: Die andere Stimme Amerikas
Seit einer Woche ist in Berlin das US-amerikanische National Public Radio auf Sendung – mit dem Besten, was es im englischsprachigen Himmel so zu hören gibt. Sein Markenzeichen: die auffällige Stimme von Diane Rehm
AUS WASHINGTON ADRIENNE WOLTERSDORF
Was hat diese Frau in der Sendung zu suchen? Das ist doch unmöglich! So geht es wohl allen durch den Kopf, wenn sie zum ersten Mal diese leiernde, kaputte Stimme hören, die einer 100-Jähringen gehören könnte. Und wie sie spricht: ganz langsam … aber druckreif. Sie stellt kluge Fragen, die ihre Gäste tatsächlich beantworten. Deshalb bleibt man schon nach dem ersten Reinhören fasziniert an dem Sender hängen – auf UKW 104,1, auf der bis Ende März noch die konservative Voice of America zu hören war.
Die Stimme gehört Moderatorin Diane Rehm, einer eleganten Dame mit schlohweißem Haar und großen leuchtenden Augen. Ihren deutschen Nachnamen verdankt sie ihrem Ehemann John, der Vorfahren aus Germany hat. Rehm selbst wuchs als Kind eines Libanesen und einer Ägypterin in Washington auf. In ihrer täglichen „Diane Rehm Show“ diskutiert sie mit Gästen alles, was neugierige ZeitgenossInnen wissen wollen: Warum verstößt Präsident George Bush mit dem Gefangenenlager Guantánamo gegen internationale Konventionen? Was treibt die US-Administration im Falle Irans? Wie verheerend ist das amerikanische Rentensystem?
Als Ende vergangenen Jahres klar wurde, dass die Frequenz 104,1 im dichten Berliner Radiodschungel neu vergeben werden sollte, gab es zahlreiche Fürbitten und Briefe von in Berlin lebenden AmerikanerInnen, bitte, bitte das National Public Radio (NPR) einzuladen. Da die Frequenz für einen Sender der einstigen US-Alliierten reserviert bleiben sollte, gab die Medienanstalt schließlich NPR den Zuschlag für ein Vollprogramm bis zum Jahr 2013. In der Nacht von Freitag auf Samstag wurde dann Punkt Mitternacht der Schalter umgelegt – und ein weiteres Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte beendet.
„Thrilled“ sind sie alle bei NPR, außer sich vor Freude, versichern die Macher und Moderatorinnen. Nach Finnland sind sie jetzt auch in Deutschland im Radio – und nicht nur im Internet – zu hören. Dass Berlin einer der dichtesten Medienmärkte der Welt ist und sie nun mittenmang, das gefällt den Washingtonern. Dabei wollen sie ihr Programm nicht speziell auf ein deutsches Publikum zuschneiden. Vielmehr wird das Sendeschema die Internet-Auslandsversion „NPR Worldwide“ widerspiegeln. Eine deutsche NPR-Postadresse oder ein Studio wird es in Berlin vorerst nicht geben.
Wer in der Stadt trotz der sechs Stunden Zeitunterschied zu Washington die Hauptnachrichtensendnung „Morning edition“ anhören möchte, muss um 11 Uhr einschalten: Jenseits des Atlantiks beginnt die Sendung um 5 Uhr morgens. Zu hören gibt es weltweite Nachrichten mit einem amerikanischen Zungenschlag – so fundiert und hintergründig wie der Deutschlandfunk und peppiger als die Konkurrenz von der BBC. Außerdem noch Magazinprogramme, Jazz-Shows und natürlich das Markenzeichen: die Talkshow mit der seltsamen Stimme.
In Diane Rehms bescheidenen Studio, auf einer Anhöhe über der US-Hauptstadt gelegen, saßen schon Expräsident Bill Clinton, Erzbischof Desmond Tutu, General Tommy Franks und die Nobelpreisträgerin Toni Morrison. Hier, in einem Hochhaus, das zur American University gehört, moderiert Rehm seit mehr als 25 Jahren für den Lokalsender der Uni, der kurz WAMU heißt. Ihre Sendung hat sich zu den drei meistgehörten öffentlichen Radioshows der USA entwickelt und wird landesweit von zahlreichen Sendern ausgestrahlt – übertroffen nur vom evangelikalen Appeal des erzkonservativen Rush Limbaugh, der die Welt im Sinne der Bibel erklärt, und von der „NPR-Morning edition“.
Das NPR-Mantelprogramm zählt in den USA rund 23 Millionen HörerInnen pro Woche. Rehm, die die aktuelle Talkshow seit 1979 moderiert, ist dank ihrer ungewöhnlichen Stimme in den Staaten so bekannt, dass sie als Radiomacherin sogar in Restaurants „erkannt“ wird. Was genau das Geheimnis ihres flatterigen Timbres ist, daraus macht sie – wie üblich in Amerika – kein Geheimnis. 1998 wurde bei ihr die seltene und unheilbare „spasmische Dysphonie“ diagnostiziert, eine neurologische Störung, die die Stimmbänder lähmt.
Rehm ist heute Präsidentin des US-Dysphonie-Verbandes, hat dazu Artikel und Sendungen mit ihren Ärzten gemacht und selbst in einem Film die Rolle einer Sprachgestörten gespielt. Damals, erzählt sie, „war es eine Katastrophe für mich“. Vier Monate saß sie zu Hause und wusste nicht mehr weiter. „Dann dachte ich mir, ich kann ja noch sprechen, was soll’s?“ Alle vier Monate, auf den Tag genau, benötigt die Mittfünfzigerin jetzt eine Botox-Spritze direkt in die Stimmbänder, um ihre Stimme noch arbeitsfähig machen zu können.
NPR verdrängt in Berlin die „Voice of America“ (VoA), das amerikanische Vorbild für den Service der Deutschen Welle. VoA sendet, ebenfalls aus Washington, seit 1942 nach Deutschland. Zunächst als Feindsender, dann als Quelle internationaler Nachrichten und guter amerikanischer Musik – und schließlich als langweiliger schlechter Ami-Funk. Neben seiner englischen Konkurrentin, der BBC, sah das nach Deutschland gefunkte Programm nur noch blass aus. Kein Wunder: Das US-Radio sieht seine Aufgabe längst in den Krisen- und Entwicklungsregionen jenseits Europas. Den Machern ist es seit Jahren untersagt, in das mitteleuropäische Programm zu investieren. Niemand wird VoA daher eine Träne nachweinen.
Was jetzt auf 104,1 UKW in den Berlin-brandenburgischen Äther gefunkt wird, ist ein Stück echten Amerikas: ein kontrovers, kritisches Wortprogramm. Dass NPR in einer Zeit nach Berlin kommt, in der die Sympathiekurve der Deutschen für die USA im Minusbereich ist, sorgt weder Diane Rehm noch Ellen McDonell, eine der Morgenmoderatorinnen. „Ich bin sicher, dass die Berliner unterscheiden können zwischen uns und der Bush-Administration“, sagt sie.
Ihr Bild von der Freundschaft der Deutschen zu den Amerikanern ist seit 2001 unerschütterlich. Damals, nach den Anschlägen vom 11. September, hatte eine kleine Kreiszeitung bei Dresden bei ihnen angerufen und eine Serie darüber gemacht, wie die McDonells mit den Ereignissen fertig wurden. Die Verbindung kam zustande, weil die Familie zwei Jahre zuvor ein sächsisches Aupair-Mädchen hatte und die Kinder der McDonells später einmal auf dem Bauernhof der Aupair-Tochter urlaubten. „Das sagt doch viel über die Freundschaft, die zwischen Deutschen und Amerikanern besteht“, ist sich die Radiofrau sicher.
Rob Bamberger wiederum ist überzeugt, dass Jazz alle Spannungen und politischen Krisen überwindet. Der unscheinbare Mann mit der dicken Hornbrille ist in seiner äußeren Erscheinungsform Bibliothekar und recherchiert in der Washingtoner Kongressbibliothek zu Fragen der Energiewirtschaft. In seinem eigentlichen Leben ist der Mann aber Jazz-Afficionado.
Bamberger, der auch deutsche Vorfahren hat, aber Deutschland selbst noch nie besuchte, verliebte sich im Alter von elf Jahren in eine Platte mit Jazzmusik. Eine Liebe, die stetig floriert. „Ich konnte es kaum fassen, als NPR hier bei WAMU anfragte, ob sie meine Samstagabend-Jazz-Show mit in Berlin ausstrahlen dürften“, sagt Bamberger. Dabei gehört seine Sendung zu den beliebtesten in den USA. „Ich finde das toll, denn in Europa war man immer schon Jazz-geneigt.“ Und schon erzählt er, wer wo in den 30er-Jahren mit Duke Ellington die ersten Aufnahmen in Europa machte, und warum das erst den Durchbruch in den USA brachte. Es mache ihn „crazy“, dass Jazz missverstanden werde als etwas Elitäres. Nein: Jazz sei die universellste Sache der Welt.
Dass die Berliner seine Show, die Samstagnacht ab 1 Uhr zu hören sein wird, als Delikatesse schätzen werden, daran hat er keine Zweifel. Für die ersten Sendungen, die auch in Berlin zu hören sein werden, hat er tief in den Kellern der Musikgeschichte gegraben und unter anderen Berliner Jazz-Kuriositäten eines britischen Orchesters unter Jack Hylton ausgegraben. „Nun passen sie mal auf“ lautet einer der Titel aus den 20er-Jahren. Und Rob Bamberger wird im Studio sitzen und seiner Moderatoren-Philosophie getreu sagen: „Come on in, see what’s here for you!“
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