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Die Stadt der verbrannten Erde

GEISTERSTADT Seit fast 50 Jahren brennt ein Kohlefeuer unter Centralia. Von einst tausend Einwohnern der Stadt im US-Bundesstaat Pennsylvania sind nur noch zehn da

Auf glühenden Kohlen

1 Im Jahr 1962 gerät bei einer Müllverbrennung ein Kohlenflöz am Rande der 1.000-Einwohner-Stadt Centralia im US-Bundesstaat Pennsylvania in Brand. Die für das komplette Ausgraben und Löschen der Brandherde nötigen 40.000 Dollar kann die Gemeinde nicht aufbringen; der Bund will es nicht.

2 Ein Tankwart in Centralia misst 1979 im Boden unter seinem Benzintank rund 78 Grad Celsius und muss schließen. Zwei Jahre später stürzt ein Kind in ein Loch, das sich plötzlich im Boden öffnet. Der Kongress stellt 42 Millionen Dollar bereit, um Centralia zu evakuieren und die Menschen zu entschädigen. Die meisten Familien greifen zu.

3 1992 entscheidet die Regierung, den gesamten Ort zu enteignen. Nur zehn verbliebene Bewohner wollen Centralia nicht verlassen. Die eingeebnete Geisterstadt mit den rauchenden Gräben im Boden wird zur Attraktion für Wochenendausflügler und zur Kulisse mehrerer Spielfilme.

VON DOROTHEA HAHN UND SYLVIE FRANÇOISE (FOTOS)

Wo ist Centralia?“ Der schnauzbärtige alte Mann ruft die Frage vom Lenkrad durch das heruntergekurbelte Fenster an den Straßenrand. „Hier“, ruft die junge Frau zurück: „das ist das Zentrum der Stadt.“

Sie steht an einer Kreuzung zweier Landstraßen. Um sie herum ist leeres, schneebedecktes Land. Längs der Straßen wachsen hagere junge Bäumchen. In der Ferne unterbrechen tiefschwarze Flecken das Weiß.

Der Alte war zuletzt vor 25 Jahren in dem Ort. Er will sehen, was übrig ist. Schon damals klafften Lücken in den Häuserreihen. Und die hölzernen Fassaden waren nicht mehr so frisch und bunt getüncht wie sonst im Steinkohlengebiet von Pennsylvania. Aber auf der Locust Avenue, die Centralia von Nord nach Süd durchquert, herrschte noch Leben. Wenige Schritte von der Kreuzung mit der Centre Street entfernt war das Rathaus, war die Schule, war die Post und war die gusseiserne grüne Glocke, die an die Kriege erinnerte, in denen Soldaten aus Centralia gekämpft haben. Nichts davon ist mehr da.

Die junge Frau ist, eine Autostunde entfernt, in Bloomsburg geboren. Als sie zur Welt kommt, ist das Ende von Centralia längst beschlossene Sache. Der Kongress in Washington hat 1983 insgesamt 42 Millionen Dollar zur Verfügung gestellt, um den Ort von der Landkarte zu streichen. Eine große Summe Geld. Das „Centralia Projekt“ organisiert die Enteignung und Umsiedlung der tausend Einwohner in die Nachbarorte. Jedes Mal, wenn ein Haus in Centralia verlassen wird, werden die Fenster und Türen zugenagelt. Dann kommen Bulldozer, um es einzuebnen.

Als spukten Geister herum

Wie alle Kinder in der Region wächst auch Christine McCloughan mit der Geschichte von der Stadt auf dem brennenden Kohlenberg auf. Später, als Jugendliche, kennt sie Centralia als die Stadt, deren Bewohner sich dagegen wehren, umgesiedelt zu werden. Wenn sich der Staat in das Leben seiner Bürger einmischt, hat er in dieser Weltgegend einen schlechten Ruf. Besonders wenn es um Privateigentum geht.

Im letzten Herbst fährt die junge Erwachsene zum ersten Mal selbst nach Centralia. Es ist eine Pilgertour auf den Spuren einer untergegangenen Zivilisation. Christine begeht Bürgersteige, hinter denen die Häuser fehlen. Sie stolpert über Risse und Falten im Asphalt. Sie legt ihre Hände auf schwarze Flecken am Felsboden, um die Wärme zu spüren, die von unten kommt. Sie riecht am Rauch, der aus dem Boden steigt. Und sie lauscht dem Zischen der aufsteigenden Gase. Es klingt wie ein Flüstern, das aus der Erde kommt. „Gruselig“, beschreibt sie ihr Gefühl an jenem Herbsttag: „als spukten Geister durch das Tal.“

Seit Centralia als realer Ort verschwunden ist, wurde es zur Touristenattraktion. Mundpropaganda und Internet haben es zu einem Pompeji des Steinkohlenbergbaus gemacht. Zu einem Stück US-amerikanischer Geschichte. In den Geisterstädten des Fernen Westens, des Goldrauschs, sind noch Kulissen zu besichtigen. Man entrichtet ein Eintrittsgeld und bekommt eine fertige Geschichte erzählt. Mit Broschüren, Stelltafeln und Laiendarstellern im Goldgräberkostüm. In Centralia gibt es kein Museum und keine Erklärungen. Man muss sich die 27 Saloons, die 7 Kirchen und die zwei Bahnhöfe selber ausmalen. Als Inspiration dienen der brennende Boden, aus dem stellenweise stinkende Rauchsäulen aufsteigen. Und die großen Abraumhalden, die alle Kohlenorte der Region umgeben.

An Wochenenden füllt sich Centralia mit Besuchern. Sie spazieren über die heißen, schwarzen Flecken. Heben warme Steine vom Boden. Denken über Natur und vom Menschen zerstörte Landschaft nach. Philosophieren. „Dieser Ort lässt mich an Pripjat denken – den Ort, der vor der Katastrophe neben Tschernobyl war“, sagt Corey Rutledge, der schon oft durch die rauchenden Reste von Centralia gelaufen ist. Dieses Mal hat der 32-Jährige seinen jungen Bruder Jason mitgebracht. Dem Jüngeren gehen Science-Fiction-Filme durch den Kopf. Randy Davidson ist mit seinen 6- und 11-jährigen Söhnen Blaise und Hunter zum Samstagsausflug nach Centralia gekommen. Der 45-jährige Vater erklärt den beiden, dass sie nie fahrlässig mit dem Feuer umgehen dürfen. Sonst kann „so etwas“ passieren. Die Krankenschwesternschülerin Kelsey Fryberger hat ihre Facebook-Freunde nach einem „coolen Ort“ gefragt. Jetzt stolpert sie durch die Reste von Centralia, ist traurig und merkt zum ersten Mal, wie wenig sie in der Schule über Kohlenbergbau gelernt hat.

Jugendliche aus Nachbarorten kommen auch nachts nach Centralia. Oft auf einen der vier Friedhöfe, auf der Suche nach maximalem Grusel. Christine hingegen kommt tagsüber wieder. Für die junge Erwachsene wird Centralia der Schauplatz ihrer ersten politischen Demonstration. An diesem Sonntag im März steht sie mit drei gleichaltrigen Freundinnen aus der Universität an der Kreuzung inmitten der Leere. Die vier wollen Centralia retten. Die junge Frau hat nie ein Wort mit den letzten zehn Bewohnern gewechselt. Aber sie will sie unterstützen: „Ihre Häuser stehen nicht in Flammen. Die Leute sollen bleiben, so lange sie wollen.“

Manchmal kommt minutenlang kein Wagen an die Kreuzung. Dann fährt ein Pick-up-fahrer langsam hupend und mit anerkennend erhobenem rechtem Daumen vorbei. Die jungen Frauen halten ihre Pappschilder hoch. Auf jedes haben sie mit Buntstiften eine Zeile aus einem Beatles-Song geschrieben. „I Believe in Yesterday“, steht auf dem Schild der 18-jährigen Christine.

Ein besonderes Feuer

Für Centralia war Yesterday bis 1962. Im Mai jenes Jahres, wenige Tage vor dem nationalen Gedenken an die Kriegsopfer auf dem Odd-Fellows-Friedhof am südöstlichen Ortsende, verlangt der Vorsitzende der Methodistengemeinde im Rathaus, dass die Müllhalde gereinigt wird. Seit Menschengedenken lädt die Gemeinde ihre Abfälle hinter dem Friedhof ab. Ab und zu verbrennt sie den Müll, um die Ratten und den Gestank zu vertreiben. Alle Gemeinden in dem Steinkohlenbecken machen es so.

In Centralia geht die Müllverbrennung im Frühjahr 1962 schief. Die Kohle im Boden unter dem Müll entzündet sich. Das Feuer breitet sich unterirdisch aus. Es lässt sich nicht mit Wasser löschen. Die Gemeinde lässt einen Schaufelbagger kommen. Eine Firma verlangt 40.000 Dollar, um das in Brand geratene Kohlenflöz komplett auszugraben. Aber die Gemeindekasse ist leer. Und die übergeordneten Stellen wollen nicht so viel ausgeben. Centralia, glauben die Leute, liegt auf der falschen Seite des Susquehanna River, also im Steinkohlengebiet. „Wir sind arm, ungepflegt und ungebildet. Wir zählen nicht für die Politiker“, sagen sie. Der Schaufelbagger wird wieder abtransportiert.

Feuer in Bergbaugebieten sind keine Seltenheit, weltweit glimmen tausende. Allein in den USA hat die „Behörde für Tagebau“ 150 solche Feuer aufgelistet. Nicht immer werden sie durch Fahrlässigkeit ausgelöst, manchmal entzünden sich Flöze auch spontan. Bei entschlossenem Vorgehen können sie im Anfangsstadium gelöscht werden. Haben sie sich erst einmal ausgebreitet und sind die Kohlenvorräte groß genug sind, können sie jahrhundertelang brennen.

Das Besondere am Kohlenfeuer von Centralia ist, dass es unter bewohntem Gebiet lodert. Ein paar Jahre lang bleibt der Brand auf die Zone rund um den methodistischen Friedhof und den benachbarten Baseballplatz beschränkt. Meist zeugt bloß schwarzer, stinkender Rauch, der zischend nach oben entweicht, vom Geschehen unter der Erde. Manchmal brechen sich offene Flammen einen Weg nach oben. Oder die Erde reißt auf und gibt den Blick auf einen rot glühenden Untergrund frei. Es kommt auch vor, dass oberirdisch Büsche in Flammen aufgehen. Heute brennt das Feuer auf einer unterirdischen Fläche von 1,4 Quadratkilometern.

1969 werden in Centralia drei Familien evakuiert. Ihre Häuser stehen in unmittelbarer Nähe des Brandherdes. Im Inneren sind hohe Konzentrationen giftiger Gase gemessen worden. Nach diesen ersten Umsiedlungen geht das Leben in Centralia weiter, als wäre nichts passiert. Manche Leute spotten dem Schicksal mit einem feuerroten, hautengen T-Shirt. In Brusthöhe steht darauf: „Centralia – the hottest town in Pennsylvania“. Für den Notfall hängt in fast jedem Haus ein Käfig mit einem Kanarienvogel. Wenn der Vogel von der Stange fällt, wissen die Menschen, dass auch ihr Leben in Gefahr ist.

„Meine Heimatstadt. Vielleicht würde ich sie weniger lieben, wenn es sie noch gäbe“

TOM DEMPSEY

Das Ende der Sorglosigkeit

Als der Brand ausbricht, hat Centralia seine beste Zeit bereits hinter sich. Die drei Kohlengesellschaften – Centralia Colliery, Germantown Colliery und Continental Colliery –, um die das Leben im Ort kreist, haben in den 50er-Jahren damit begonnen, ihre Gruben zu schließen. Seit Kriegsende sinken die Gewinne aus der Steinkohle. 1966 stellen auch die beiden Eisenbahngesellschaften den Betrieb ein. Die morgendlichen Wecktöne über Lautsprecher und die Alarmsirenen, die von Unfällen in der Grube künden, verstummen. Die Bergarbeiter aus Centralia suchen Arbeit in den Nachbargemeinden. Ein paar Verwegene steigen weiterhin in die verbotenen Stollen unter ihrem Ort und holen Kohle für den Privatgebrauch. Im Dorf heißt es, dass sie auch Stützsäulen aus Kohle mitnehmen.

Die Sorglosigkeit in Centralia geht mit zwei Ereignissen schlagartig zu Ende: 1979 misst ein Tankwart im Ort knapp 78 Grad Celsius im Erdboden unter seinem Benzintank. Er muss schließen. 1981 folgt der Absturz des zwölfjährigen Todd Dombowski. Der Junge spielt an der Wood Street, als sich unter ihm ein Loch im Erdboden öffnet, 1,20 Meter breit, über 45 Meter tief. Der Junge klammert sich an Wurzelwerk, ein Cousin kann ihn retten. Nachbarn versuchen, den Vorfall zu vertuschen. Aber in Centralia geht fortan Angst um. Als der Kongress sein Millionenprogramm auflegt, greifen viele Familien zu. Für ihre Häuser erhalten sie das Dreifache des eigentlichen Werts. Das Ende von Centralia nimmt Konturen an.

Nach Todds Missgeschick tauchen im Ort orangefarbene Absperrbänder und Absperrgitter auf. Sie sollen spielende Kinder von Gefahrenzonen fernhalten. Sara Pisarchick identifiziert die Farbe Orange bis heute mit ihrer Kindheit. „Es war eine glückliche Zeit“, sagt die 30-Jährige. Ihre Augen glänzen, wenn sie von dem Schlitten erzählt, auf dem ihre große Schwester sie zur Post zog, wo sie die Briefe für die Familie abholten. Als Sara fünf ist und Asthma bekommt, verlässt die Familie Centralia. Wie viele andere Beziehungen überlebt auch die Ehe von Saras Eltern die Umsiedlung nicht. Die Mutter findet einen neuen Job und einen neuen Mann. Der Vater zieht die Mädchen allein groß.

Für Sara ist der Wegzug aus Centralia die Chance ihres Lebens. Heute ist sie Hochschullehrerin für Grafik und Design. Auch ihre Schwester ist Akademikerin geworden. „Ohne Umsiedlung wäre das nie möglich gewesen“, sagt Sara. Sie kommt nur noch nach Centralia, wenn sie ihre Großmutter braucht. An solchen Tagen fährt Sara mit dem Auto bis zum Eingang des orthodoxen Friedhofs, wo die ältesten Grabsteine in den hinteren Reihen noch kyrillisch beschriftet sind, und hockt sich vor das Grab der „Baba“. Die aus der Ukraine eingewanderte Großmutter war die erste in der Familie, die Englisch gesprochen hat. Als junges Mädchen in Centralia verkaufte die Oma „Moonshine“ – der illegal gebrannte Whiskey lag auf dem Karren, mit dem sie durch Centralia zog. Versteckt unter Gemüse.

Alle vier Friedhöfe von Centralia sind vom Feuer verschont geblieben. Nach dem Verschwinden der Häuser erzählen sie die Geschichte eines Zuhause.

Für Generationen von Einwanderern war Centralia Heimat. Der erste Ankerpunkt in der Neuen Welt. In der Hackordnung der Gründerjahre gehörten die Minen den Engländern, waren die Waliser die Chefs und arbeiteten die Iren unter Tage. Die Deutschen kontrollierten den Handel. Als mit dem Ersten Weltkrieg die Ukrainer und Polen nach Centralia kommen, rücken die anderen eine Stufe höher. Wieder vergeht eine Generation, bis alle die gemeinsame Sprache gelernt haben und untereinander heiraten. Nur zum Fluchen und zum Beten benutzen sie noch die Sprache ihrer Vorfahren. Auf den vier Friedhöfen stehen unterschiedlich geformte Kreuze. Aber alle Fähnchen, die heute vor den Grabsteinen im Schnee stecken, sind US-Flaggen.

Besetzer im eigenen Haus

Auch Tom Dempsey, früher Chef des Postbüros von Centralia, will eines Tages in der Heimat beerdigt werden. Auf dem katholischen Friedhof: „Da liegen meine fünf Generationen irische Vorfahren.“ Der 73-Jährige ist vor mehr als zwei Jahrzehnten weggezogen. Aber sonntags kommt er immer noch oft nach Centralia. Fährt mit dem Auto die Straßen ab, an denen keine Häuser mehr stehen. „Es ist meine Heimatstadt“, sagt er, „aber vielleicht würde ich sie weniger lieben, wenn es sie noch gäbe.“

Bis heute glaubt Tom nicht, dass die Evakuierung von Centralia unvermeidbar war. „Hier ist niemand an dem Feuer gestorben“, sagt er. Aber bitterer als das Verschwinden des Ortes sind für ihn die Feindschaften zwischen Nachbarn und Verwandten, die mit dem Feuer ausgebrochen sind. „Die einen wollten nichts wie weg, die anderen wollten möglichst viel Geld, die dritten wollten unbedingt bleiben“, erzählt er: „Am Ende waren alle einander spinnefeind.“

„Haut ab!“, brüllt der alte Mann Neugierige an, die mit ihm sprechen wollen. Früher stand sein Haus in einer Reihe mit anderen Häusern. Heute steht es allein. Vor der Tür des wütenden Mannes stehen ein Gartenzwerg und drei Bambis in Naturgröße. Bei den Gemeinderatssitzungen, die immer noch an jedem ersten Montag im Monat in Centralia stattfinden, gibt er den „Bürgermeister“. Seit die Regierung im Jahr 1992 entschieden hat, den ganzen Ort zu enteignen, sind er und die neun anderen Übriggebliebenen von Centralia Besetzer in ihren eigenen Häusern. Miete und Steuern zahlen sie nicht. Der Staat will kein Geld von ihnen. Er will, dass sie gehen.

Ein paar hundert Meter entfernt flattern Dutzende US-Wimpel rund um ein allein stehendes Haus. An der Türe haftet ein Zettel: „Keine Interviews. Das Management“. In den ersten Jahren des Umsiedlungsprogramms haben diejenigen, die bleiben wollten, bereitwillig ihre Geschichten erzählt. Später haben sie alle Kontakte abgebrochen, sich verbittert zurückgezogen. Die zehn sind stur, wie Menschen in Bergbaugebieten stur sein können. Sie bestreiten, dass die Gase gefährlich sind. Sie bestreiten, dass der Boden einbrechen kann. Sie bestreiten, dass das Feuer sich ausbreitet. Und sie behaupten, dass sie bloß deshalb vertrieben werden sollen, weil die Regierung ungehindert einen Schatz heben wolle: die unter Centralia verbliebene Steinkohle.

Touristen spazieren über die heißen, schwarzen Flecken. Heben Steine vom Boden. Philosophieren

Von ihrem Ort ist legal nichts mehr übrig. Zuletzt strich der US Postal Service im Jahr 2002 die Postleitzahl. 17927 existiert nicht mehr. Aber die zehn pflegen Centralia wie ehedem. Neben einem allein stehenden Haus sind große Räumgeräte geparkt. Sobald in Centralia der erste Schnee fällt, machen sie die Straßen frei. In diesem Winter sind die menschenleeren Seitenstraßen, in denen es keine Häuser gibt, sauberer als die der US-Hauptstadt.

Im nächsten Monat werden die zehn Übriggebliebenen erneut vor Gericht ziehen, um auf ein Bleiberecht zu klagen. Voraussichtlich werden sie den kommenden Rechtsstreit genauso verlieren wie alle vorausgegangenen. Voraussichtlich werden sie anschließend noch verbitterter sein. In den Nachbarorten werden sie „Exzentriker“ genannt. Und „Spinner“. Aber ihre Sturheit imponiert auch. Sie stehen allein in einer feindseligen Welt. Und verteidigen ihre Stellung. Das erinnert an die ersten weißen Pioniere.

In der Sektion Nummer 608 der American Legion, wo sich Kriegsveteranen treffen, kennen alle die zehn Übriggebliebenen. Deren einsamer Widerstand findet im Veteranenverein Sympathie. Auch die American Legion ist umgesiedelt worden.

Die Vergangenheit lebt

Früher stand das Vereinslokal im Zentrum von Centralia, ein paar Schritte von der Kreuzung im Niemandsland entfernt. Heute ist es in einem Bungalow am Rand des Nachbarorts Aristes untergebracht. Aus Centralia haben die Veteranen ihren langen, hölzernen Tresen mitgenommen, die grüne, gusseiserne Glocke, die an alle Kriege erinnert, und eine Gartenbank. An den Wänden ihres neuen Vereinslokals hängen vergilbte Schwarz-Weiß-Fotos von Centralia. Das obligate Schildchen „Wir unterstützen unsere Truppen“. Und Erinnerungen an US-amerikanische Kriegsgefangene.

Mehrere Veteranen stützen sich auf den Holztresen. Ein jeder mit einem Glas in der Hand. Die Köpfe in dichte Tabakschwaden gehüllt. Jeden Sonntagnachmittag stehen sie so. Ein jeder hat den Kopf voll alter Geschichten. Manche handeln von vergangenen Kriegen. Andere von Centralia.

Yesterday.

Dorothea Hahn ist nach 15 Jahren Paris seit Januar USA-Korrespondentin der taz

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