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Ein Leuchtturm am Maghreb

Marokko hat viel versprechende Potenziale für erneuerbare Energien. Die Regierung will insbesondere Wind und Sonne nutzen, um die große Abhängigkeit von den Energieimporten zu verringern. Damit wird das Land in Nordafrika zum Trendsetter

VON KLAUS SIEG

„Früher mussten wir unsere Lkw-Batterie jede Woche mit dem Eselskarren zum Aufladen in die Stadt bringen – viel Aufwand, um eine Lampe und ein kleines Radio zu betreiben.“ Mohamed Ziani steht auf dem Dach seines kleinen Hauses und wischt mit einem Lappen den Staub von dem Solarpaneel. Wenig später blitzt es in der grellen Sonne. Der 50-jährige Bauer kneift die Augen zusammen und klettert wieder die Holzleiter hinunter. Über den kleinen Hof weht der Duft von Mandelblüten. Am Feigenbaum hängen die ersten Früchte. Im Haus drückt Mohamed Ziani einfach auf die Fernbedienung. Über den Bildschirm des neuen Fernsehers flimmert jetzt eine der bunten Folkloretruppen, die Berbertänze aufführen.

Der Fortschritt ist noch jung. Erst seit einem halben Jahr liefert eine 100-Watt-Photovoltaikanlage auf dem Dach Strom für den Haushalt der dreiköpfigen Bauernfamilie. Seitdem brennen Lampen in beiden Zimmern, und neben TV und DVD-Player gibt es eine Stereoanlage. „Wir können die Geräte theoretisch die ganze Nacht laufen lassen“, sagt Mohamed Ziani und grinst zufrieden unter seiner roten Wollmütze. In Marokko scheint die Sonne über 3.000 Stunden pro Jahr, das Potenzial für die Stromproduktion beträgt 5,5 Kilowattstunde pro Tag und Quadratmeter.

„Diese Gegend lässt sich nur durch Einzelanlagen ökonomisch vertretbar elektrifizieren“, sagt Lahsen Moutawakil und weist über die hügelige Landschaft aus Feldern und Wiesen, auf denen Mohnblumen blühen. Weit verstreut liegen vereinzelte Gehöfte, die meist aus einem flachen Steinhaus und einem Schuppen bestehen. Viele sind nur zu Fuß erreichbar.

Lahsen Moutawakil von der staatlichen Stromgesellschaft Office Nationale de l’Électricité (ONE) kümmert sich in der Provinz Khemisset um die Elektrifizierung entlegener Höfe mit Photovoltaik-Kits. Er veranstaltet Informationsabende, berät einzelne Haushalte oder stellt den Kontakt zu Herstellern und Serviceunternehmen her. Über die Hälfte der Marokkaner lebt auf dem Land. Bis vor zehn Jahren mussten noch 80 Prozent von ihnen ohne Strom auskommen. Mit dem Programm Plan d’Électrification Rurale Global (PERG) treibt die marokkanische Regierung seit 1995 die Elektrifizierung ländlicher Regionen voran. Die Ergebnisse können sich sehen lassen: Mittlerweile verfügt drei Viertel der Landbevölkerung über Elektrizität, im letzten Jahr waren es noch zehn Prozent weniger.

Die Familie Ziani hat für ihre Anlage einen zinslosen Kredit zur Verfügung gestellt bekommen, den sie mit umgerechnet knapp sechs Euro monatlich über zehn Jahre abbezahlen muss. Mit dem Verkauf von Weizen, Oliven und Schafen verdient die Bauernfamilie zwischen 100 und 150 Euro monatlich.

Fast um jede Stadt in Marokko wuchern Elendsquartiere aus Plastikplanen, Bretterbuden und Wellblechdächern. Ein Solarpaneel auf dem Dach alleine wird sicherlich nicht die massive Abwanderung der Landbevölkerung eindämmen. Doch gibt es den Menschen auf dem Land zumindest das Gefühl, nicht völlig abgehängt zu sein.

Der Einsatz von erneuerbaren Energien hilft Marokko auch aus einem anderen Dilemma. Das Land muss mit 90 Prozent des Bedarfs übermäßig viel Primär- und Sekundärenergie importieren. Und das, obwohl pro Jahr etwa acht Prozent mehr Strom verbraucht wird. Deshalb – und um seinen Beitrag zum globalen Klimaschutz zu leisten – will das Ministerium für Energie und Bergbau den Anteil erneuerbarer Energie von derzeit einem Prozent bis 2010 auf zehn Prozent steigern; bis 2020 nochmals verdoppeln. Damit könnte Marokko zum leuchtenden Beispiel für die anderen Maghrebstaaten werden.

Die größte Rolle soll dabei der Wind spielen. Das Potenzial wird auf 6.000 Megawatt geschätzt. Besonders windreich sind die nördlichen Regionen Tanger, Tétouan und Taza, und im Süden am Atlantik Essaouira, Laayoune und Dakhla. „Wir haben hier eine Windgeschwindigkeit von zehn Metern pro Sekunde im Jahresmittel.“ Mohamed Nabil Nejjar steht in dem Wartungshaus des Windparks Kouida Al-Baida in der Region Tétouan. An der Wand hängt das Konterfei Mohammed VI. neben der Konstruktionszeichnung eines Getriebes. Es duftet nach Pfefferminztee. Der Park liegt auf den Ausläufern des schroffen Rif-Gebirges, bekannt für seine Hanfbauern. Die Gittermasten erheben sich über dem blauen Mittelmeer, am Horizont ist die spanische Küste zu sehen. Nicht weit entfernt verläuft die Kabeltrasse nach Spanien. Ein Stück weiter werden Träger für den neuen großen Mittelmeerhafen Marokkos in den Boden gerammt, um den herum eine Sonderwirtschaftszone entstehen soll.

Seit Sommer 2000 drehen sich in Kouida Al-Baida die Windräder eines 50-Megawatt-Parks, der eine halbe Millionen Menschen mit Strom versorgt. Betreiber des 46-Millionen-Euro-Projektes ist die Companie Eoliene du Detroit, die zu fast 85 Prozent dem französischen Stromkonzern Électricité de France (EdF) gehört. Den Zuschlag gab die ONE, nachdem die Bewerber für das Projekt ein Preisangebot für die erzeugte Kilowattstunde abgeben mussten.

Es gibt keine festen Fördertarife für Strom aus erneuerbaren Energien. Einspeisevergütungen müssen die Kraftwerksbetreiber direkt mit der ONE aushandeln. Einzige Fördermaßnahme der marokkanischen Regierung ist die Senkung der Einfuhrzölle für verschiedene Produkte auf 2,5 Prozent.

Vielleicht ist das der Grund, warum sich internationale Ausschreibungen für andere Projekte lange hingezogen haben und erfolglos blieben. Nun agiert die ONE selbst als Betreiber und baut zwei Windparks im Süden und im Norden des Landes, gefördert von der deutschen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). Weitere Projekte sind in Planung. Aber auch private Investoren sind weiterhin in Marokko aktiv. Jüngstes Beispiel ist ein kleiner Windpark des Zementgiganten Lafarge. Die zwölf Anlagen mit insgesamt 10,2 Megawatt sollen die energieintensive Produktion versorgen und sind das erste Projekt in Marokko, das im Rahmen des Zertifikathandels für CO2-Emissionen realisiert wird.

Das wird Mohamed Ziani kaum interessieren. Der Bauer aus der Provinz Khemisset schaltet Fernseher und DVD-Player wieder aus und zieht mit geschulterter Hacke aufs Feld. Schließlich muss er Geld verdienen, um die Raten für die Solaranlage abzuzahlen.

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