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Ein Opernball der Autoren

Eine Buchstabensuppe zum fühlen, hören, denken und schmecken. Neun Tage und Nächte verwandelt das sechste Literaturfestival lit.COLOGNE die Kölner Innenstadt in ein offenes Buch

VON PETER ORTMANN

Die Masse aller Buchstaben komprimiert auf einen Punkt. Zum sechsten Mal findet ab heute die lit.COLOGNE statt, das schwarze Loch der Literatur. Mittendrin auch der fadenheftungsverwöhnte Buch-Kritiker Marcel Reich-Ranicki. Er hat sich aktuell eher der Lyrik zugewandt: „Die ist weder die bedeutendste noch die wichtigste Gattung der Literatur, aber die persönlichste, die empfindlichste, die zarteste und die reichste.“ Von Walther von der Vogelweide über Annette von Droste-Hülshoff bis Durs Grünbein hat er 1.370 Gedichte zusammengetragen. Seine Favoriten aus dem großen Kanonprojekt stellt er heute Abend im Schauspielhaus vor, mit Robert Gernhardt, selbst begnadeter Lyriker, diskutiert er dann über Dichten, Dichter und Gedichte.

Nur ein paar Straßen weiter stellt gleichzeitig ein Wollknäuel seine erste CD vor, musikalisch begleitet von Brezel Göring und Françoise Cactus und Wolfgang Müller lesen aus Wollitas soeben erschienener Biographie. Sie kennen Wollita nicht? Also lesen Sie auch keine BILD. Die hievte nämlich die gewöhnliche Topflappenhäkelpuppe auf ihre Titelseite und machten sie zum Pornostar. Weiterbildung in Sachen Wollita gibt es im Kölner Gloria. Danke, dass Marcel Reich-Ranicki verhindert ist.

Montag findet gleich die ,,Größte Deutschstunde der Welt“ statt. „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“ schrieb der Autor Bastian Sick und viele Deutschlehrer hatten beim Lesen seines Bestsellers Tränen der Dankbarkeit in den Augen. Sick bringt nun die Protagonisten im riesigen Rund der Kölnarena zusammen. Es werden Tausende Schüler, Lehrer und Sprache-Freaks den Worten vieler Prominenter lauschen und durch den ,,Irrgarten der deutschen Sprache“ geführt. Eine ungewöhnliche Idee gilt als Deutschstunden-Rekord-Versuch. NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) unterstützt da natürlich gern.

Bis zum 18. März können im Bundesland alle Literatur-Cafés schließen. Das schwarze Literaturloch in der Domstadt zieht bis dahin wirklich alle Dimensionen an sich: Roger Willemsen spricht am kommenden Donnerstag über Guantánamo, André Glucksmann trifft Leon de Winter einen Tag später auf dem MS RheinEnergie bei Daniel Cohn-Bendit (Europa-Grüne), während Parteifreund Michael Vesper (auch Ex-NRW-Kulturminister) gleichzeitig in der Kulturkirche elf fußballbegeisterte Theologen dirigiert, die herausfinden wollen, warum ihr Herz an der Lederkugel hängt. Dazu noch eine schwimmende Oper mit Elke Heidenreich und einen ganzen Abend für Rio Reiser. Selbst Analphabeten kriegen da bestimmt Lust auf Buchstabensuppe.

Alles in allem stehen 131 Veranstaltungen in acht Tagen auf dem Programm, da bleibt auch nicht mehr viel Zeit zum selber lesen. Doch Deutschland bleibt schön, sagt Ex-Titanic-Chefredakteur Hans Zippert. 40 Jahre hat er sich in Deutschland einsperren lassen, in diesem Jahr beendet er den Opernball der Literatur im Gürzenich. Aber nicht ohne das Oberkreuzberger Nasenflötenorchester (,,Stille Tage in Rüsselsheim“). Der zehnköp- fige ,,regressive Männerbund“ oder auch ,,die älteste Boy Group der Welt“ spielt zum ersten Mal in Köln. Kaum zu glauben.

Bis 18. März 2006 in ganz KölnInfos: www.litcologne.de

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