: Ein wenig geschätzter Bastard
ANSCHAUUNGSMATERIAL So in etwa wird mit dem Humboldt-Forum das alte Berliner Stadtschloss wieder aufgestellt. Wer allerdings wirklich wissen will, wie es ausgeschaut hat, greift besser zu einem gerade erschienenen Bildband
VON JÖRG SUNDERMEIER
Wir alle haben in den vergangenen zwanzig Jahren gelernt, eine tiefe Wunde in uns zu spüren. Uns allen nämlich fehlt das Berliner Stadtschloss.
Von Pein zermartert schauen wir die Straße Unter den Linden Richtung Osten und sehen weit hinten das Rote Rathaus, wir sehen den Fernsehturm. Doch was sind uns diese Bauwerke, wenn nicht das Schloss, der alte Schlüterquader, seine nordöstliche Ecke ins Blickfeld schiebt und unser Herz mit seiner Erhabenheit wärmt, wie es 1993 mit der vom Förderverein Berliner Schloss initiierten Fassadeninstallation in der großen Schloss-Simulation zu sehen war.
Deutschland sei Dank wird diese Wunde nun verheilen, denn das Humboldt-Forum wird alsbald am Standort des früheren Schlosses erbaut werden. Der Grundstein ist schon gelegt, und das Forum wird über eine Schlüter-Fassade verfügen und über ein Eosander-Portal, auf dass uns das Herz aufgehe. Die Schlosswunde in uns wird sich schließen, und wir werden uns so wohl in ihm fühlen wie damals, als die gemeinen Kommunisten das Schloss noch nicht niedergelegt hatten.
Allein – wir waren ja nie im Schloss. Und jenes Schloss, von dessen Interieurs die Schlossbefürworter so schwärmen, war, als es nach der Demission des letzten deutschen Kaisers erstmals für die Bevölkerung geöffnet wurde, bereits geplündert – dem Kaiser hatte man fünfzig Eisenbahnwaggons mit Einrichtungsgegenständen in sein niederländisches Exil nachgeschickt.
Nie wirklich geliebt
Zudem war das Schloss, welches der „Eisenzahn“ genannte Kurfürst Friedrich II. begründet hatte, nie wirklich ein Liebling der brandenburgischen Fürsten und der preußischen Könige gewesen.
Das Berliner Schloss etwa hatte auf der Ostseite, also zur Spree hin, nie eine Schlüterfassade. Diese hatte Schlüter zwar geplant, doch aus finanziellen Gründen wurden die Pläne nie umgesetzt. Und Schlüter selbst hat die nach ihm benannte, den Rest des Schlosses umgebende oder überformende Fassade auch nie in Gänze gesehen, schon deshalb nicht, weil er beim Bau in Ungnade fiel. Eosander von Göthe, der bevor er ebenfalls Berlin fliehen musste das Schloss halbwegs fertig stellte, verdoppelte die Größe des Schlosses gleich, doch auch er durfte viele der schon im 16. Jahrhundert entstandenen Gebäudeteile weder überformen noch abreißen. Die Ecke schließlich, die das hier präsentierte Foto von 1913 zeigt, wurde weder von Schlüter noch von Eosander gebaut, es wurde erst später fertig gestellt – ebenso wie die mächtige Turmkuppel über dem Haupteingang.
Das Foto entstammt dem wunderbaren Band „Das Berliner Schloss in historischen Photographien“ von Richard Schneider, der sich sehr genau in der Geschichte des Schlosses auskennt und jedes der rund hundert Fotos kenntnisreich kommentiert hat.
Schneider macht – obschon selbst Befürworter eines historisch anmutenden Neubaus – verständlich, warum die meisten preußischen Könige diesen Bastardbau nicht schätzten. Friedrich II. oder Wilhelm II. blieben lieber in Potsdam als im Schoss zu leben, Friedrich Wilhelm III. schließlich residierte Zeit seines Amtes lieber im Kronprinzenpalais wenige Schritte entfernt.
Denn das Schloss war zur Spree hin alt und grau, die Gebäude im Innenhof verloren ihren Putz, und nie war das Schloss so sehr eine Einheit wie die Planer von heute behaupten, weil sie in Innenhöfen und Ostseite des Neubaus weder Schlüters Pläne verwirklichen noch sich sonst wie an die historischen Gegebenheiten halten. Schneider zeigt, was weiterhin fehlen wird – etwa der der „Alabastersaal“ oder der „Apothekerflügel“ von 1505, den man von Unter den Linden aus übrigens leichter erkennen konnte als die Nordostecke des Schlüterbaus. Doch, auch das macht Schneiders Buch sichtbar, etwas, das das originale Schloss schon hatte, wird wieder spürbar sein: die falsche Pracht in den Innenräumen.
Und ein Problem teilen das neue Humboldt-Forum und das alte Schloss auch – die Frage nach dem Geld. Vielleicht sollte man den Apothekerflügel also doch wieder aufbauen – er wurde, wie Schneider berichtet, nämlich gebaut, weil Alchemisten in ihm Gold herstellen sollten.
■ Richard Schneider: „Das Berliner Schloss in historischen Photographien“. Lukas Verlag, Berlin 2013, 160 Seiten, 29,80 Euro
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