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Als Ökologe ziemlich einsam

Parteichef Bütikofer hält Loskes Abgang für eine Überreaktion. Andere wollen versuchen, den profilierten Umweltpolitiker zur Rückkehr zu bewegen

VON ULRIKE WINKELMANN

Die Grünen haben sich schon wieder selbst ins Knie geschossen. Diesmal traf es das Umweltstandbein. Gestern trat der Chef des Umwelt-Arbeitskreises und Vizevorsitzende der Bundestagsfraktion, Reinhard Loske, von seinen Ämtern zurück. Seine Worte: „Als Ökologe fühlt man sich bei den Grünen mittlerweile ziemlich einsam.“ Der 46-jährige Klimawissenschaftler gilt als einer der versiertesten Umweltpolitiker der Republik.

Anlass des Rücktritts war ein Streit in der Fraktion am Dienstagnachmittag. Loske schlug ein neues Konzept zur atomaren Endlagerung vor: Der Staat solle ein Endlager für Atommüll suchen. Dagegen stand ein alter Gesetzentwurf des Exumweltministers Jürgen Trittin, wonach die Stromkonzerne sich ihr Endlager selbst wählen. Fraktionsmitglieder schilderten die Debatte später als „kantig und emotional“.

Zunächst sei rechtlich argumentiert worden: wie zu sichern sei, dass die Stromkonzerne selbst für die Entsorgung bezahlen. Parteichefin Claudia Roth habe geltend gemacht, dass Trittins Entwurf auf den zwei jüngsten Parteitagen anstandslos durchgewinkt wurde. Dann habe Strategisches überwogen. Einerseits sei Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) eher mit Loskes Entwurf anzugreifen. Andererseits, schilderte gestern der Wirtschaftspolitiker Matthias Berninger der taz, „wollte man natürlich nicht, dass Gabriel genüsslich Gutachten zitiert, die Trittin selbst in Auftrag gegeben hat.“

Schließlich gewann mit 22 Stimmen Trittin, den vor allem die Niedersächsinnen, aber auch zum Beispiel der parlamentarische Geschäftsführer Volker Beck unterstützten. Loske und der zehnköpfige Arbeitskreis mobilisierten nur 15 Stimmen, darunter immerhin die der Fraktionschefs Renate Künast und Fritz Kuhn. Es gab drei Enthaltungen. „Völlig überraschend“, wie es gestern allseits hieß, habe Loske daraufhin seinen Rücktritt in den Raum gestellt – und war davon auch durch gutes Zureden der Fraktionschefs nicht mehr abzubringen.

Warum niemand die Debatte aufgehalten und die Entscheidung vertagt hat, konnte gestern niemand erklären. Schon bald liefen von den Umweltverbänden BUND und Greenpeace und Deutsche Umwelthilfe Bedauerns- und Entrüstungsnoten ein. Auch die grüne Gorleben-Aktivistin und EU-Parlamentarierin Rebecca Harms sagte zur taz, „durch Loske haben wir überhaupt wieder den Anschluss an die Endlagerdiskussion geschafft“. Offenbar habe die Fraktion „nach Macht- und nicht nach Sachfragen“ entschieden. Trittins Gesetzentwurf sei „nie diskutiert“ worden.

Loskes Arbeitskreiskollegin Ulrike Höfken erklärte der taz, Loskes Rücktritt sei „keine adäquate Antwort“. Man werde alles versuchen, ihn zur Rückkehr zu bewegen. Entsetzt waren freilich auch solche, die für Trittin gestimmt hatten. Loske habe die ganze Sache durch seinen Rücktritt „personalisiert“ und aufgebauscht, hieß es.

Auch Parteichef Reinhard Bütikofer erklärte, es gebe keinen Grund für Loske, eine „solche dramatisierende Konsequenz zu ziehen“.

Kaum dass die Grünen also das schmerzliche Entscheidungschaos um den Geheimdienstuntersuchungsausschuss halbwegs bewältigt haben, befinden sie sich nun im nächsten Identitätsdrama. In der Frage, ob sie einen Untersuchungsausschuss zur BND- und CIA-Affäre einrichten will, musste sich die Grünen-Fraktion im Januar und Februar endgültig vom Exaußenminister Joschka Fischer lösen. Dieser hatte mit seiner Polemik gegen einen Ausschuss Teile der Fraktion verunsichert. Nur mühsam rang sich die Grünen-Spitze eine gemeinsame Haltung contra Fischer ab.

In der Endlagerdebatte hat sich somit ein Exminister tatsächlich gegen den berufenen Fachpolitiker durchgesetzt. Wie der nun getröstet werden soll, ohne wiederum Trittin ins Abseits zu schicken, bleibt ein grünes Rätsel.

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