Ferienanlage gearbeitet. Das waren tolle Erlebnisse. Deswegen kenne ich auch das Badegeschäft von der Pike auf. Von der Inbetriebnahme im Frühjahr bis zur Winterfestmachung. Von der Aufsicht am Becken und eben auch am Meer, so Whale-watching-mäßig als Rettungsschwimmer. Ich kenne den Bademeister total aus der Innenansicht.
Long Island war die Initialzündung für deinen heutigen Job?
Freitzeitwirtschaft – ja! Davon habe ich immer geschwärmt. Ich wollte dort eigentlich weitermachen, hatte auch das Angebot zu bleiben. Ich bin sehr sehr schweren Herzens weggegangen. Aber ich wusste: Du musst studieren und weiterkommen. Als Deutscher – ich bin ja seit meinem 18. Lebensjahr deutscher Staatsbürger und kein Däne mehr – wird man eben Ingenieur.
Und so kam es dann auch?
Richtig. Ich habe Betriebswirtschaft und Maschinenbau studiert. Erst war ich bei der Lufthansa und später bei Siemens. Dann habe ich mich mit Freunden mit einer Unternehmensberatung selbstständig gemacht. Daraus ist das heute größte unabhängige Gasversorgungsunternehmen in Deutschland geworden: die natGAS AG mit Sitz in Potsdam. 4 Milliarden Euro Umsatz in diesem Jahr. Da bin ich nach wie vor stolz drauf. 2002 haben wir die Firma verkauft. Danach konnte ich wieder das machen, was ich immer gern machen wollte: Freizeitwirtschaft. Und so bin ich auch nach Oranienburg zum Erlebnisbad Turm gekommen und später zum Tropical Island.
Finanziell hast du es also gar nicht nötig zu arbeiten?
Stimmt. Fairerweise muss man sagen, dass ich im Tropical Island deutlich mehr Geld verdient habe als jetzt hier. Aber das war ein superspannendes Projekt – diese Tropenhalle in der alten Cargolifter-Halle aufzubauen und in Betrieb zu nehmen. Diese Aufgabe ist nun über den großen Berg. Jetzt braucht man dort nur noch ein paar Leute, die das auch ordentlich am Laufen halten. Mich hat es mehr gereizt, dem Land Berlin zu helfen, als einem asiatischen Multimilliardär, die nächste Milliarde zu verdienen. Ich wohne ja schon lange in Berlin und fühle mich als fester Bestandteil.
Im kommenden Herbst wirst du dem Senat einen Plan vorlegen, wie die Berliner Bäderlandschaft in zehn Jahren aussehen soll. Wohin soll die Reise gehen?
Nach dem gesellschaftlichen Verständnis haben wir hier keine moderne Badelandschaft. Berlin braucht schlichtweg ein paar neue Bäder. Wenn ich freie Wahl hätte, wäre das, was ich bauen würde, ein Erlebnisbad. So ein Bad, wie es das Blub in Britz oder das SEZ an der Landberger Allee einmal waren. Ein erlebnisorientiertes Familienbad, wo die Kinder und die Eltern gleichermaßen auf ihre Kosten kommen. Wellness, Wohlfühlen, Entspannen. Im Bäderbau wird das überall in Deutschland gemacht. Aber wir hier in Berlin haben keines. Auch was die vorhandenen Bäder betrifft, brauchen wir eine Angebotsverbesserung und kundenfreundlichere Öffnungszeiten.
Die Bäder in Berlin sind sehr unterschiedlich. Wie verschaffst du dir Einblick?
Wir gucken uns zurzeit jedes einzelne Bad mit einem Team an. In einem Zweitage-Workshop eruieren wir zusammen mit dem Leiter des jeweiligen Bads vor Ort, was man machen könnte, um die Besucherzahlen zu steigern und das Bad noch attraktiver zu machen.
Wie finden die Beschäftigten das, dass ihnen der Chef so genau auf die Finger schaut?
Sie fühlen sich ernst genommen und sind hoch motiviert. In der Vergangenheit ist auf die Kollegen oft draufgehauen worden, auch organisatorisch. Da entwickelt man kein Selbstwertgefühl. Im Moment richten wir in den Bädern Internet ein, damit die Badbetriebsleiter mit der Zentrale per E-Mail verkehren können.
Wie hat man denn bislang kommuniziert?
Per Telefax. Oder die Badbetriebsleiter sind persönlich in die Zentrale gekommen. Eine Software war zwar da, ist aber nicht konsequent eingesetzt worden. Die einzelnen Bäder hatten bislang auch kein eigenes Budget. Wenn da eine Fahne runterfiel, musste der Badleiter einen Antrag schreiben, um eine neue besorgen zu können. Bis der genehmigt wurde, dauerte es mitunter ewig. Das hat auch mit dieser übertriebenen Sparpolitik zu tun. Kein Wunder, dass die Beschäftigten frustriert sind.
Was soll ein Badleiter in Zukunft entscheiden dürfen?
Kleine Instandhaltungsgeschichten oder den Einsatz von Wasserspielzeug. Auch wenn neues Personal eingestellt wird, ist der Badbetriebsleiter stärker einzubinden. Das Bad muss schon sein Bad sein. Er muss es führen.
In etlichen Bädern steht ein Generationswechsel an. Axel Ott, Leiter des Strandbads Wannsee, und Erhard Kraatz, Leiter des Kreuzberger Prinzenbads, gehen in Ruhestand. Die beiden waren 40 Jahre in ihren Bädern.
So ein Herr Ott oder ein Herr Kraatz, das sind schon gestandene Persönlichkeiten. Die wissen genau, was sie tun. Gerade im Prinzenbad gab es vor vielen Jahren ja ziemliche Konflikte. Und Herr Ott am Wannsee – das Bad ist seine Perle. Er hat uns gezeigt, was man alles verbessern könnte. Und er hat Recht! Ich sehe das eher mit einem weinenden Auge, dass viele von diesen erfahrenen Kollegen demnächst gehen. Dass mal eine paar Junge drankommen, ist gut. Aber es geht auch was verloren.
Für viele Leute ist Schwimmen Sport im Sinne von Bahnen ziehen. Kommen die auch in deinen Konzepten vor?
Es geht mir überhaupt nicht darum, aus allen Bädern Freizeitbäder zu machen. Ganz im Gegenteil. Desto mehr Freizeitangebote wir in Schwerpunktbädern haben, desto stärker werden die sportlich orientierten Anlagen entlastet. Auch was die Öffnungszeiten und die Eintrittspreise angeht, haben wir Angebote vorbereitet, die die Vielschwimmer sehr erfreuen werden. Das müssen wir aber noch unserem Aufsichtsrat vorlegen, bevor ich Einzelheiten verrate.
Die Haushaltslage Berlins lässt nicht viel Spielraum.
Ich hoffe, dass wir es schaffen, Politik und Parlament zu überzeugen. Ich bin sicher, dass es uns gelingt, die Bäder auf einen guten Weg zu bringen und langfristig die Kosten zu reduzieren. Man muss uns nur lassen.
Was treibt dich an?
Die Bäder haben für Berlin eine gigantische Bedeutung. Wenn man das besonders gut macht, glaube ich, ist man im Herzen aller Berliner ganz oben dabei. Ich glaube, man kann hier richtig was bewegen.
Bist du der Hartmut Mehdorn der Berliner Bäder-Betriebe?
Ich habe Hartmut Mehdorn einmal getroffen. Das ist schon eine spannende Persönlichkeit. Für den Flughafen war das eine sehr gute Wahl von den Politikern. Dass sie sich getraut haben, jemand zu nehmen, der unbequem ist. Wenn man das so betrachtet, brauchen wir bei den Bädern vielleicht auch einen, der den Weg freimacht.
Und das bist du?
Das hoffe ich.
Was wäre das größte zu brechende Tabu, das dich erwartet?
Wieso eins? Da gibt’s hunderte! Hier stolpert man doch von einem Fettnäpfchen ins andere! (lacht)
Tabus zu brechen macht einen großen Teil des Reizes aus?
Man darf das nicht überziehen. Bei Hartmut Mehdorn habe ich das Gefühl, das ist hart an der Grenze. Wenn man was erreichen will, muss man die anderen auch mitnehmen und aufpassen, dass man nicht alle vor den Kopf stößt. Aber wenn man weiterkommen will, muss man natürlich auch an Tabus rühren. Ich glaube, dass kann schon jemand besser, der eine gewisse Unabhängigkeit hat, als jemand der darauf angewiesen ist, den Job die nächsten 25 Jahre ausüben zu müssen. Aber es spielen ja auch viele politische Entscheidungen eine wichtige Rolle. Als Vorstand eines Berliner Unternehmens setzt man den Willen der Berliner Politik durch.
Annette Siering und du, seid ihr eigentlich gleichberechtigt?
Der Vorstand besteht aus zwei Mitgliedern. Ich bin der Vorsitzende. In Zwangssituationen habe ich eine Stimme mehr. Aber das spielt eigentlich keine Rolle. Wir sehen uns als gleichberechtigtes Team an. Die Frau ist Klasse. Wenn ich die nicht hätte. Mein Problem ist, dass ich eine gewisse Emotionalität habe. Annette hilft mir, mich zurückzuhalten.
Bist du ein Choleriker?
Nein, das jetzt auch wieder nicht! Man kann Sachen vollständig sachlich sehen oder ein bisschen emotionaler. Ich glaube, für die Führung eines Unternehmens braucht man eine gewisse Emotionalität, um andere mitzureißen. Annette hat die auch. Aber sie hat einen sachlicheren formaljuristischeren Bezug dazu, auch zu unserem ganzen Zahlenwerk. Ich würde mit dem Personalrat im Zweifelsfall lieber ein Bier trinken gehen und alles per Handschlag regeln. Es ist ein Segen für alle in Berlin, dass wir so ein gutes Führungsteam bilden.
Wann warst du das letzte Mal in deinem Haus in Florida?
Eben Ende April. Früher war ich da zwei-, dreimal im Jahr. Das wird jetzt eindeutig weniger. Ich habe in meinem Leben noch nie so viel gearbeitet wie bei den Berliner Bäder-Betrieben.
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