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Der Fluch der Heiligkeit

IKONE Vor 30 Jahren, am 24. März 1980, wurde in El Salvador Erzbischof Óscar Arnulfo Romero beim Zelebrieren der Messe erschossen. Die Linke, mit der er nicht unbedingt sympathisierte, hat ihn längst als ihre Ikone vereinnahmt

Der Märtyrerbischof

■ Óscar Arnulfo Romero wurde am 15. August 1917 in Ciudad Barrios im Osten El Salvadors geboren. Er studierte Theologie in San Salvador und Rom und wurde 1942 zum Priester geweiht. Eine Doktorarbeit über asketische Theologie brach er ab, um in der Garnisonstadt San Miguel als Priester und Redakteur für kirchliche Zeitschriften zu arbeiten.

■ 1970 wurde Romero zum Weihbischof von San Salvador, 1974 zum Bischof der kleinen Diözese Santiago de María und 1977 zum Erzbischof von San Salvador ernannt. Romero war Wunschkandidat der Rechten. Im Laufe seiner Bischofszeit kritisierte er immer radikaler die maßlosen Gewaltexzesse der rechten Militärdiktaturen des Landes.

■ Am 24. März 1980 wurde Romero von einem von einer Todesschwadron angeheuerten Scharfschützen ermordet. Eine Statue von ihm steht heute in der Galerie der Märtyrer des 20. Jahrhunderts in der Londoner Westminster Abbey zwischen denen von Martin Luther King und dem von den Nazis ermordeten evangelischen Theologen Dietrich Bonhoeffer.

VON TONI KEPPELER

Er ist mit Sicherheit der international bekannteste Bürger des kleinen zentralamerikanischen Landes El Salvador, und doch wurde er regierungsamtlich lange totgeschwiegen. Erst jetzt, an seinem 30. Todestag, wird ihm Gerechtigkeit widerfahren. Präsident Mauricio Funes hat angekündigt, er werde sich an diesem Tag öffentlich entschuldigen für den gewaltsamen Tod von Óscar Arnulfo Romero. Der Erzbischof von San Salvador war am 24. März 1980 beim Zelebrieren einer Messe erschossen worden. Auftraggeber des Mordes war Major Roberto D’Aubuisson, stellvertretender Geheimdienstchef der Armee und zwei Jahre später Gründer der Republikanisch Nationalistischen Allianz (Arena). Die extrem rechte Partei hat in El Salvador von 1989 bis 2009 ununterbrochen regiert. Romero war und ist für sie eine gefährliche linke Bazille. Am Tag vor seinem Tod hatte er in der Kathedrale von San Salvador die Soldaten der damaligen Militärdiktatur zur Befehlsverweigerung aufgerufen. Eben deshalb musste er sterben und deshalb wurde nie regierungsamtlich über den Märtyrerbischof gesprochen. Vom Volk aber wird er als „Heiliger Romero von Amerika“ verehrt.

Präsident Funes, ein einst parteiloser Journalist, hat sich für die Präsidentschaftswahl des vergangenen Jahres der Partei der ehemalige Guerilla der Nationalen Befreiungsfront Farabundo Martí (FMLN) angeschlossen und schon als Kandidat die Popularität von Romero genutzt. Auf den Tischen der Devotionalienhändler bei seinen Wahlkampfveranstaltungen lagen Hemdchen mit drei sehr unterschiedlichen Porträts direkt nebeneinander: Mauricio Funes, Che Guevara, Óscar Arnulfo Romero. Der Bischof mit dem leicht schiefen Kinn, den buschigen Augenbrauen und der dicken schwarzen Hornbrille ist in El Salvador längst eine Ikone. Seinen Redenschreiber wies Funes an, die gesammelten Predigten Romeros zu lesen und Zitate daraus in seine Vorträge einzustreuen. Mit Staatsgästen geht der Präsident gerne hinab in die kühle Grabkammer unter der Kathedrale von San Salvador, wo der Leichnam des Märtyrerbischofs eingemauert ist.

Zu Lebzeiten war Romero alles andere als ein Held der Linken. Als er am 3. Februar 1977 von Papst Paul VI. zum Erzbischof von San Salvador ernannt wurde, empfand das die damals noch schwache Guerilla als einen Tiefschlag. „Wir saßen mit ein paar fortschrittlichen Priestern und organisierten Bauern zusammen, als die Nachricht von seiner Ernennung verbreitet wurde“, erinnert sich Nidia Díaz, die später zum engsten Führungszirkel der FMLN gehörte. „Wir hatten das befürchtet und es war tatsächlich eingetroffen. Wir empfanden die Ernennung als einen großen Sieg der konservativen Oligarchie und überlegten, wie wir darauf reagieren könnten.“

Die katholische Kirche El Salvadors war gespalten. Auf der einen Seite standen Befreiungstheologen, die auf dem Land die ausgebeuteten Landarbeiter gegen die Kaffee- und Zuckerrohr-Oligarchie organisierten. Und es gab stockkonservative Kleriker, die in solchen Umtrieben eine Unterwanderung der heiligen Institution durch den Marxismus sahen. Sie sagten nichts dazu, dass die Oligarchie das Militär auf gewerkschaftlich organisierte Landarbeiter losließ und dass morgens an den Straßenrändern Leichen mit abgetrennten Köpfen lagen, die in der Nacht zuvor von Todesschwadronen ermordet worden waren. Es zirkulierten Flugblätter mit dem Aufruf. „Sei ein Patriot, töte einen Priester!“ Aber nicht einmal das brachte die rechten Kleriker durcheinander. Denn gemeint waren bloß die Befreiungstheologen.

Romero war als Weihbischof Chefredakteur einer stramm konservativen Kirchenzeitung und von der Oligarchie geliebt, weil er dazuhin ein charismatischer Prediger war. Später gab er im Gespräch mit einem Befreiungstheologen zu: „Ich wurde zum Erzbischof ernannt, um mit Leuten wie dir Schluss zu machen.“ Und als sollte das unterstrichen werden, wurde eine Woche nach seiner Inthronisation in Aguilares im Norden von San Salvador der Landpfarrer und Bauernorganisator Rutilio Grande und zwei seiner Katecheten von einer Todesschwadron mit Schüssen durchsiebt.

Der dreifache Mord verfehlte seine Wirkung. Romero war nicht nur persönlich mit Grande befreundet. Er war auch ein verantwortlicher Kirchenführer und stellte sich vor seine Untergebenen, egal ob sie theologisch mit ihm auf einer Linie waren oder nicht. Fortan verweigerte er die Teilnahme an staatlichen Empfängen und kümmerte sich stattdessen als Hirte um seine Schäfchen. Die sind in El Salvador in ihrer übergroßen Mehrheit arm. So wurde Romero fast wider Willen ein Bischof der Armen, ein Bischof zum Anfassen.

Akte des Terrorismus

Ein Freund der Guerilla aber wurde er nie. Im Gegenteil. Ihre Überfälle, Attentate und Entführungen geißelte er als „Akte des Terrorismus“. Besetzungen seiner Kathedrale durch der Guerilla nahestehende Volksorganisationen tolerierte er nur zähneknirschend, weil er wusste, dass die staatlichen Sicherheitskräfte, riefe man sie zu Hilfe, solche Aktionen mit einem Blutbad beenden würden. Er verurteilte die massiven Massaker der Militärs genauso wie die damals noch schwache Gegenwehr der Guerilla. Aber er glaubte lange daran, dass die Oligarchie und ihre Bluthunde auf dem Weg vermittelnder Gespräche zur Mäßigung gebracht werden könnten. Noch ein halbes Jahr vor seinem Tod sympathisierte Romero mit einer Regierungsjunta aus Militärs und Christdemokraten, die sich im Oktober 1979 an die Macht geputscht hatte. Als die schon kurz danach auseinanderbrach, versuchte er noch zwischen rechten Militärs und konservativen Zivilisten zu vermitteln. Vergeblich.

Erst danach gab er auf und wetterte nur noch gegen den aufziehenden Bürgerkrieg. In seinen Gottesdiensten verlas er Listen mit den Namen der in der Woche zuvor Ermordeten, und er ließ keinen Zweifel daran, wer die Täter waren. Sein bis heute berühmtestes Zitat stammt aus einer Predigt vom 23. März 1980: „Kein Soldat ist gezwungen, einem Befehl zu gehorchen, der gegen das Gesetz Gottes verstößt. Es sind Brüder aus unserem eigenen Volk, die auf dem Land ihre eigenen Brüder töten. Niemand muss einem unmoralischen Befehl gehorchen. Im Namen Gottes und im Namen dieses leidgeprüften Volkes, dessen Klagen jeden Tag lauter zum Himmel steigen, ersuche ich euch, bitte ich euch, befehle ich euch: Hört auf mit der Repression!“

Als Romero 1977 von Papst Paul VI. zum Erzbischof von San Salvador ernannt wurde, empfand das die Guerilla als einen Tiefschlag

Am Tag darauf las der Bischof in der Kapelle des Spitals zur göttlichen Vorsehung eine Totenmesse. Er stand, die Eucharistie zelebrierend, vor dem Altar. Die Tür war offen. Da krachte ein einziger Schuss und traf Romero direkt über dem Herz. Die Salvadorianer wussten es gleich, und dreizehn Jahre später stellte es auch eine internationale Wahrheitskommission fest: „Der ehemalige Major Roberto D’Aubuisson gab den Befehl, den Erzbischof zu ermorden.“ Da war D’Aubuisson schon tot. Er ist 1992 an Zungenkrebs gestorben.

Offener Bürgerkrieg

Zur Totenfeier für Romero eine Woche später kamen über 100.000 Salvadorianer auf den Platz vor die Kathedrale. Die Armee riegelte die Zugänge ab und schoss von den Dächern der umliegenden Gebäude in die Menge. Mindestens 50 Menschen starben, über 600 wurden verletzt. Es war endgültig klar, dass gegen diese blutige Form der Machtsicherung nur noch bewaffneter Widerstand möglich war. Der Tod des Bischofs fällt mit dem Beginn des offenen Bürgerkriegs in El Salvador zusammen, der zwölf Jahre dauerte und 75.000 Menschen das Leben kostete. Die fünf kleinen Guerillaorganisationen des Landes schlossen sich zur FMLN zusammen und bekamen massenhaft Zulauf.

Die Guerilleros lernten schnell, den toten Bischof für sich zu vereinnahmen. Wenn in einem stockkatholischen Land ein vom Volk geliebter Bischof von rechten Militärs ermordet wird, dann kann das nur der rebellischen Linken nutzen. Schnell hat man vergessen, dass auch der Aufstand gegen die blutige Repression in den Augen des Bischofs Terrorismus gewesen war. Aber so ist das, wenn Menschen nach ihrem Tod zu Heiligen werden. Sie sind nur noch Gefäße, in die jeder seine Hoffnungen und Wünsche füllt. Für die Armen in El Salvador ist und bleibt der Heilige Romero die Hoffnung darauf, dass es einen gibt, der ihnen zuhört und sie ernst nimmt, der ihnen Würde gibt und Gerechtigkeit. Wenn sich Präsident Funes am 30. Jahrestag des Mordes demonstrativ demütig vor die Füße des Märtyrers wirft, kann er sich damit nur selbst erhöhen. Und es ist fast ein Glück, dass das Verfahren für eine längst beantragte Heiligsprechung im Vatikan einfach nicht von der Stelle kommt. So wenigstens kann Josef Ratzinger dieses Gefäß nicht mit seinen eigenen Inhalten füllen.

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