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Zwei Kredite für die Bildung

In einem Jahr führen Hamburgs Hochschulen Studiengebühren ein. Am härtesten treffen sie Bafögempfänger und ausländische Studenten, warnen die Studentenwerke. Anwalt erwartet Klagen wegen Verstoßes gegen das Sozialstaatsprinzip

von Eva Weikert

Annette Haas hat keine Wahl: Wenn die Uni ab 2007 Studiengebühren erhebt, wird die Ethnologiestudentin das verlangte Geld nicht durch Arbeiten verdienen. Haas wurde vom Staat Bedürftigkeit bescheinigt und Bafög gewährt. Zwar bezieht sie den Höchstsatz. Um aber über die Runden zu kommen, muss sie schon heute jobben. Zehn Stunden die Woche gibt sie in einer Marktforschungsfirma Daten in einen Computer ein. Aufzustocken macht keinen Sinn: „Ginge ich mehr arbeiten, würde mir der Verdienst beim Bafög wieder abgezogen“, sagt sie. Zur Finanzierung der Studiengebühren bleibt der 28-Jährigen darum nur ein zweiter Kredit .

Die Hamburger Hochschulen müssen vom April 2007 an 500 Euro Studiengebühren pro Semester erheben. Dazu sind sie nach einem Beschluss des CDU-Senats verpflichtet. Mit Beginn der Zahlungspflicht soll ein staatlich gefördertes Studiendarlehen abrufbar sein. Maximal können 1.000 Euro im Jahr geliehen werden über einen Zeitraum von zwölf Semestern. Einen gesetzlichen Anspruch haben alle Deutschen und EU-Bürger sowie Ausländer, die hier ihr Abi gemacht haben (siehe Kasten).

Die Studentenwerke, die für die sozialen Belange der Studenten zuständig sind, lehnen das Bezahlstudium grundsätzlich ab. Sie befürchten, dass Gebühren gerade auf Studierwillige aus einkommensschwachen Familien abschreckend wirken und die Auslese im deutschen Bildungssystem verschärfen.

Nach einem Vergleich der Gebührengesetze von Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Bayern, Niedersachsen und Hamburg sind sie kürzlich zu dem Schluss gekommen, dass keines der Regelwerke den Vorgaben der Karlsruher Bundesverfassungsrichter entspreche, denn sie gewährleisteten nicht die gleiche Teilhabe von Studenten aller Schichten. Das Gericht hatte das bundesweite Gebührenverbot vor einem Jahr gekippt, zugleich aber soziale Absicherung angemahnt.

Besonders kritisch sehen die Studentenwerke, dass auch Bafögempfänger zur Kasse gebeten werden. In Hamburg stellen sie mit rund 13.000 etwa ein Fünftel der Studenten. Sozialerhebungen belegen, dass die große Mehrheit der Bafögbezieher ohnehin bedürftig ist. Der Präsident der Studentenwerke, Hans-Dieter Rinkens, bemängelt: „Der Staat attestiert diesen jungen Leuten erst, dass sie ohne Hilfe nicht studieren können, dann zieht er denselben Menschen das Geld wieder aus der Tasche.“

Jonathan Jacobsohn ist so jemand. Der 22-Jährige studiert an der Uni Physik im vierten Semester. Wie Annette Haas erhält er knapp 600 Euro Ausbildungsförderung im Monat, weil seine Eltern ihn nicht unterstützen können. Wenn die Gebühren kommen, „wird es für mich schwer“, sagt er. Weil ihm sein Studium mit einer 40-Stunden-Woche, Prüfungen und Pflichtpraktika kaum Freizeit lasse, könne er nicht jobben. So ergehe es auch Kommilitonen in anderen Fächern seit Einführung der verdichteten Bachelorstudiengänge. Einen zweiten Kredit zur Studienfinanzierung will Jacobsohn aber „nur zur Not“ aufnehmen.

Nach den Berechnungen des Senats können die fünf staatlichen Hochschulen ihre Etats durch Gebühreneinnahmen um insgesamt bis zu 45 Millionen Euro aufstocken. Das entspricht etwa 8,5 Prozent der jährlichen Betriebsausgaben von zusammen 530 Millionen Euro. Wissenschaftssenator Jörg Dräger (parteilos) hat versprochen, die Gebühren blieben bei den Hochschulen. Zumindest für diese Legislatur sichere er zu, dass deren Etats nicht abgesenkt würden. Das Geld der Studenten sei für die Qualitätsverbesserung der Lehre zweckgebunden.

Annette Haas hat wenig Vertrauen in Drägers Worte. Sie sagt: „Ich bezweifle, dass sich wirklich etwas verbessert.“ Ihre Sorge ist, dass die studentischen Gelder verpufften und der Senat die Hochschuletats absenkt, sobald die ersten Beiträge fließen oder ein Regierungswechsel erfolgt.

Haas bezieht monatlich 585 Euro an Ausbildungsförderung. „Der Monat ist immer ein bisschen zu lang für mein Einkommen“, sagt die gelernte Altenpflegerin, die neben dem Job das Abi an einer Abendschule nachholte und inzwischen im 5. Semester neben Ethnologie auch Politik studiert. In zwei bis drei Jahren will sie Examen machen. Danach, so rechnet sie, stehe sie mit mindestens 12.000 Euro Schulden da. Hätte sie das vorher geahnt, sagt sie, wären ihr sicher Zweifel gekommen, den akademischen Weg einzuschlagen.

Der Hamburger Anwalt für Hochschulrecht, Joachim Schaller, erwartet eine Reihe von Klagen von Bafögempfängern gegen die Gebührenerhebung. Wie die Studentenwerke argumentiert auch er, die doppelte Verschuldung verstoße möglicherweise gegen das Sozialstaatsprinzip. Vor allem die kleine Gruppe von Bafögempfängern aus Nicht-EU-Ländern, die aufgrund ihrer Herkunft das neue Studiendarlehen gar nicht beanspruchen darf, drohe wegen der Geldforderung vom Studium ausgeschlossen zu werden.

Schaller, der unter anderem den Uni-AStA vertritt, kritisiert außerdem, dass Hamburg – anders als Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen – seinen Studenten keine Verschuldungsgrenze zugesteht. In Niedersachsen und NRW entfallen alle Schulden jenseits der 10.000-Euro-Marke, im Südwesten wird bei 15.000 Euro gedeckelt.

Physikstudent Jacobsohn hat ausgerechnet, dass er bestenfalls die Uni nach zehn Semestern mit rund 13.000 Euro Schulden verlässt. Die durchschnittliche Studiendauer liegt in seinem Fach allerdings drei Semester und damit einige tausend Euro höher.

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