: Schweigsam und gedächtnisschwach
Frankfurter Zivilkammer hört den Außenminister a. D. Joschka Fischer zur Historie des Frankfurter Häuserkampfes. Der Exminister sagt wenig. Ein Weggefährte Fischers aus der Putzgruppenzeit verklagt Magazin „Focus“ auf Schmerzensgeld
AUS FRANKFURT AM MAIN HEIDE PLATEN
Manchmal schleichen sich Tippfehler ein, wenn der Gegenstand das Absurde streift. So durfte sich der Diplomat im Berliner Auswärtigen Amt, Georg Dick (58), wundern, dass ihn eine Zeugenladung der 3. Frankfurter Zivilkammer erreichte, in der er aufgefordert wurde, auszusagen, ob sein Sponti-Mitstreiter, der Musiklokalbetreiber Ralf Scheffler, vor 35 Jahren „ein passionierter Schäfer“ gewesen sei.
Anlass war ein Foto, dass das Magazin Focus 2002 veröffentlicht hatte. Es zeigte Frankfurter Trauergäste und bezeichnete Scheffler als „passionierten Schläger“ der so genannten Fischer’schen Putzgruppe, die sich im Frankfurter Häuserkampf Straßenschlachten mit der Polizei lieferte. Scheffler klagte auf Unterlassung und Schmerzensgeld. Zur Sache konnte Dick gestern ebenso wenig beitragen wie der ebenfalls geladene Zeuge Joschka Fischer, Beruf „Außenminister a. D.“. Fischer gab sich als Zeuge wenig redselig. Sein Erinnerungsvermögen für diese Zeit habe sich „als sehr wenig belastbar“ erwiesen. Im Saal 165 C hatte er sich ein Ermittlungsverfahren wegen Falschaussage eingehandelt, als er vor fünf Jahren als Zeuge im Strafverfahren gegen den Opec-Attentäter Hans-Joachim Klein aussagte.
Diesmal sagte er aus, dass er seiner eigenen Erinnerung an diese Zeit nicht mehr traue, schlechte Erfahrungen gemacht habe und nicht bereit sei, sich trotz langer Freundschaft mit Scheffler zu den Handlungen Dritter zu äußern. Im Ausschlussverfahren könne er nur feststellen, dass er sich an einen „passionierten“, also „leidenschaftlichen“ Schläger Scheffler nicht erinnern könne.
Fischer geriet erst leicht in Rage, als ihm der Focus-Vertreter, Rechtsanwalt Robert Schweizer, einen eigenen Text aus einer 1977 erschienenen Ausgabe der Theoriezeitschrift Autonomie vorhielt. Darin hatte Fischer sich in einem Appell an die außerparlamentarische Linke gegen Gewalt ausgesprochen, das „Allerheiligste“ des bewaffneten Kampfes der Roten Armee Fraktion (RAF) und das „tendenziell sadistische Vergnügen“ an Prügeleien kritisiert. Wenn das, so Schweizer, nötig gewesen sei, dann müsse es doch vorher Gewalt gegeben haben: „Sie waren der Kriegerfürst!“ Er habe, erklärte Fischer, den Text damals in aufgeheizter Atmosphäre „nicht ohne Grund“ geschrieben und erkenne seinen Teil der Schuld an: „Dafür hatte ich geradezustehen, zu Recht.“
Der gemäß seinem Amt um Ausgleich bemühte Vorsitzende Richter, Frowin Kurth, stellte gestern fest, dass keine der beiden Parteien zum Vergleich bereit sei. So werden in dem bereits drei Jahre währenden Verfahren weitere Zeugen geladen werden. Zuvor waren auf Antrag von Focus schon Weggefährten Fischers wie der Varietébesitzer Johnny Klinke und Daniel Cohn-Bendit gehört worden, der sich an Scheffler nur als passionierten „Liebhaber“ erinnerte. Die Fischer-Gegnerin und ehemalige Grüne Jutta Ditfurth plauderte über Kneipenklatsch.
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