HEIDE OESTREICH ZUM PROTEST GEGEN DAS EKD-FAMILIENPAPIER: Die Festung am Rand
Aus der „Mitte der Gesellschaft“ komme seine Kritik, beteuert der protestierende Pfarrer, der das progressive Papier der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) kritisiert. Wirklich? Unterschrieben haben viele Pfarrer, davon mehrere in Rente, ein Theologieprofessor und „Seine Durchlaucht Albrecht Fürst zu Castell-Castell“. Die Mitte, das ist halt ein dehnbarer Begriff.
Es ist die Mitte, für die auch die FAZ zu sprechen glaubt, wenn sie sagt, der um Homo- und Patchwork-Paare erweiterte Familienbegriff sei ein „Symptom des Rückschritts“. Das Blatt ortet die erweiterte Familie nicht inmitten des Hier und Jetzt, wie unbedarfte taz-LeserInnen das vielleicht tun mögen. Sondern als Rückfall in die finsteren siebziger Jahre, in denen angeblich Individualität alles und Institutionen nichts bedeuteten.
Das Gegenteil ist in dem Papier der Fall: Die Institution Familie wird durch die Erweiterung gestärkt und nicht geschwächt. Denn nun werden all die Alleinerziehenden, Homopaare und Patchwork-Konstellationen endlich auch begrifflich integriert – was in der Praxis, etwa in der evangelischen Diakonie, längst gelebt wird.
Die EKD rückt erst mit dieser nachholenden Bewegung in die Mitte einer Gesellschaft, die tatsächlich individualistischer und bunter ist, als die Kulturkämpfer es wahrhaben wollen. Diese Entwicklung lässt sich mit einer wortgetreuen Bibelinterpretation tatsächlich nicht in Einklang bringen, da haben die KritikerInnen Recht. Die bibeltreuen Christen und die FAZ wird die Kirche deshalb nicht komplett mitnehmen können. Die sitzen in der Ehefestung und schießen auf alles, was sich drum herum bewegt. Diese Festung steht aber nicht mehr in der Mitte der Gesellschaft. Die hat sich längst weiter bewegt. Die Festung als Abenteuerspielplatz am Rande stört daher nicht mehr sonderlich.
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