KLASSENKRAMPF: Posh, posh ins Körbchen!
Trends & Demut
Kürzlich hat mich beinahe ein weißer Lieferwagen erwischt. Der glatzköpfige Fahrer bretterte über den Asphalt und gefiel sich in seiner emotionslosen Pose, als ich kreischend auf den Bordstein sprang. Wieder so ein White Van Man.
Der griffige Slogan meint mehr als den genervten Klempner oder Teppichleger auf dem Weg in den Feierabend. Der rasende weiße Ford Transit ist Englands leidenschaftlich gelebte Verkörperung des Arbeiterklassen-Machismo. Wer als ordentlicher Lad mit weißem Lieferwagen nicht rast, wird später im Pub von den Kumpels ausgelacht.
Die britische Aristokratie macht es mit ihren seit Jahrhunderten gepflegten, grenzwertigen Etiketten ja nicht anders. Interessant ist nun, dass die Arbeiterklasse für das Pflegen ihrer Werte gesellschaftlich respektiert, die Oberschicht aber für das Haften an Etiketten verachtet wird. Das spüren derzeit auch die Tories. Der Unterhaus-Wahltermin rückt näher, und plötzlich will jede Partei ganz dringend eine Partei des Volkes sein. Und da geraten der konservativen Partei die Elite-Biografien ihrer Mitglieder zu Stolpersteinen.
Derzeit kursiert im Netz eine Witzkampagne, initiiert vom Guardian, auf der ein düster blickender Gordon Brown raunt: „Step outside, posh boy“. Zeig dich, du vornehmer Bengel. Eine Aufforderung an den Tory-Chef David Cameron, ehemaliger Eton-Schüler und Oxford-Vorzeigestudent. Unschlagbar posh und nun unschlagbar peinlich.
Geht man auf die Webseite der Konservativen hat man den Eindruck, dass die Biografien der wenigen Mitglieder mit „ganz normaler“ Schulausbildung plötzlich besonders glänzen („Er besuchte eine staatliche Schule …“, „er arbeitete in der Zeche wie schon Vater und Opa …“), während die teuer bezahlten Eliteausbildungen der Tory-Mehrheit mit fast kabarettistischer Renitenz verschwiegen werden. Der adlige Schattenfinanzminister George Osborne ist auf einmal nur profan in London „geboren und ausgebildet“, die edle Schulzeit von Schattenjustizminister Dominic Grieve an einem der besten französischen Lycées wird erst gar nicht erwähnt. Viel zu posh! Ähnliche Chamäleon-Strategien wenden die First Ladies der Parteichefs derzeit bei ihren Outfits an.
Bei öffentlichen Terminen tragen sie 39-Euro-Cardigans und erst unbeobachtet am Abend wieder die Prada-Robe. Doch diese Wir-sind-eigentlich-wie-ihr-Strategie könnte nach hinten losgehen, denn im Grunde hängen die Briten an ihrem säuberlich aufgebauten Klassensystem und wollen weiterhin den verwöhnten Privatschüler verachten, genauso wie den Proll mit Kampfhund. „Würde er wenigstens zu seiner Upperclass-Attitüde stehen, würde ihn das glaubhafter machen“, schrieb eine Leserin über David Cameron im Daily Mirror.
Ob sie ihn deshalb wählen würde? Viele Wähler trauen weder Brown noch Cameron. Dann doch eher einem ehrlich rasenden Klempner. Die Sun hat das übrigens schon lange erkannt und den White Van Man vor ein paar Jahren als repräsentative Stimme des Volkes bestimmt. Lieber rasen statt lügen.
■ Julia Große ist taz-Kunstkorrespondentin in London
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