: Feldverbesserer am Start
100 PROZENT Das Volksbegehren für ein freies Tempelhofer Feld scheidet die Geister – auch in unserer Redaktion. Mehr auf SEITE 44, 45
ANTJE LANG-LENDORFF
EIN PRO VON UWE RADA
Keine Bebauung auf dem Tempelhofer Feld
Lob der Ränder
Endlich nimmt die Wohnungsbaudiskussion Fahrt auf. Die Hälfte der ersten 1.700 Wohnungen auf dem Tempelhofer Feld soll zwischen 6 und 6 Euro pro Quadratmeter nettokalt kosten. Nun dürfen die Wohnungsbaugesellschaft zeigen, dass sie auch preiswert bauen können. Und am Senat ist es, ein Förderprogramm zu stricken, das die Fehler der Vergangenheit vermeidet und in die Zukunft weist.
Bausenator Michael Müller (SPD) macht also vieles richtig – nur leider am falschen Ort. Denn ebenso wichtig wie der preiswerte Neubau ist für eine Stadt die Freiheit. Und um unsere Tempelhofer Freiheit beneidet uns ganz Europa. Hier zeigt sich, dass es neben dem Trend zum Rückzug in die eigenen Milieus auch etwas Gemeinsames gibt. Ein unbearbeitetes Feld als Ort der Stadtgesellschaft.
Eine Bebauung, und sei es nur an den Rändern, würde diesen Ort und sein fragiles Gleichgewicht zerstören. Oder glaubt jemand ernsthaft, ein Konzert der Toten Hosen könnte noch stattfinden, wenn Papa auf seinem neuen Balkon grillen will?
Die Randbebauung, sagen die Gegner zu Recht, lenke die Aufmerksamkeit auf die Mitte. Anders gesagt: Jede Nutzung, die bislang dort stattfindet, steht unter Beobachtung. Ein bisschen wie im Stadion wird das sein. Mit entsprechender Stadionordnung. Freiheit sieht anders aus.
Lasst den Rändern also ihren Platz, damit Berlin weiterhin ein Alleinstellungsmerkmal hat. Die preiswerten Wohnungen können Senator Müller und seine Wohnungsbaugesellschaften auch auf dem Flugfeld in Tegel bauen.
EIN CONTRA VON ANTJE LANG-LENDORF
■ An diesem Samstag startet die Unterschriftensammlung zum Volksbegehren „100 % Tempelhofer Feld“. Die Bürgerinitiative für den vollständigen Erhalt des Flughafengeländes muss bis Mitte Januar 174.000 gültige Unterschriften zusammenbekommen und beim Senat einreichen. Hat sie damit Erfolg und lehnt der Senat ab, will die Initiative parallel zur Europawahl am 25. Mai zum Volksentscheid aufrufen. Damit das Ergebnis gültig ist, muss dann die Mehrheit von mindestens 25 Prozent der Berliner Stimmberechtigten ihr Kreuz für das Konzept der Initiative machen.
■ „Das ehemalige Flughafengelände ist eine spannende Mischung aus Technik und Natur und europaweit einzigartig“, sagte Julius Dahms, Sprecher der Bürgerinitiative, auf einer Pressekonferenz am Freitagmorgen. Vertreter der Initiative argumentierten, dass Berlin durch das unbebaute Flughafengelände Klimavorteile habe: Das Areal sei eine Kaltluftzone, die die Stadt im Sommer herunterkühle. Jeder Eingriff schwäche diesen Effekt. Am Sonntag organisiert die Initiative auf dem Gelände um 14 Uhr eine Demo.
■ Am Donnerstag hatten Bausenator Michael Müller (SPD) und die Chefs mehrerer Wohnungsbaugesellschaften eine Absichtserklärung unterzeichnet. Demnach sollen in einem ersten Bauabschnitt parallel zum Tempelhofer Damm 1.700 Wohnungen auf dem Feld entstehen. Die Hälfte davon soll später zu einem Quadratmeterpreis von 6 bis 8 Euro nettokalt vermietet werden. (cem)
Sieht man nicht
Keine Frage: Es ist ein Erlebnis, auf dem Tempelhofer Feld zu sein. Die Weite, der Wind, die Rollbahnen. Die Berlinerinnen und Berliner haben dieses neue Stück Stadt nach der Schließung des Flughafens in Besitz genommen – und schnell auch lieb gewonnen. Genau darauf setzt das Volksbegehren. Doch man kann nur hoffen, dass sich vom ersten Impuls für ein freies Feld nicht allzu viele zur Unterschrift verleiten lassen.
Denn Berlin braucht schlicht und einfach mehr bezahlbaren Wohnraum. Die Stadt wächst, die Mieten steigen, während die Einkommen stagnieren. In den begehrten Kiezen droht die soziale Entmischung. Es braucht nicht nur Gesetze, die die Preise bei Neuvermietungen deckeln. Es müssen auch neue, bezahlbare Wohnungen her, die das Angebot erhöhen. Die Verdrängung in den Griff zu kriegen ist im Zweifelsfall wichtiger als ein paar Hektar Grün.
Deshalb ist eine Randbebauung des Tempelhofer Feldes sehr sinnvoll. Wo, wenn nicht hier, soll Neubau in der Innenstadt sonst in größerem Stil möglich sein? Zumal der Senat einen guten Kompromiss vorgeschlagen hat: Nur ein Sechstel des Feldes will er bebauen. Allen Feld-Fans, die Panik schieben, sei gesagt: Keep cool! Der größte Teil soll als Park erhalten werden.
Letztlich artikuliert das Volksbegehren eine urkonservative Haltung: Alles soll bitte so bleiben, wie es jetzt gerade ist. Dabei kann eine Randbebauung das Feld sogar noch schöner machen: Wenn im Süden und Westen erst einmal Gebäude stehen, hört man die Stadtautobahn und den Tempelhofer Damm nicht mehr – die Feldlerchen dafür um so lauter.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen