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Tempodrom gibt sich klassisch

Die neuen Tempodrom-Betreiber wollen mit ungewöhnlichen Klassik-Soiréen gehobenes Publikum in die Kleine Arena locken. Damit soll das Kulturhaus aufgewertet und für Käufer attraktiv werden

Von Nina Apin

Die Zacken des Tempodrom ragen malerisch in den Nachthimmel. Vor dem Haupteingang bilden sich Schlangen, in einer halben Stunde beginnt die Revue „Holiday on Ice“. Es sind meist ältere Menschen, Damen im Pelzmantel und Herren mit Hut, die schwatzend auf dem Vorplatz zusammenstehen und auf die Klingel warten. Gewohntes Tempodrom-Publikum: Die beliebte Eis-Show sorgt bereits im vierten Jahr für eine volle Halle.

Ein paar Meter weiter rechts, am Eingang zur Kleinen Arena, steht niemand an. Ein junger Mann mit weißem Mozartzopf und Frack öffnet die Glastür. Drinnen ist es schummrig-vornehm. Damen in üppigen Rokoko-Kleidern wandern zwischen den Grüppchen im Foyer umher und reichen Sekt und Würstchen im Schlafrock. Als die Klingel ertönt, strömen rund 150 Leute aus dem Foyer in die kreisrunde Kleine Arena und nehmen auf Stuhlreihen und Tribünenstufen Platz. Die Reihe „Klassik after Work“, mit der das Tempodrom sich neues Publikum erschließen will, kann beginnen.

Klassische Mischung

Vor einem roten Samtvorhang gruppiert sich das „Athena-Quartett“ aus Wien. Die vier jungen Damen an Violine, Violoncello und Viola spielen Streichquartette von Mozart. Sie sind in extravagante Kreationen aus schwarzem Netz und halbtransparenter Seide gekleidet. Als ein Oboist zur Verstärkung auf die Bühne tritt, geht ein Raunen durchs Publikum: Er trägt zur Rüschenbluse einen langen, opulenten Herrenrock. Das kammermusikalische Geschehen wird durch kurze Interviews unterbrochen. Am Ende der virtuosen Darbietungen bekommt der Berliner Modemacher Peter Krause Gelegenheit, anhand der Interpretinnen seine Vorstellung von bequemer, aber festlicher Mode für Klassikinterpreten zu erläutern und noch ein paar Models in seinen Kreationen auf die Bühne zu schicken.

Für Thomas Groß war der Abend „Wolfgang Amadeus Salzburg“ Mitte Februar ein erster Erfolg. „Ein super Auftakt für den Circle Club“, freut er sich. Der 1,90 Meter große Mann im Zweireiher kann Erfolge gebrauchen: Vor einem halben Jahr hat er zusammen mit seinem Geschäftspartner Stephan Gerhard von der Unternehmensberatung Treugast das Pleite gegangene Tempodrom übernommen.

Drei Jahre läuft der Pachtvertrag zwischen der Treugast und dem Insolvenzverwalter. Doch Groß hat sich zum Ziel gesetzt, das Tempodrom schon im ersten Jahr in die schwarzen Zahlen zu führen. „Wir brauchen 200 Tage Mietauslastung“, rechnet er vor.

Wie ihre glücklosen Vorgänger wollen Groß und sein Partner das Hauptgeschäft mit Vermietung machen. Neben etablierten Großveranstaltungen wie „Holiday on Ice“, Zirkus und Comedy wollen sie die Große Arena für Galas wie „50 Jahre Fernsehlotterie“ vermieten. Als „Circle Club“ will der gelernte Eventmanager Groß die wenig genutzte Kleine Arena wiederbeleben.

Die „Klassik after Work“-Reihe ist eine der wenigen Eigenveranstaltungen der neuen Betreiber. Akademiker und Unternehmer zwischen 30 und 50 Jahren wollen sie zur Entspannung nach der Arbeit ins Tempodrom locken. Das Programm entsteht in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft der Freunde und Förderer der Musikhochschule Hanns Eisler, dem Modenetzwerk „Minerva“, einem Caterer und Klassikradio. Im März sind mit französischen Klavierklängen und afroamerikanischer Percussion zwei weitere Veranstaltungen geplant.

Warten auf die Gäste

Ein Klassik-Schöngeist ist Groß, der vorher für die Potsdamer Schlössernacht Events organisierte, aber nicht. Über eine Fortführung der Reihe entscheiden die Besucherzahlen der nächsten beiden Abende. Neben den betuchten Geschäftsleuten setzt er sicherheitshalber auf weniger betuchte, aber zahlreiche türkische und asiatische Jugendliche. Auf den monatlichen „Community“-Partys mit orientalischen Disco-Beats – einer weiteren neuen Reihe der Veranstalter – soll nicht genetzwerkt, sondern getanzt werden. Hauptsache, die Berliner gehen wieder gerne ins Tempodrom.

Zum gut ausgelasteten Kulturort gemausert, könnte das gezackte Pleiteobjekt vielleicht wieder einen Käufer finden. Für das wegen technischer Mängel geschlossene Solebad Liquidrom interessieren sich laut Groß schon drei potenzielle Pächter. Für das gesamte Tempodrom bisher noch keiner. Der Insolvenzverwalter sitzt immer noch auf 33 Millionen Euro Baukosten.

Die nächste „Klassik after Work“-Veranstaltungen am 2. März (Motto: „Vive la France“) und am 30. März (Motto: „America meets Africa“)

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