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„Sie zielten direkt auf mein Herz“

KRIEGSREPORTER Nachts träumt er die Albträume, die man ihm tags erzählt: Mohamed Abdi berichtet aus Mogadischu

„Ich wollte unbedingt Journalist werden. Trotz allem, was passiert ist, hasse ich meinen Beruf noch nicht“

MOHAMED ABDI, KRIEGSREPORTER

PROTOKOLL BETTINA RÜHL

Somalia ist laut der Menschenrechtsorganisation Reporter ohne Grenzen eines der gefährlichsten Länder für Journalisten. Im vergangenen Jahr sind in dem ostafrikanischen Bürgerkriegsland, das seit dem Sturz des Diktators Siad Barre im Jahr 1991 keine funktionierende Zentralregierung mehr hat, 18 Journalisten getötet worden. Allein in diesem Jahr waren es bereits fünf. Als Täter gelten vor allem Mitglieder der islamistischen Al-Shabaab-Miliz, die zum Terrornetzwerk al-Qaida gehört. Die Islamisten kämpfen gegen die im Jahr 2000 unter anderem auf Betreiben der USA und der EU konstituierte, weitgehend machtlose Übergangsregierung. Der somalische Journalist Mohamed Abdi* hat 2012 einen Mordanschlag überlebt. Er berichtet weiter aus der somalischen Hauptstadt Mogadischu für ein ehemaliges Radioprojekt der Vereinten Nationen.

Manchmal schreie ich meine Frau oder meine Kinder ganz unvermittelt an. Zum Beispiel, wenn es klopft und sie die Tür öffnen wollen: „Was soll das? Lasst die Tür zu!“ Oder ich befehle ihnen plötzlich, die Fensterläden zu schließen. Ich weiß, dass diese ewige Reizbarkeit an der Angst liegt, die mich ständig begleitet. Natürlich beeinträchtigt das die Beziehung zu meiner Frau und auch das Verhältnis zu meinen Kindern. Aber ich kann nicht anders, ich habe mich manchmal nicht mehr unter Kontrolle. Die Islamisten bedrohen mich, und nachdem sie mich schon einmal angegriffen haben, weiß ich: Die meinen es ernst. Die Schussverletzung und die Operationsnarben bereiten mir immer noch Schmerzen. Doch trotz allem, was passiert ist, hasse ich meinen Beruf immer noch nicht.

Der Traumberuf

Schon als Kind wollte ich unbedingt Journalist werden. Nachmittags ging ich nach der Schule zu unserem staatlichen Sender, Radio Mogadischu, und half dort als Techniker aus. Ich war fasziniert davon, Radio zu machen. Damals hatte Somalia noch eine Regierung. Dann wurde Siad Barre im Januar 1991 gestürzt, und damit war auch Radio Mogadischu erst einmal am Ende. Der Bürgerkrieg begann.

In den ersten Jahren des Krieges, in denen vor allem Clanmilizen und Warlords gegeneinander kämpften, war unser Beruf auch schon gefährlich. Aber besonders schlimm wurde es ab 2006 mit dem Aufkommen der Islamisten, der Al-Shabaab-Miliz. Von da an wurden wir Journalisten schon allein unseres Berufes wegen bedroht. Nach und nach eroberten die Islamisten alle Radiostationen des Landes und zwangen sie, ihre Propaganda zu senden. Weil sie Musik verboten hatten, lief in ganz Mogadischu keine Musik mehr.

Im Frühjahr 2010 beschlossen dann die Vereinten Nationen, einen Sender aufzubauen, der Informationen jenseits der islamistischen Propaganda verbreiten sollte. Das Radio wurde am 1. März 2010 gegründet und heißt „Bar Kulan“, Treffpunkt. Inzwischen wird es von einer somalischen Stiftung betrieben, dem Bar Kulan Trust. Weil in Mogadischu selbst ein solches Projekt zu gefährlich wäre, ist der Sitz des Radios in Nairobi, der kenianischen Hauptstadt. Wir haben überall in Somalia Korrespondenten, allein in Mogadischu sind es drei. Einer davon bin ich. Bald bekamen meine Kollegen die ersten Todesdrohungen von den Al-Shabaab-Mitgliedern und es war klar, dass ihr Leben in Gefahr ist. Sie durften deshalb auf das schwer bewachte Militärcamp einer Friedenstruppe der Afrikanischen Union (AU), der AMISOM, umziehen. Ich blieb als einziger in der Stadt.

Ich berichte über alles, kritisiere unsere Übergangsregierung ebenso wie die Islamisten. Ich gehe beispielsweise häufig in die Krankenhäuser und spreche mit den Opfern. Nachts träume ich von den Geschichten, die man mir tagsüber erzählt. Ich sehe vor mir, wie Menschen abgeschlachtet oder auf andere Weise getötet wurden. Aber von mir selbst träume ich nie.

Ich wurde auch bedroht, aber ich nahm das zunächst nicht so ernst, wie meine Kollegen. Die Islamisten schickten uns Textnachrichten auf das Handy, zum Beispiel: „Wir haben von deinen Kollegen schon den und den und den eliminiert. Wenn du nicht aufhörst, bist du als nächster dran.“ Natürlich bekam ich jedes Mal Angst, wenn ich so etwas las. Aber ich konnte auch nicht einfach aufhören: Journalismus ist der einzige Beruf, den ich gelernt habe. Wovon sonst sollte ich mit meiner Frau und meinen beiden Kindern leben?

Die Angst

Ich fing an, bestimmte Gegenden zu meiden und war immer wachsam. Weil du die Leute nicht kennst, die dir die Drohungen schicken. Wenn ich zum Beispiel in einen Bus stieg, habe ich als Erstes allen ins Gesicht geguckt: Könnte er derjenige sein, der mich töten will? Oder der daneben? Und wenn ich ausstieg, habe ich mich umgeguckt: Wer geht hinter mir, wer geht vor mir? Die Angst ist ein ständiger Begleiter.

Am Ende haben sie mich gekriegt. Es war an einem Freitag. In Mogadischu wurde ein Fußballspiel ausgetragen, über das ich berichtete. Mit dem Spiel wollten wir der Welt vor allem zeigen, dass Mogadischu zur Normalität zurück findet und die Leute sogar schon wieder Fußball spielen. Nach dem Spiel fuhr ich zu einem Fernsehsender, um meinen Beitrag nach Nairobi zu überspielen. Ich war mit einer Vespa unterwegs, die ich vor dem Sender parkte. Nachdem ich meinen Beitrag aufgenommen hatte und wieder auf die Straße kam, telefonierte ich mit meiner Familie, die im Nachbardistrikt wohnte. Ich sagte: „Ich fahre jetzt los und komme nach Hause. Bitte macht das Tor auf, wenn ihr mich kommen hört.“ Denn die Momente, in denen man vor einem Tor steht und wartet, sind immer die gefährlichsten.

Ich sah zwei junge Männer, die an das Tor des Nachbarn klopften. Ich schöpfte keinen Verdacht. Aber da kam von der anderen Seite noch jemand hinzu, und alle drei fingen an, auf mich zu schießen. Sie zielten direkt auf mein Herz, aber zum Glück trafen sie knapp daneben. Ich fiel zu Boden. Einer beugte sich über mich, er wollte mir den Rest geben. Ich schaffte es, seine Hand zu fassen zu kriegen und wir rangen miteinander. Die anderen schossen weiter und versuchten, mich zu erledigen, überall flogen Kugeln. Ich schaffte es schließlich, mich freizumachen, ein Polizist kam auf uns zu, die Islamisten rannten weg. Sofort kamen von überall Leute herbei, und sobald ich mich in Sicherheit fühlte, verließen mich die Kräfte. Ich brach zusammen.

Ich wurde in ein Krankenhaus gebracht und operiert. Doch die Ärzte machten irgendeinen Fehler, ich musste ein zweites Mal operiert werden. Eine internationale Organisation, die Medien unterstützt, sorgte dafür, dass ich in Nairobi behandelt werden konnte. Nach einem Monat kehrte ich von dort zurück nach Mogadischu, das war im Februar.

Sofort fingen die Drohungen wieder an. Ich habe sehr große Angst, weil ich jetzt weiß, wie ernst sie das meinen. Um mich in Sicherheit zu bringen, durfte auch ich auf das Gelände der AMISOM ziehen. Ich konnte dort essen und schlafen, und es gab sogar ein Studio, von dem aus ich meine Beiträge nach Nairobi überspielen konnte. Aber vor zwei Monaten endete der Vertrag von Bar Kulan mit der AU, und wir mussten das AMISOM-Gelände verlassen. Seitdem ist die Gefahr, in der wir uns befinden, größer als je zuvor. Denn die Typen sind immer noch hier, und wir haben keinen Ort mehr, an dem wir uns verstecken können.

Das Rampenlicht

Wir sind ihnen ausgeliefert, als stünden wir im Rampenlicht auf offener Bühne. Aber es gibt kein Zurück mehr. Kollegen von mir haben ihren Job aufgegeben, nachdem sie die Drohungen erhalten hatten, und wurden trotzdem noch ermordet.

Dass ich ständig meine Nummer wechsele, hilft nichts. Einmal sagten sie: „Das erste Mal bist du davon gekommen, deine Zeit war wohl noch nicht abgelaufen. Aber diesmal kriegen wir dich.“ An solchen Tagen bin ich wie gelähmt, gehe nicht aus dem Haus, schließe die Läden. Und dann gehe ich am nächsten Tag doch wieder los. Ich muss ja meine Familie ernähren.

*Name geändert

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